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Fallende Kieselsteine

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Ein Vergnügen: Ivan Turgenevs deutschsprachige Briefe

Von YAAK KARSUNKE

Für das deutsche Bildungsbürgertum hat der russische Schriftsteller Ivan Turgenev (1818 - 1883) lange im Schatten seiner literarischen Zeitgenossen Dostoevski und Tolstoi gestanden, obwohl (oder doch eher: weil) er der entschiedenste ‚Westler' unter den russischen Schriftstellern des 19. Jahrhunderts war.

Die Leser im wilhelminischen Kaiserreich und noch in der Weimarer Republik waren fasziniert von den Gefühls-Exzessen und religiösen Exaltationen der "russischen Seele" - an der aufklärerischen Skepsis Turgenevs, der sich den Werten der westlichen Zivilisation verpflichtet fühlte, vermisste man jene ‚Tiefe', in der man die eigene Höherwertigkeit gegenüber den westlichen Demokratien gegründet glaubte. (Thomas Mann schmähte im ersten Weltkrieg seinen francophilen Bruder Heinrich als "Zivilisationsliteraten" - und bewunderte den panslawistischen Dostoevski.)

Ivan Turgenev selbst, der von 1838 bis 1841 in Berlin studiert und später lange in Baden-Baden gelebt hatte, liebte und verehrte dagegen Deutschland "als mein zweites Vaterland", dessen Sprache er so gut beherrschte, dass er einen großen Teil seiner Korrespondenz auf Deutsch führte. Peter Urban hat jetzt eine Auswahl aus diesen deutschsprachigen Briefen in der Friedenauer Presse herausgegeben: und wie immer ist es ein Vergnügen, Turgenev zu lesen.

Gefühl für Maß und Proportion

Nicht eitle Schriftsteller sind rar - Turgenev aber ist ein Musterexemplar dieser seltenen Gattung. Ob er ein Angebot des Berliner Bildhauers Begas ablehnt, eine Porträtbüste von ihm anzufertigen - "was meinen Kopf betrifft - da mache er doch lieber eine Statue mehr - Photographie ist schon genug für Unsereinen" - oder mit heiterer Unbefangenheit einen eigenen Auftritt in Edinburgh beschreibt - "ein gänzlich unbekannter Mensch - Torgunoff - sprach von einem gänzlich uninteressanten Gegenstande: der Russischen Litteratur" -, nie verlässt ihn sein nüchternes Gefühl für Maß und Proportion. Selbst die hymnische Rezension eines Freundes wehrt er ironisch ab: "Aber, o fürchterlicher Freund, Sie überschütten mich ja mit einer wahren Sturzflut von Complimenten! Nun werde ich den Mund nicht öffnen können ohne zu denken: Aufgepasst! Jetzt musst du deinen Zauber ausüben! So zauberhaft glaubte ich wirklich nicht zu sein."

Bei aller persönlichen Bescheidenheit war sich der Autor des Wertes der eigenen literarischen Arbeit durchaus bewusst, deren Vermittlung an deutsche Leser sich allerdings recht schwierig gestaltete. Viele Briefe dokumentieren Turgenevs Kampf um wenigstens halbwegs gelungene Übertragungen seiner Erzählungen und Romane. Die Übersetzer waren im besten Fall mit einem literarischen Hoch-Russisch vertraut und versagten bei der Alltags- und Gegenwartssprache, die Turgenev benutzte. Bei ihnen unbekannten Wörtern und Wendungen behalfen sie sich mit Analogien aus dem "Reich des Ungefähr", wie der Autor selbst es nannte, wobei denn aus den in einer schmutzigen Pfütze plätschernden Enten -auf einem schattigen Baum sitzende Tauben wurden (um nur eines von zahllosen Beispielen anzuführen).

Eine andere Unart waren die stilistischen Verschlimmbesserungen, mit denen der Übersetzer den Autor nach eigenem Geschmack redigierte. Turgenevs Bemühen um knappe und genaue Darstellung wurde durch deutsche Fassungen zunichte gemacht, die seine Sätze wortreich aufschwemmten. Auf der anderen Seite fielen ganze Passagen, die der selbstherrliche Bearbeiter als überflüssig empfand, einer natürlich unausgewiesenen Kürzungswut zum Opfer.

Zugrunde lag diesen Verballhornungen und Verstümmelungen eine kulturelle Differenz zwischen der zeitgenössischen deutschen Literatur-Auffassung und der Turgenevs, die dieser anlässlich einer Novelle von Theodor Storm einmal deutlich benannt hat. Er bemängelte da die ganze vermaledeite Idealisation der Wahrheit.

Unbestechlich im Urteil

Fasst die Wahrheit einfach und poetisch auf - "und das Ideale bekommt ihr obendrein." (Freilich war der Poesie-Begriff des Russen ein anderer als der des Deutschen, der "die Poesie wie Butter aufgeschmiert" habe.) "Wenn der deutsche Autor mir etwas Rührendes erzählt - so kann er nicht umhin, mit dem einen Finger auf sein eigenes weinendes Auge zart hinzuweisen - mit dem anderen aber mir, dem Leser, einen bescheidenen Wink zu geben, dass Ich ja nicht das Rührobject unbeachtet lasse!"

Derlei kunst- und fingerfertige Verrenkungen waren Turgenevs Sache nicht. Im persönlichen Umgang formvollendet höflich, war er in seinen literarischen Urteilen ebenso scharf und unbestechlich wie in seinen politischen. Den Reichskanzler Otto von Bismarck, der - um Österreich aus dem Deutschen Bund zu drängen - soeben seine Vorliebe für das allgemeine Wahlrecht entdeckt hatte, nennt er einen "mit Macchiavelli durchkreuzten Aristophanes", anlässlich einer Tonhallen-Matinée schreibt er von "Prinzessinnen, Fürstinnen und ähnlichem Gewürm" und dem gestürzten Napoleon III. wünscht er, "in Cayenne von Läusen aufgefressen" zu werden.

Seine Briefe zeigen Ivan Turgenev als einen lebendigen, mit Witz und Temperament gesegneten genauen Beobachter, der seine Erkenntnisse in lakonische Formeln zu fassen weiß: "Das Leben ist eine Reihe plötzlich herabfallender Blumen … oder Kieselsteine."

Ivan Turgenev: ",Werther Herr!'. Turgenevs deutscher Briefwechsel". Ausgewählt und kommentiert von Peter Urban, Friedenauer Presse, Berlin 2005, 336 Seiten, 22,50 Euro.

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