Elisabeth Klar: „Himmelwärts“ – Wissen, wo man selbst steht

„Himmelwärts“, ein ausgefuchster Roman der Wiener Autorin Elisabeth Klar.
Während die Grenzen immer dichter gemacht werden, bekommen sie eine neue Durchlässigkeit in Richtung des Fantastischen. Das eine ergibt sich aus dem anderen: Enger Spielraum und große Not erzwingen Flexibilität und Anpassung. Eine Metamorphose kann für den Augenblick Rettung bedeuten, auch wenn die lebhafte junge Frau (Daphne) fortan ein Baum ist.
Wobei die Deutung der Verwandlungen häufig schwierig ist, ablenkend spektakulär zudem der Vorgang selbst. Warum erwachte Gregor Samsa einst als Ungeziefer? Warum werden dieser Tage (im Roman von Thomas Brussig) zwei mecklenburgische Teenager zu Waschbären? Oder nehmen wir David Garnetts zwischen den Weltkriegen erschienenen Roman „Dame zu Fuchs“, bei der Neuübersetzung für den Dörlemann Verlag 2016 ein zu erwartender Überraschungserfolg. Zu bizarr die Situation, um nicht zu fesseln, zu realistisch durchgespielt: Die unwillentlich und ad hoc verwandelte junge Ehefrau, die nun als Fähe die Welt nicht mehr versteht. Ihr Gatte hält mit unverbrüchlicher Treue zu ihr.
Die Mensch-Fuchs-Metamorphose greift nun auch – in umgekehrter Abfolge – die offenbar in verschiedenste Richtung belesene österreichische Autorin Elisabeth Klar auf, 1986 in Wien geboren. Mit Garnett, Brussig und gewissermaßen auch Kafka hat sie gemeinsam, den Realismus im Unmöglichen aufzuspüren, nein, vorzufinden. Denn sobald das Unmögliche eintritt, wird es ja trotz allem zum Teil der Wirklichkeit. „Du siehst aus wie das Füchslein, das du bist“, sagt der Kumpel zu Sylvia, die sich für einen Tanzabend im titelgebenden „Himmelwärts“ zurechtmacht. Erst allmählich versteht man, dass das nicht bildlich gemeint ist. Sylvia mag an Jonathan diesen Huhngeruch. Auch das ist kein Bild.
Sylvia ist also ein Fuchs. An die Straße hat sie ihren „Partner“ verloren, der überfahren worden ist, außerdem, wie sie später erklärt, ihr ganzes Waldrevier. Sie hat die Gelegenheit ergriffen, von einer Wäscheleine eine dort aufgehängte Menschenhaut zu stehlen (Füchse sind geschickt und flink) und sie sich überzuziehen. „In dieser ersten Nacht ist sie überzeugt gewesen, dass sie entdeckt und abgeschossen werden würde, aber sie war jetzt ein Mensch und natürlich schoss man sie nicht.“
Das Buch
Elisabeth Klar: Himmelwärts. Roman. Residenz Verlag, Salzburg/Wien 2020. 160 S., 20 Euro.
In Wien baut sich Sylvia eine neue Existenz auf. Sie jobbt als Spendensammlerin für eine Hilfsorganisation – „Früher hatte sie, wenn sie das GobalCare-T-Shirt anzog, das Gefühl, auf die Jagd zu gehen“ –, und sie bügelt wahnsinnig gerne. „Einer der Vorteile ihrer neuen Existenz: Dinge flach und glatt machen, heiß und dampfig.“ Sie hat eigenwillige Ernährungsgewohnheiten. „,Im Kühlschrank sind nichts als Eier. Wieso kaufst du immer so viele Eier?‘ Weil sie immer noch nicht ganz begreift, dass es so viele davon geben kann.“ Sogenannte menschliche Emotionen und Verpflichtungen befremden sie nach wie vor. „,Du musst dich gut um ihn kümmern‘, sagt er. Ah so, denkt sie, überrascht. Muss ich das? Warum?“ Abends tanzt sie im „Himmelwärts“ mit ihren Freunden. Jonathan ist ihr der Liebste, aber wie die meisten hier homosexuell. Es ist für Sylvia auch nicht einfach, Männer zu finden, die sich gerne raufen und ins Ohr beißen lassen. „Ihre Lüge ist dünn, und die Haut unter ihren Armstulpen“ – an der Stelle, an der sie nicht richtig zusammenhält – „leicht aufzureißen.“
In der fremden Haut zu stecken: unbehaglich, aber ein Schutz. Ihre Freunde wissen Bescheid. Jonathan leidet an einem mysteriösen Tumor, der sich als Flügelpaar erweist. Sind es Engel-, sind es Hühnerflügel, fragt man sich, als wäre das nicht bereits beantwortet. Der Geruchssinn verlässt den Fuchs auch in der Menschenhaut nicht.
Ausnehmend gewieft versorgt sich Elisabeth Klar beim Genre des Fantastischen. Wien, weiß die fremde Sylvia, steckt voller Existenzen, die sich Verkleidungen gesucht haben, suchen mussten. Hier beult eine Haut aus, weil eine Rattenkönigin darunter steckt, dort sind die Fingernägel verdächtig lang, und nicht nur Sylvia packt den Wagen voller Eier. Während die Menschen mit ihrer und um ihre Identität ringen – Jonathans Freund Ronaldo etwa fühlt sich gerade ganz wohl unter einer Burka –, geht es für die Tiere ums nackte, also in Menschenhaut gehüllte Überleben.
Denn ausnehmend geschickt zieht die Autorin auch einen nüchternen, harten Boden in diese windige Geschichte ein. Sylvia „weiß, dass auch für Menschen das eine Leben etwas wert ist und das andere eben nicht. Sie hat nie ganz verstanden, nach was das bemessen wird, aber wie soll sie auch? Es ist nicht ihre Welt. Wenn sie Hunde als Haustiere halten, aber Schweine töten, warum sollte sie darüber groß nachdenken? Wichtig ist nur zu wissen, wo man selbst steht.“ Das verschärfte politische, fremdenfeindliche Klima in Österreich, auf das Sylvias Umgebung aufmerksam reagiert, ist in „Himmelwärts“ keine Dekoration, um die Aktualität zu unterstreichen. Es ist Teil eines Gesamtkonzepts: Wird das Fantastische zum Teil der Wirklichkeit, zeigt die Wirklichkeit ihre surreale Seite. Während Sylvia, deren Perspektive und damit auch deren Coolness und Vorsicht die Erzählerin meistenteils einnimmt und übermittelt, berechtigte Schwierigkeiten hat, die Menschen zu verstehen, gehen die ohne Papiere lebenden Tiere vernünftig miteinander um. Auch wenn es einem irgendwie unmenschlich vorkommt.
Elisabeth Klar, die hier ihren dritten Roman vorlegt, ist zu klug, alles auszuerzählen. „Himmelwärts“ ist handwerklich ein perfekt wirkendes Buch. Allein die letzte Pointe, in der Oper wäre es ein Lieto fine, sitzt nicht optimal, aber immer noch besser als Sylvias Menschenhaut.