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Elisabeth Klar „Es gibt uns“: Da sind noch welche

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Von: Judith von Sternburg

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Elisabeth Klar. Foto: Werner Robitza
Elisabeth Klar. Foto: Werner Robitza © Werner Robitza

Und alle eilen ins Theater. Elisabeth Klar und ihr verblüffender Science-Fiction-Roman „Es gibt uns“.

Das ist ein seltsamer Roman. Und auch wenn Literatur dazu gemacht und darin geübt ist, auf fremdes Gelände zu führen – lesen die meisten nicht darum, nämlich um etwas anderes kennenzulernen als sich selbst? –, so ist die Fremdheit diesmal doch noch größer als sonst. Noch ungeheuerlicher. „Es gibt uns“ spielt in der Zukunft, aber nicht die Künstliche Intelligenz, wie man es dieser Tage erwarten könnte, hat obsiegt und das Anthropozän überdauert. Übriggeblieben oder entstanden ist vielmehr eine von postapokalyptischen Widrigkeiten geplagte Menge tierischer und pflanzlicher, mutierter, von Tumoren befallener Mischwesen.

Die meisten hier „stellen sich auf einen frühen Tod ein“, wie wir erfahren. Der Freitod allerdings, wie es weiter heißt, sei nicht allen gewährt. Es soll weitergehen, also müssen welche bleiben. Das Buch heißt „Es gibt uns“, denn so ist es.     

In einer unwirtlichen und gemeingefährlichen Natur, selbst einem ständigen, unberechenbaren Wandel ausgesetzt, suchen sie Halt in dem, was zwar auch vergeht, aber doch wiederkommt. Die Daten, die solchen Halt geben, taten das schon in Vorzeiten. Sie heißen Walpurgis, Imbolk, Samhain oder Litha, und auch die Namen der auftretenden Wesen gehören zu verblichenen Elfen, Gottheiten, Märchenfiguren: Iubdan, Selkie, Baubo oder Kaguya, Titania, Oberon. Dazu ein gewisses Müxerl.

Die Zeiten sind hart und ungewiss, aber das Leben ist noch da. Auch die Sprache ist noch da. Vor allem aber, und hier wird es jetzt richtig interessant, ist auch das Theater noch da. Sieh an, das Theater. „,Du hast Sorgen, sei es diese, sei es jene?‘ fragt der Chor. Die Menge antwortet: ,Ins Theater!‘ ,Du hast zerrissene Stiefel?‘ Und wieder tönt es: ,Ins Theater‘ ,Du hast nichts zum Tauschen und doch Hunger?‘ ,Ins Theater!‘ ,Du legst Vorräte an und versteckst sie gut?‘ ,Theater!‘“ Und das ist noch gar nichts, und immer plastischer wird im Folgenden, wie schlimm das Leben sich hier gestaltet, und „immer lauter wird die Menge, bis sie schreit, sich das Zögern aus dem Leibe schreit, bis sie sicher ist, dass das die Antwort auf alles ist: ,Theater!‘“ Das hören wir gerne.

Ins Theater also. Elisabeth Klar, 1986 in Wien geboren und schon mit den Vorgängerbüchern „Wasser atmen“, „Wie im Wald“ und zuletzt „Himmelwärts“ ziemlich aufgefallen, hat diesmal einen Science-Fiction-Roman geschrieben, der eine einzige große Theaterveranstaltung schildert. Eine Vorstellung kultischer Art, so hat es angefangen vor ein paar tausend Jahren: Theater als gemeinschaftliche Selbstvergewisserung, als tröstliche Rekapitulation des Schrecklichen und der verbleibenden Hoffnungen, auch als ganz praktischer Schritt, um weiterzukommen. Nach und nach erst wird man beim Lesen begreifen, dass es auch in „Es gibt uns“ um äußerst wichtige Überredungskünste geht.

Das Buch:

Elisabeth Klar: Es gibt uns. Roman. Residenz Verlag, Salzburg/Wien 2023. 160 Seiten, 24 Euro.

Der Ton im Theater, so ist es bis heute (auch wenn Sie jetzt sagen werden, dass es längst ganz anders klingt), hat einen Drall in die Extase, ohnehin ins Künstliche. Kurz war letztlich die Phase, in der purer Realismus angestrebt wurde, dann kam schon der Film und konnte es viel besser. Diesen seit der Antike imposanten Ton greift Klar auf, es gibt einen Chor, Rede und Widerrede, große Monologe. Dramaturgisch, um im Bild zu bleiben, ist das ein kluger Griff. Alle wissen Bescheid (außer uns natürlich, wir haben wirklich keinen blassen Schimmer), aber alle wollen es jetzt in der Theateraufführung wieder von vorne hören und erleben, denn so ist das im Theater, erst recht in der Tragödie, wo „fremdes, vergangenes, in Wahrheit bereits überstandenes Leid“ gewissermaßen erfreut und anregt. Die Autorin muss keine zusätzlichen Erklärungen geben, und Sie können sich gewiss sein, dass sie das auch nicht tut, sondern sie muss lediglich erzählen, was die Figuren auf der Bühne und im Publikum tun und sagen. Wer das liest, ist hineingeworfen in Schrecken, Angst und die gute Laune, die ein Theaterpublikum bei einer klasse Vorstellung immer haben wird. Und eine klasse Vorstellung ist es.

Titania zieht die Fäden, und neu entspinnt sich das Drama um Oberon, einen besonders glitschigen Kraken, der aber das Wasser der gruseligen Stadt Anemos zu reinigen vermochte, und das Müxerl, das ihn mehr oder minder versehentlich getötet hat. Oberon hätte aufmerksamer sein müssen, das Müxerl hätte aufmerksamer sein müssen, alle hätten aufmerksamer sein müssen.

Wir lernen eine Gesellschaft kennen, die erstaunlich modern (d. h. altmodisch, d. h. gegenwärtig) klingende Regeln hat, die aber nicht mehr der Freiheit des Individuums dienen sollen, sondern dem Überleben. Das Sterben und Verschwinden ist zu enorm, jetzt gilt es, aufeinander aufzupassen. „Fragen dürft ihr immer, aber horcht auf die Antwort, und das genau.“ Personalpronomen werden stets abgefragt. Jeder ist nur noch einer, das Thema Spezies hat sich erledigt. Friedfertigkeit und Pragmatismus liegen über allem.

Die Theateraufführung, geht alles gut, rettet Anemos wieder für ein Jahr. „Der Schleim wird siegen“, ahnt Titania jedoch, denn es kann immer noch schlimmer kommen.

Es ist 2023 eine erfrischende und beruhigende Vorstellung – vielleicht nur eine Wunschvorstellung –, dass es einer KI unmöglich wäre, sich eine solche Geschichte auszudenken. Weil diese Geschichte Verwandte, aber keinen Vergleich hat. Es ist auch, als würde es ohne Menschen menschlich auf dem Rest von Erde.

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