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Eine harmonische Ordnung

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Von: Olga Martynova

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Schriftstellerin und Kollegin Olga Martynova gratuliert Elke Erb zum Büchnerpreis.
Schriftstellerin und Kollegin Olga Martynova, hier auf der Leipziger Buchmesse im Jahr 2018, gratuliert Elke Erb zum Büchnerpreis. © imago/Gerhard Leber

Elke Erb gilt als schwierige Dichterin. Ich sage dazu: Lesen Sie einfach!

Das geschah mitten in all den Debatten, wo alle Fäden hoffnungslos verworren sind: etwa wie un-/moralisch Künstler sein dürfen/sollen oder welche Wörter, Figuren und Töne aus der Kunst zu verbannen sind und überhaupt, ob uns noch zumutbar ist, zwischen Kunst und Realität zu unterscheiden.

Und da steht eine Dichterin im Fokus, deren Werk die ganze Absurdität solcher Fragestellungen zeigt. Sie fällt anarchisch aus allen Rahmen – was womöglich die Hauptaufgabe der Kunst ist. „Das Gedicht ist, was es tut“, sagt Elke Erb in ihrer „Berliner Rede zur Poesie“ 2018. Was tut ein Gedicht im Idealfall? Es macht uns klüger. Nicht, weil es uns irgendwelche Weisheiten vermittelt, sondern weil es tiefere Schichten der Sprache aufdeckt, auf neue Denkrichtungen deutet. Das Gedicht soll man einfach lesen, das Verstehen tut der Kopf allein, unterschwellig.

Ich sage das, weil ich nicht ausklammern will, dass Elke Erb als eine schwierige und hermetische Dichterin gilt. Meine Antwort darauf: Lesen Sie einfach! Jeder, der Rilke lesen kann, kann auch Elke Erb lesen. Und – in die andere Richtung – jeder, der Elke Erb lesen kann, wird auch Hölderlin lesen können. Die heutige Auszeichnung einer außerordentlichen Autorin ist ein guter Anlass, das zu sagen: Gedichte soll man auf sich wirken lassen.

In Erbs jüngstem Buch, „Gedichtverdacht“ (2019), gibt es Zeilen, die auf eine allegorische, aber einfachste Weise von der verbindenden Kraft der Poesie sprechen:

„POESIE

Ich sage plötzlich beim Frühstück mit den beiden hier auf dem Land: / Man ist ja irgendwie immer elf, und Geli: stimmt, sie sei immer 12. / Ei!“

Die Autorin

Olga Martynova, 1962 bei Krasnojarsk geboren, lebt als Schriftstellerin, Essayistin und Übersetzerin in Frankfurt. Ihr Mann und Kollege Oleg Jurjew ist am 5. Juli 2018 gestorben. Zur Zusammenarbeit mit Elke Erb gehört etwa Martynovas auf Russisch verfasster Gedichtband „Von Tschwirik und Tschwirka“, den die beiden Frauen gemeinsam ins Deutsche übersetzten.

Ein erfreuliches Paradoxon: Mit der 82-jährigen Elke Erb wird junge Dichtung ausgezeichnet! Seit Jahrzehnten ist sie für die jeweils neue Dichtergeneration unumstritten eine der wichtigsten Stimmen. Koryphäen mit Werkausgaben in soliden Verlagen kommen und gehen. Elke Erb bleibt zwar ein Geheimtipp, aber für ein immer breiter werdendes Publikum.

Mich verbindet mit Elke Erb eine langjährige Freundschaft, die bis Oleg Jurjews Tod eine Freundschaft zu dritt war. Wir, zwei russische Dichter, fühlten uns dank Elke Erb in der deutschen Literatur angekommen. Oleg Jurjew schrieb einmal: „Sich in einem Raum mit der arbeitenden Elke Erb zu befinden, ist wie mit einem kleinen, leisen, unermüdlich zwitschernden, wispernden, klappernden – schlagenden! – Vogel in einem Raum eingeschlossen zu sein. Jedes in Frage kommende Wort, jede Phrase, jede Zeile wird in allen möglichen Tonlagen wieder und wieder wiederholt – mündlich geprüft. Bis die Sprache ihr OK gibt. Oder bis Elke sagt: Sprache, du bist blöd. Das ist besser so, wie ich es dir sage!“

Um das der Sprache sagen zu können, braucht man viel mehr als Frechheit. Man braucht eine Gewissheit, die man erst nach langem mühsamem Ringen mit der Sprache gewinnt. Elke Erb duldet keine Kompromisse und gibt nie auf, bis alle Wörter im Satz so stehen, dass das die einzig mögliche Ordnung ist. Dass sie den Georg-Büchner-Preis bekommt – schafft im Chaos des Lebens für einen Moment eine harmonische Ordnung!

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