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Als Dreimangohoch noch ein leichtes Herz hatte

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Von: Marie-Sophie Adeoso

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Kein Tag, an dem sich das kleine Land nicht in sein Gedächtnis ruft. Bujumbura 2015.
Kein Tag, an dem sich das kleine Land nicht in sein Gedächtnis ruft. Bujumbura 2015. © rtr

Wie sich der Krieg langsam, aber unaufhaltsam in eine Kindheit einschleicht, erzählt Gaël Faye in "Kleines Land".

Wenn Kindheit einen Geschmack hat, dann ist es im Falle von Gabriel, kurz Gaby, der Geschmack von Mangos. „Dreimangohoch“, so nennt der 33-Jährige sich selbst im Rückblick auf jene Tage, als seine Kindheit noch unbeschwert war und er mit seinen vier besten Freunden um die Häuser Bujumburas in Burundi zog, um die Obstbäume der Nachbarschaft zu plündern: „Die Hände klebrig, die Nägel schwarz, das Lachen hell und die Herzen leicht.“

Dass die leichten Herzens erlebte Zeit vorbei ist, macht Gaël Faye schon zu Beginn seines Debütromans „Kleines Land“ klar. Fayes erwachsener Ich-Erzähler lebt in Frankreich - aber: „Ich bin besessen von meiner Rückkehr. Kein Tag vergeht, ohne dass sich mir das Land ins Gedächtnis ruft.“

Das titelgebende kleine Land im Herzen Afrikas – Burundi. „Seit zwanzig Jahren kehre ich zurück, nachts im Traum, tags in Gedanken; in mein Viertel, in die Sackgasse, wo ich mit meiner Familie und meinen Freunden ein glückliches Leben führte.“

Das Glück, es wird in der Rückschau erzählt – verknüpft mit der wiederkehrenden Frage, wann genau es eigentlich vorbei war; wann er und seine Freunde anfingen, Angst zu haben. Gabriel kehrt zurück.

Und Gaël Faye wird seine Geschichte fortan mit der Stimme des anfangs zehnjährigen Kindes erzählen, das als Sohn eines Franzosen und einer Ruanderin in der burundischen Hauptstadt heranwächst, bis der Genozid an den Tutsi im Nachbarland Ruanda und der Bürgerkrieg im eigenen Land das Leben seiner Familie aus den Angeln heben. 

Faye selbst hat diese Erfahrung gemacht – 1982 in gleicher Familienkonstellation in Burundi geboren, floh er 1995 nach Frankreich, wo der einstige Investmentbanker auch als Sänger und Rapper bekannt ist. Sein Debütroman führte dort monatelang die Bestsellerliste an, war für Preise nominiert, darunter den Prix Goncourt, und erhielt unter anderem den von Schülerinnen und Schülern vergebenen Prix Goncourt des lycéens. 

Dabei ist „Kleines Land“ alles andere als ein Buch der großen Worte und lauten Töne. Es drängt sich nicht auf, aber es nimmt einen mit. Weil es zeigt, wie sich der Krieg leise, aber unaufhaltsam in ein Leben schleicht. Wie er für Gaby und seine Freunde, „die privilegierten Kinder aus dem Zentrum und den Villenvierteln“, zunächst „nur ein Wort“ ist, bis er dann doch auch in der behüteten Sackgasse seine giftige Wirkung entfaltet. Bis es „nichts mehr zu reparieren, nichts mehr zu retten, nichts mehr zu verstehen“ gibt für ein Kind, das sein Vater eben noch von politischen Diskussionen fernhalten wollte.

In kurzen Kapiteln, der Aufmerksamkeitsspanne eines Kindes gleich, erzählt Faye Gabys Geschichte, so anekdotisch, wie man sich eben an einprägende Erlebnisse zu erinnern pflegt. Da geht es um Geburtstagsfeiern und Jugendbanden, um die kindische Freude am gemeinsamen Fluchen oder In-den-Fluss-Pinkeln und all die anderen kleinen und großen Dinge, zu denen die Langeweile endloser Sommerferien kleine Jungs treibt. Manches, wie die Brieffreundschaft zu einem Mädchen in Frankreich wird an- aber nicht auserzählt. 

Gabys Erzählstimme ist kindlich naiv, er hat aber auch einen feinfühligen, nachdenklichen Blick auf die Erwachsenenwelt. Seine Hoffnung, alles möge gut werden, bezieht sich zunächst auf die zerrüttete Ehe seiner Eltern, und doch macht er sich auch von dem, was um ihn her geschieht, ein zunehmend genaueres Bild. Da klingt feiner Spott durch, wenn Gaby im Dialog mit dem Vater zu ergründen versucht, warum die Hutu und Tutsi Krieg führen. Die Antwort – „Weil sie nicht die gleiche Nase haben“ - entlarvt die Absurdität des Rassismus in einem Satz. Gaël Faye wird seinem Protagonisten die Unschuld nicht bewahren können. Gaby ist am Ende nicht mehr, aber auch nicht weniger als „ein Kind, das tat, was es konnte, in einer Welt, die ihm keine Wahl ließ“.

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