1. Startseite
  2. Kultur
  3. Literatur

Doron Rabinovici: „Die Einstellung“ – Zählt das, was stimmt, oder das, was einstimmt?

Erstellt:

Von: Stefan Michalzik

Kommentare

Österreichische Politik scheint allemal durch in Doron Rabinovicis Roman „Die Einstellung“.
Österreichische Politik scheint allemal durch in Doron Rabinovicis Roman „Die Einstellung“. © AFP

Doron Rabinovicis Roman „Die Einstellung“ erzählt wendungsreich von Populismus und einer Gegenwehr, die ihrerseits populistisch ist.

Popp heißt der Mann nicht umsonst. Er spreche aus, sagt er selbst, was das einfache Volk denkt, weil die Elite verschweige, was das Land bedroht. Vom „Bevölkerungsaustausch“ eifert er und er wettert gegen das Unwesen internationaler Spekulanten. Und, na klar, es fällt das Wort von der „Lügenpresse“. Ulli Popp stelle die richtigen Fragen, sagen etliche Leute in „Die Einstellung“, dem neuen Roman des 1961 in Tel Aviv geborenen österreichischen Schriftstellers Doron Rabinovici. Popp, heißt es, habe ein offenes Ohr für die Probleme derer, die schauen müssten, wo sie bleiben – er gebe bloß die falschen Antworten.

Dieses Buch bietet ein pointiertes Abbild der Gesellschaft in Zeiten eines vermehrten Zuspruchs für die Populisten. Erzählt wird die Geschichte des renommierten Pressefotografen August Becker. Rabinovici geht es um die Macht der Bilder sowie um eine Schwarmdummheit, die sich im Internet artikuliert – auch seitens einer „politisch korrekten“ Linken, die in ihrem Rigorismus oft ihrerseits vorschnell und mit einer wenig differenzierten Wahrnehmung agiert.

Der Gewaltmensch

August Becker meidet das spektakuläre Motiv, es ist die Persönlichkeit hinter der Fassade des Porträtierten, die er demaskieren will. Ein treffliches Bild von Popp, den er für ein Nachrichtenmagazin fotografieren soll, ist ihm bei einem Bieranstich gelungen. Im Gesicht zeichnet sich ein Gewaltmensch ab. In dem Bild, befindet Becker wie auch Selma Kaltak, die als Flüchtlingskind ins Land gekommene Autorin der Titelstory, stecke das Potenzial, Popp die Wahl zu vermasseln. Das Magazin lehnt die Aufnahme jedoch ab und setzt ein harmloseres Foto auf den Titel.

Das Buch

Doron Rabinovici: Die Einstellung. Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2022. 224 Seiten, 24 Euro.

Unbeabsichtigt kommt es zu flüchtigen privaten Begegnungen mit dem Politiker. Über die politische Abscheu hinweg empfindet Becker ihn im Umgang als gewinnend. Arglos überlässt er das Bild Popp, der sich als Bewunderer seiner Arbeit zu erkennen gegeben hat.

Nun setzt eine strudelhafte Dynamik ein, an deren Ende der Fotograf moralisch desavouiert und beruflich erledigt dasteht. Ohne Absprache verwendet Popp das Bild für eine scharfmacherische Plakatserie in der Schlussphase des Wahlkampfs. Überraschend wird seine Partei zur zweitstärksten Kraft. Die Demoskopen schreiben den Wahlerfolg der Wirkung des Bildes zu. Als ein prominenter jüdischer Fürsprecher sich für die Integrität des Fotografen verbürgt, wird ihm unterstellt, auf die Barrikaden gehe er wohl einzig im Falle von Antisemitismus.

Die Figuren sind wie in einem guten Theaterstück deutlich konturiert, modellhaft verdichtet, eingebunden zudem in eine imponierend findungsreich konstruierte Handlung. Originell spielt Rabinovici mit Elementen einer wie unmittelbar aus der Wirklichkeit herausgeschnittenen „Authentizität“ in den demagogischen Phrasen Popps und der reflexhaften Kommunikation im Netz. Becker, so eine Stimme, sei die Leni Riefenstahl unserer Zeit. Solange er für das Nachrichtenmagazin arbeite, solle keiner es lesen. Für diesen Boykottaufruf gibt es viel Zustimmung. Zählt in unserer Zeit, fragt Avi Weiss, der prominente Jude, nicht mehr das, was stimmt, sondern nur noch das, was einstimmt?

Die österreichische Politik

Andeutungen mit Blick auf die österreichische Politik zum Trotz ist „Die Einstellung“ ein Roman um das Phänomen Populismus ohne klare lokale Zuordnung. Die ohne weiterreichende Ansprüche knappe und nüchterne Sprache Wünsche lässt Wünsche offen, eine Vater-Sohn- wie auch eine Liebesgeschichte wirken ohne eigenes Recht implantiert, zudem erscheint der Schluss schwach: eine arg pathetische Deklaration für die Presse als Institution der unbezwingbaren Kraft des freien Wortes. Ungeachtet dieser Einwände lässt sich „Die Einstellung“ gerade auch durch die Süffisanz, mit der Doron Rabinovici immer wieder auf unerwartete Wendungen zusteuert, mit erheblichem Gewinn und Amüsement lesen.

Auch interessant

Kommentare