Doireann Ní Ghríofa: „Ein Geist in der Kehle“ – Geburten und ein Tod

Doireann Ní Ghríofa und ihr seltsames, großartiges Buch „Ein Geist in der Kehle“.
Thugas léim go tairsigh / Three leaps, I took – the first to the threshold / Ich machte drei Sätze, den ersten zur Schwelle“: Exotisch mutet die erste der hier die gleiche Aussage transportierenden Sprachen an, es handelt sich um Irisch-Gälisch. Zwar eine indogermanische Sprache, aber ihr sehr rar gewordener keltischer Abzweig, deswegen ist sie uns so fremd. Wie bei ihren Schwestern in Wales, Schottland, der Bretagne bedarf es auch in Irland Anstrengungen, sie am Leben zu erhalten. In der Welt durchgesetzt hat sich die zweite der obigen Sprachen, Englisch (mit Gewalt und Verboten gegen das Irische durchgesetzt, aber das ist eine andere Geschichte). Die dritte Zeile ist von der englischen Übersetzung Doireann Ní Ghríofas aus weiter ins Deutsche übersetzt vom Musiker Jens Friebe.
Die hier drei Sätze tut, „Thugas léim go tairsigh“, aus der Tür, zu einer blutbeschmierten Stute, die Sprecherin und Schöpferin des „Klagelieds für Art Ó Laoghaire“ hieß Eibhlín Dubh Ní Chonaill, anglisiert Eileen O’Connell (c. 1743 - c. 1800). Sie war adelig, aber katholisch, religiöse Diskretion war für die Familie ein Muss. Mit 15 heiratete sie auf Wunsch ihrer Eltern einen weit älteren Mann, ein halbes Jahr später war sie Witwe, mit 23 verliebte sie sich in den stattlichen jungen Art, Hauptmann im Dienste Maria Theresias von Österreich – eine Liebe, die die Familie missbilligte. Die beiden brannten durch. 1773, sechs Jahre nach der Hochzeit, wurde Art Ó Laoghaire getötet.
Zwei Lebensgeschichten flicht die 1981 in Galway geborene, in Gälisch wie Englisch schreibende Lyrikerin und Essayistin Doireann Ní Ghríofa ineinander in ihrem seltsamen, großartigen Buch „Ein Geist in der Kehle“. Ein Roman ist dies nicht, am ehesten eine Autobiografie, die eine andere Biografie einschließt – das wenige, das man von der anderen, im 18. Jahrhundert lebenden Frau weiß.
Es beginnt mit dem noch einige Male auftauchenden Satz „Dies ist ein weiblicher Text“. Man mag sich wundern, denn würde ein Autor jemals schreiben: „Dies ist ein männlicher Text.“ Natürlich nicht. Die männliche Erfahrung ist seit Jahrhunderten der Standard, von ihr aus wird erzählt – und wenn ein Autor sich eine weibliche Hauptfigur ausdenkt, wird er dafür oft überproportional gelobt und bewundert.
Doireann Ní Ghríofa erzählt so poetisch, sprachmächtig, wie manchmal zum Zusammenzucken roh und drastisch von den Erfahrungen, die ein Mann nicht machen kann: Sie erzählt von sich als Schwangere, Gebärende, Stillende. Schmerzende. Erschöpfte. Zwischen dem Stillen ihrer Kinder pumpt sie Milch ab, schickt sie an die irische Milk Bank, die wiederum Neugeborenen-Intensivstationen beliefert. Das Abpumpen ist nicht angenehm, aber sie möchte helfen. Sie stellt sich vor, wie andere Eltern um bedürftige, krank geborene Babys bangen.
Drei Jungen hat Doireann Ní Ghríofa schon, als das vierte Kind, ein Mädchen, beinah im Mutterleib stirbt. Es kann gerade noch rechtzeitig geholt werden als Frühchen. Trotzdem möchte sie noch ein Kind, doch ihr Mann macht nicht mehr mit, lässt sich sterilisieren. Sie versucht, es ihm auszureden. Dann denkt sie auf seine Bitte „nochmal darüber nach“. Dann ist sie ihm dankbar. „Er befreit nicht nur sich selbst, er schneidet auch mich frei.“ Frei, ein Buch zu schreiben wie „Ein Geist in der Kehle“.
Das BUch
Doireann Ní Ghríofa: Ein Geist in der Kehle. A. d. Engl. v. Cornelius Reiber, Jens Friebe. btb 2023. 384 S., 24 Euro.
Es handelt von zwei freimütig geschilderten Besessenheiten: der eigenen Mutterschaft als jahrelange Schleife zwischen Schwangerschaft, Abstillen, Wickeln usw. (am Ende dankt Ní Ghríofa ihren Eltern, die verstehen, „dass ich mein eigenes Leben schreiben muss“), dazu der Beschäftigung mit Eibhlín Dubh Ní Chonaill, so unscharf und blass diese auch bleiben muss. Denn sie wird in Dokumenten, auch den Briefen ihrer Brüder nur ein, zwei Mal erwähnt – nicht einmal wann sie starb und wo sie begraben ist, ist überliefert. Also trägt Ní Ghríofa alles über Eibhlín Dubhs Kinder, zwei überlebende Söhne, und ihre Enkel zusammen.
Und beschließt ihr Buch mit den 36 Strophen des „Klagelieds für Art Ó Laoghaire“; in der deutschen Ausgabe ist es, siehe oben, in drei Sprachen abgedruckt.
Und wie modern es ist, wie frech und leidenschaftlich, der Text einer starken, stolzen, ihrem Begehren folgenden Frau. Die es nie bereut hat, mit diesem Mann – „mein Gefährte, mein Stierkalb“ – geflohen zu sein: „du ließest den Saal erstrahlen für mich,/ erhelltest das Schlafgemach für mich,/der Ofen war warm für mich,/ üppige Brote hoben sich“.
Seine Stute überbringt gleichsam die böse Nachricht und: „Thugas léim go tairsigh“. Sie reitet schnell, es hilft nichts: „Liebster, dein Blut floss in Sturzbächen,/ ich konnt’ es nicht wegschaffen, konnt’ es nicht aufwischen, nein,/ ich machte die Hände zu Tassen und, oh,/ ich trank und trank.“
Welche Liebe. Und welch großes Gedicht, das einem sogleich nicht mehr aus dem Kopf geht.