Dirk von Lowtzow über die Pandemie: Leichtigkeit des Seins

Dirk von Lowtzow liest am Schauspiel Frankfurt aus seinem Buch „Ich tauche auf“. Von Johanna Krause
Dicht an dicht sitzen gemütlich alle nebeneinander. Ohne Masken. Unisono-Klatschen schallt durch die Kammerspiele, als Dirk von Lowtzow mit offenem Blick die Bühne betritt. „Hallo Frankfurt – ich lese jetzt“ begrüßt der Tocotronic-Musiker drei Jahre nach seinen Aufzeichnungen das Publikum - die Lesung im Schauspiel Frankfurt ist ausverkauft. Es geht um das Jahr 2020 im autofiktionalen Tagebuchroman „Ich tauche auf“. Deutschland ist im Lockdown. Es ist die Zeit der Pandemie.
Der Autor greift zur Gitarre und spielt das erste Lied zum Buch „Sehnsucht nach unten“. „Ultra glamourös“, kommentiert er strahlend das Glitzerkabel, das von der Gitarre zum Verstärker führt. Berührend still wird es im halbabgedunkelten Raum, als er das Buch auf seinem Tisch daneben aufschlägt. Eine starke Mischung aus Vortragen und Gitarren-Spiel - so könnte der Abend zusammengefasst werden. Aber der Autor und Sänger liest nicht einfach nur vor. Er liest uns mit seiner klaren tiefen Stimme in die Erinnerung schwerer unsicherer Zeiten: in seine, in unsere.
„Ich will von diesem traurigen Jahr erzählen, als wäre es die schönste Zeit meines Lebens gewesen“, schreibt er zu Beginn in seinem Buch. Es ist ein Sammelsurium von Erinnerungen, Stimmungsbildern in Form von Notizen des Alltags: Chronische Rückenschmerzen, die er mit Osteopathie versucht zu lindern, sind das Leitmotiv. Er erzählt von der existenzbedrohenden Selbstoptimierung, der senilen Bettflucht der Sommerdepression. Dann von den allseits bekannten, ewigen Spaziergängen mit Hoffnung auf Austausch. Einmal ruft ein Fan „Dirk, Dirk, Dirk“, und die Begleitung schreit „Nein, doch nicht die Hand geben“.
Heim als Expeditionsraum
Bei der Anekdote zu Delirien im Hotelzimmer mit seiner Band, in dem sie wie echte Rockstars ein Fernseher aus dem Fenster werfen wollten fangen alle im Publikum an zu lachen. Auch über das Aggressionspotenzial das er im Rückblick erkennt heute benennt. Traurig und amüsant ist dieser Moment. Der Subtext sind die abgesagten Konzerte, wo keiner annähernd weiß, wann sie wieder stattfinden werden.
In einem Abschnitt wird die Wohnung zur Expedition. Jeder Winkel wird neu entdeckt, die eigentlich schon immer dagewesen sind. Dann wiederum schweifen die gelesenen Passagen ins Fiktive ab: Wer ist das Bärchen in seiner Wohnung? Noch ein Kuscheltier aus der Kindheit oder vielleicht eine Abspaltung der eigenen Persönlichkeit? Später erschafft er Poesie in die Schwere des Materials und erzählt vom „Zitronenfalter im ICE“, der eingeschlossen im Zug den Weg nicht nach draußen findet und einen Augenblick der Schönheit erfasst.
Dieser Abend hat eine Gemeinsamkeit: Alle haben die pandemische Zeit durchlebt und Hand aufs Herz; die meisten sind froh, sich keine Corona-Geschichten mehr freiwillig antun zu müssen. Aber es sind die Erinnerungen vom Kleinen ins Kleinste, wenn man an den deutschen Philosophen Walter Benjamin denkt, der in jeder neuen kleinen Falte eines aufgeklappten Fächers, die eigentlichen gewaltigen Glieder der Erinnerung findet. Sie werden oft vergessen, würde man sie nicht aufschreiben. Dirk von Lowtzow hat sie für uns aufgeschrieben. Er hat für Leichtigkeit in der Schwere unseres Kollektivgedächtnisses gesorgt.