Die ganze Welt in einer Hirnschale

Stephan Mögle-Stadel über Dag Hammarskjölds kosmopolitische Vision.
Nur ein Mal wurde der Friedensnobelpreis postum verliehen. Es geschah vor gut sechzig Jahren, am 10. Dezember 1961. Laureat war der schwedische UNO-Generalsekretär Dag Hammarskjöld, der drei Monate zuvor bei einem Flugzeugabsturz im Grenzgebiet zwischen Kongo und Nordrhodesien ums Leben kam. Genauer: ermordet wurde im Auftrag eines westeuropäischen Bergbaukonzerns, wie die Monografie „Dag Hammarskjöld. Pionier einer Menschheitspolitik“ glaubhaft machen kann.
Das Buch hat eine interessante Metamorphose durchlaufen. Die Erstausgabe platzierte der Autor Stephan Mögle-Stadel beim anthroposophischen Verlag Urachhaus. Eine revidierte Fassung erscheint nun im stramm humanistischen Angelika Lenz Verlag. Offensichtlich der neuen Umgebung geschuldet sind durchgängige „Berichtigungen“ von Stellen, in denen der Christ Hammarskjöld von „Gott“ spricht und Mögle-Stadel eine Art Weltgeist oder Menschheitsseele daraus macht. Womit klar ist: Hier geht es weniger um die politische Biografie des großen Mannes als um sein Denken.
Das Buch:
Stephan Mögle-Stadel: Dag Hammarskjöld, Pionier einer Menschheitspolitik. Angelika Lenz Verlag 2021. 235 S., 19,90 Euro.
Für einvernehmliche Politik
Das interessant genug ist. Hammarskjölds Tagebuch „Zeichen am Weg“ wurde postum zum Welterfolg. Korrespondenzen mit bedeutenden Schriftstellern weisen Hammarskjöld selbst als solchen aus. Sein Einfluss als Mitglied des Komitees für den Literaturnobelpreis führte, wie man heute weiß, zur Verleihung desselben an Boris Pasternak. Falsch wäre es, schreibt Mögle-Stadel, daran eine „westliche“ Gesinnung oder gar Beauftragung des Schweden abzulesen. Dessen erste Amtshandlung war ein Hausverbot für McCarthys FBI auf dem exterritorialen New Yorker UNO-Gelände. USA und UdSSR entwickelten einen identischen Hass auf den Mann, der den globalen Süden stärken wollte, weil er eine einvernehmliche Weltpolitik für zukünftig geboten hielt. Wie der sowjetische Außenminister Gromyko 1961 befürchtete, „hält er sich eines Tages vielleicht für den Ministerpräsidenten einer Weltregierung“.
Tat er das? Mögle-Stadel gibt eine zweifache Antwort. Zum einen war für Hammarskjöld die Epoche der Nationalstaaten definitiv vorbei. In der UNO, aber nicht nur dort entwickelte sich ein kosmopolitisches Denken, demzufolge die Welteinheit sowohl persönlich gelebt als auch politisch verwirklicht werden muss, falls die Menschheit ihre Probleme noch lösen will. Dieses Denken war ein überwiegend spirituell gegründetes. Mag die UN-Beamtenschaft zeitweise einer Sekte geähnelt haben, immerhin entwickelte sie eine Vision, die heute schmerzlich fehlt. Zum anderen jedoch sah Hammarskjöld sein Scheitern, auch seine Ermordung beunruhigend klar voraus. Zu lesen, wie genau es dazu kam, lohnt bereits den Kauf des Buches – und entschädigt für einigen Ärger mit dessen esoterischem Mitteilungsdrang.