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Deutscher Buchpreis für Antje Rávik Strubel und die „Blaue Frau“: Spielen erwünscht

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Von: Judith von Sternburg

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Ja, sie ist’s: Antje Rávik Strubel als Gewinnerin des Deutschen Buchpreises 2021 am Montagabend im Kaisersaal im Frankfurter Römer.
Ja, sie ist’s: Antje Rávik Strubel als Gewinnerin des Deutschen Buchpreises 2021 am Montagabend im Kaisersaal im Frankfurter Römer. © AFP

Antje Rávik Strubel gewinnt den Buchpreis und wünscht uns so viel Beweglichkeit, wie die Sprache schon hat.

Antje Rávik Strubel, die am Montagabend im Frankfurter Römer mit ihrem Roman „Blaue Frau“ (FR. v. 12.10.) den Deutschen Buchpreis gewann, war einerseits sprachlos, andererseits überhaupt nicht. Vielmehr hatte sie eine Rede zur Hand.

Dabei, betonte sie, könne sie nicht einfach ein wenig über Sprache reden, was sie es gerne getan hätte, sondern müsse über jenen Krieg sprechen, der gegenwärtig um Sprache und die Frage geführt werde, wer wir seien, wer wir seien dürften. Dies geschehe mit viel Hass und Gewalt. Das sei zwar normal und Krieg schon um weniger geführt worden. Die Frage sei aber, ob hier nicht das Ende der Meinungshoheit für das Ende der Meinungsfreiheit gehalten werden, so Strubel sehr griffig. Sprache, sagte die 47-Jährige, sei beweglicher und wandelbarer als wir (wir Menschen), die sie doch angeblich erfunden hätten. Sie und Rávik, so Strubel, seien jedenfalls beide Schriftstellerinnen, keine Schriftsteller, und gelegentlich zeichne man sie mit einem Sternchen aus. Das Spielen mit Sprache, sagte sie noch, sei erwünscht. Sie dankte ihrem Verlag S. Fischer, ihrer Agentin und der 2017 verstorbenen Silvia Bovenschen, der das Buch gewidmet ist.

Sprache für die Sprachlosigkeit: Das ist zugleich ein Thema des Romans „Blaue Frau“, einem Buch, in dessen Kern das traumatische Erlebnis einer Vergewaltigung steckt, auf das eine junge Tschechin nur mit einem rigorosen Rückzug reagieren kann.

Ihre wechselnden Umgebungen hindert das nicht daran, sie als Projektionsfläche zu verstehen, wobei „Blaue Frau“ mit einem anrührenden Optimismus endet. Zu enden scheint. Ein komplexer Roman, acht Jahre hat die Schriftstellerin daran gearbeitet, das eigenartig Überambitionierte an der Konstruktion, die dann eben auch etwas Konstruiertes hat, hat die Jury offenbar nicht gestört. Vielleicht verdankt sich das der „Blauen Frau“ selbst, der vermutlich merkwürdigsten Titelheldin des Jahres, einer mythischen, aber angenehm vernünftigen Figur, die der Tschechin als Gesprächspartnerin zur Verfügung steht. Gelegentlich, und zwar an den schönsten, wunderlichsten, abgeklärtesten Stellen des Buches.

Da sich die Welt nun den Kopf darüber zerbrechen wird: Strubel selbst ließ vorab an die Farbe von Wasser und auch von Tinte denken, überhaupt ans Schreiben.

Die Autorin, hieß es zur Begründung, schildere die Flucht der jungen Frau vor ihren Erinnerungen „mit existenzieller Wucht und poetischer Präzision“, „Schicht um Schicht“ lege der „aufwühlende Roman das Geschehene frei. Die Geschichte einer weiblichen Selbstermächtigung weitet sich zu einer Reflexion über rivalisierende Erinnerungskulturen in Ost- und Westeuropa und Machtgefälle zwischen den Geschlechtern“. Es gelinge Strubel, „das eigentlich Unaussprechliche einer traumatischen Erfahrung zur Sprache zu bringen“. Literatur erweise sich dabei als „fragile Gegenmacht“.

Im Kaisersaal war wieder etwas Publikum zugelassen, was für ausgelassene Stimmung sorgte. Die Branche, erklärte Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins, sei optimistisch aus Prinzip, aber es sei doch gut gewesen, vor einem Jahr nicht zu wissen, wie lange es noch dauern würde.

D er Buchpreis ist mit insgesamt 37 500 Euro dotiert, 25 000 gehen an die Gewinnerin, je 2500 an die fünf anderen von der Shortlist, Norbert Gstrein, Monika Helfer, Christian Kracht, Thomas Kunst und Mithu Sanyal.

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