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„Der heutige Tag“ von Helga Schubert: Die Liebe eifert nicht

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Von: Cornelia Geißler

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Helga Schubert. Foto: Renate von Mangoldt
Helga Schubert. Foto: Renate von Mangoldt © Renate von Mangoldt

Helga Schubert und ihr Buch „Der heutige Tag“.

Sie könne ihrem Mann „einfach ein paar Tropfen Morphium mehr geben“, riet vor Jahren ein Mediziner, schreibt Helga Schubert. Und der Palliativarzt besorgte einen Platz im Hospiz, so wäre sie von der täglich fordernden Verantwortung befreit. Aber dort wollte ihr Mann nicht bleiben. Er kam wieder zurück in das einst von Berlin aus als Feriendomizil erbaute Haus im Norden, in dem der Psychologe und Maler zusammen mit seiner Frau, der Psychologin und Schriftstellerin, längst dauerhaft in Abgeschiedenheit lebt. „Ich liebe ihn sehr“, schreibt Helga Schubert. Der Satz enthält das Versprechen, seine Wünsche zu respektieren.

„Der heutige Tag“ heißt das Buch. Aus dem Tag heraus erzählt wirkt vieles, wenn die Autorin das Wiederkehrende und Notwendige aufführt. Der morgendliche Besuch der Pflegeschwester, das sorgsam vorbereitete Frühstück, der Weg mit dem Rollstuhl durch den Garten, Medikamentengabe, Händestreicheln. Das Abendritual, an das sich für sie die Zeit am Laptop anschließt, wenn sie zum Schreiben kommt. Helga Schubert, Jahrgang 1940, ist als Schriftstellerin aus dem Vergessen wiederaufgetaucht, als sie 2020 den Ingeborg-Bachmann-Preis erhielt.

Dann hat sie mit „Vom Aufstehen“ einen Bestseller vorgelegt, dann hat dtv ihre früheren Bücher wieder herausgebracht, und nun, im neuesten, erzählt sie von einem alten Liebespaar. Das Ich ist sie selbst, und doch eine literarische Figur. Der Mann ist ihr Mann, und doch verfremdet: „Wann kommt sie wieder, fragt er mich, fragt mich der, den ich so liebe: Ich nenne ihn Derden. Ich habe den Namen gegoogelt: Es gibt ihn noch nicht. Derden fragt mich nach mir, denke ich erschrocken, er erkennt mich nicht.“ Ein Paar sind sie seit 58 Jahren, 47 Jahre davon verheiratet. „Hast du schon einmal meine Bilder gesehen?“, fragt er. „Ja, ich war bei jedem Bild dabei, das du gemalt hast.“ In Rückblicken erzählt sie vom Anfang ihrer Liebe. Auf der Gegenwartsebene setzt Helga Schubert fort, was ihre Leserinnen aus „Vom Aufstehen“ kennen: die meist positiv gestimmte Schilderung des Alltags an der Seite eines Schwerstkranken. Weder Zurückweisungen durch andere, noch Unfälle ihres Mannes vermögen sie niederzudrücken.

Das Buch:

Helga Schubert: Der heutige Tag. Ein Stundenbuch der Liebe. dtv, München 2023. 264 Seiten, 24 Euro.

Irritierendes Pathos

Manchmal scheint eine leichte Überlegenheit durch. Über die Haushaltshilfe sagt sie: „Bis dass der Tod euch scheide, diese Redewendung, nehme ich an, kennt sie nicht.“ Manche Kleinigkeit bekommt ein irritierendes Pathos zugewiesen. Als sie ein Glas selbstgemachtes Quittengelee öffnet, beschert ihr der Gedanke an die Schenkende „das erlösende Gefühl einer Befreiung von Groll, von Beleidigtsein, Nachtragen, von Hochmut“. Überwiegend aber können aus ihren Beobachtungen und Reflexionen auch andere Menschen Kraft schöpfen.

Für den Untertitel „Ein Stundenbuch der Liebe“ benutzt Helga Schubert einen Begriff aus religiösen Zusammenhängen. Das erklärt den ruhigen Ton ohne Spannungsbogen. Eine seltene scharfe Bemerkung wie über die DDR als „Diktatur der Gartenzwerge“ fällt dadurch umso mehr auf.

Anlässlich einer Beerdigung zitiert Helga Schubert aus dem ersten Brief des Paulus an die Korinther die Gedanken zu Glaube, Liebe, Hoffnung. In jenem Abschnitt im Neuen Testament finden sich Zeilen, die wie eine Interpretation dieses Buches wirken: „Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf.“ Das gilt auch ohne Religion.

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