Der Dichter John Donne: Wir, des Weltalls Inbegriff

Der Tod ist unlogisch, das Denken tanzt, und unter den Wörtern pocht das verletzte menschliche Herz: Zum 450. Geburtstag von John Donne.
Sie erinnern sich an „Yesterday all my troubles seemed so far away“? Die Ballade von Paul McCartney, die die Beatles im Jahr 1965 auf ihrem Album „Help!“ veröffentlichten, ist der am meisten gecoverte Song der Popgeschichte. Es ist das traurige Lied eines Mannes, der von seiner Freundin verlassen wurde. Er erinnert sich an „yesterday“, als sie noch bei ihm war.
John Donne, der am heutigen Samstag vor 450 Jahren in London geboren wurde und am 31. März 1631 dort starb, gilt vielen als der nach Shakespeare bedeutendste englischsprachige Lyriker. So sahen das jedenfalls einige von denen, die der modernen Literatur den Weg bereiteten, T.S. Eliot zum Beispiel oder Virginia Woolf. Die schrieb 1931 zum 300. Todestag: „Die erste uns anziehende Qualität seiner Lyrik liegt nicht in ihrer Bedeutung, so aufgeladen sie auch ist mit ihr, sondern in etwas Unvermischten und Unmittelbaren: Es ist die Explosion, mit der sie ins Sprechen platzt.“ Für den russischen Literaturnobelpreisträger Joseph Brodsky, der Gedichte Donnes übersetzte und eine große Elegie auf ihn schrieb, war er „eine der größten Gestalten der Weltliteratur“.
In der ersten Zeile des ersten seiner 1633 veröffentlichten „Heiligen Sonette“ fragt Donne Gott angesichts der Sterblichkeit des Menschen: „Du hast mich gemacht. Soll dein Werk vergehen?“ Ein paar Zeilen weiter heißt es „Ich renne in den Tod, der Tod rast mir entgegen, „and all my pleasures are like yesterday“. Das ist weit weg von Paul McCartney, aber doch so nah, dass es einem auffallen muss.
John Donne, der viel – in Lyrik und in Prosa – schrieb über Frauen, die ihre Männer verlassen, schrieb immer im Gedanken an das Ganze. Jedes Detail – die Fliege im Dekolletee eine Dame – wurde eingebettet ins All von Himmel und Erde, von Gott und der Welt. Eine Liebe ohne Gott war unmöglich für Donne. Nicht weil er sie entfleischlichte, sondern weil sein Gott auch einer des Fleisches war.
John Donne wurde als Katholik geboren. Er wurde zu einem anglikanischen Geistlichen, 1621 wurde er gar Dekan der St. Paul’s Cathedral in London. Das war ein Akt geglückter Anpassung. König Jakob I. betrieb schließlich die Anglikanisierung Großbritanniens systematisch: 1604 wurden alle katholischen Priester verbannt. Die vom König in Auftrag gegebene King James Bibel machte seit 1611 jedem Briten klar, was Gottes Wort war. Katholiken wurden verfolgt. Sie hatten keine Aussicht mehr auf ein Staatsamt. Ohne das konnte ein Autor nicht leben.
Aber John Donne hatte sich Zeit gelassen für seinen Konfessionswechsel. Er hatte die Heilige Schrift und die Schriften der Heiligen studiert. Er verfolgte die neuesten Entwicklungen in Religion, in Wissenschaft und in Politik. Er analysierte und kommentierte sie in Abhandlungen, Gedichten, Predigten, ausführlichen Briefen an Freunde, zu denen unter anderem der Theaterautor Ben Jonson und Galileo Galileis Freund, der Ordensbruder Paolo Sarpi, gehörten.
John Donne war ein witziger Kopf, ein Meister der Satire, und er war fromm. Er glaubte an das Jenseits, und er verteidigte den Freitod. Alles das und noch viel, viel mehr.
Donne machte es sich nicht einfach, und er ist bis heute kein Autor, für die, die es einfach mögen. Er liebt es, wenn sein Denken tanzt, wenn alles pulsiert. Die Sätze stehen nicht aufgereiht hintereinander. Sie treiben einander hervor. Er liebt die Ausfallschritte zu verblüffenden Assoziationen. Er mag es, Wörter aus ihrem Zusammenhang zu reißen und in andere zu stellen,
1807 schrieb Hegel in seiner Vorrede zur „Phänomenologie des Geistes“: „Das Wahre ist so der bacchantische Taumel, an dem kein Glied nicht trunken ist.“ Das war zwar nicht so gemeint, ist aber doch eine sehr treffende Charakteristik von Donnes Art, Literatur zu machen. Jedenfalls näher an dem englischen des 17. Jahrhunderts als an dem schwäbischen Professor um 1800.
Der Taumel kommt daher, dass beide ums Ganze kämpften. Es mussten das Wahre, das Schöne und das Gute zusammenkommen. Ohne Gott ist so etwas nicht zu denken und schon gar nicht zu spüren. Zu einem solchen Gott aber gehört die Gottlosigkeit dazu, also der ständige Zweifel, ob da wirklich einer sei, der sich zuständig fühle für das Leben. En Gros und en Detail. Der Umgang mit solchen Gedanken lässt einen leicht die Richtung verlieren. Wer da nur taumelt, kann von Glück reden, dass er sich nicht zu all jenen in die Hölle Gestürzten gesellt.
Wer nicht bereit ist, mit Donne zu glauben und mit ihm nicht zu glauben, dem wird er schnell zu unruhig, zu wissensdurstig, zu kompliziert. Der merkt nicht, wie Donne vibriert. Wir Heutigen haben es schwer. Wir haben nicht nur nicht gelesen, was Donne gelesen hat, wir sind auch nicht ergriffen von dem, was ihn ergriff. Ja, sein Ergriffensein selbst scheint vielen von uns als eine abgelesene, ausgeborgte Ekstase. Auch über sie schrieb Donne immer wieder Gedichte.
Wer in seiner gegenwärtigen Coolness abgeholt werden möchte, der wird vorbeifahren an John Donne, dem wird das Geschick, mit dem Donne mit immer neuen Assoziationen spielt, bestenfalls an einen Artisten erinnern, der mit sieben oder gar mehr Bällen jongliert. Aber er wird nicht merken, dass durch all das Papier, all die Reime und Formen hindurch, immer wieder die Sicht frei wird auf das verletzte, pochende menschliche Herz und die Milliarden mit ihm und gegen es immerfort streitenden kleinen grauen Zellen des Verstandes. „Du Sonne bist nur halb so froh/ Wie wir, des Weltalls Inbegriff“, heißt es in „Der Sonnen-Aufgang“ (in der Übersetzung von Werner von Koppenfels).
Wer den direkten Zugriff möchte, der hat das Leben nicht verstanden. Der Wahrheit musst du Fallen stellen, sagt John Donne, um ihrer ansichtig zu werden – in einem Text von ihm hat Galileo Galilei seinen ersten Auftritt in der englischen Sprache.
Diese Poetik ist immer modern. Sie lebt in dem Bewusstsein, dass das Neue nicht erschlossen wird vom zügigen Vormarsch, der ja nur auf bereits gebahnten Wegen möglich ist, sondern allein in der Kritik des Vorhandenen, im In-Frage-Stellen dessen, was ist.
„Die ganze Welt“, schreibt Donne, „ist ein Theater, und jede Kreatur ist die Bühne, das Medium, das Glas, in dem wir Gott erkennen können.“ Beim Blick auf die Fliege im Dekolletee der Dame weiß der Dichter, dass die Engel nicht eine so süße Nahrung saugen, wie diese Fliege es tut. Das ist höfische Liebeslyrik, gewürzt mit einer ordentlichen Portion Blasphemie.
Gott liebte den menschlichen Körper so sehr, dass er Mensch wurde, also haben wir kein Recht dazu, einen menschlichen Körper zu foltern, auszupeitschen oder auch durch Arbeit zu quälen. So hörten sich Donnes Predigten an.
Eine seiner berühmtesten Prosapassagen hat gleich zwei späteren Autoren als Titellieferant gedient; „Niemand ist eine Insel, in sich ganz; jeder Mensch ist ein Stück des Kontinents, ein Teil des Festlandes. Wenn eine Scholle ins Meer gespült wird, wird Europa weniger, genauso als wenn’s eine Landzunge wäre, oder ein Landgut deines Freundes oder dein eigenes. Jedes Menschen Tod ist mein Verlust, denn ich bin Teil der Menschheit; und darum verlange nie zu wissen, wem die Stunde schlägt; sie schlägt dir selbst.“ Johannes Mario Simmel verwendete 1948 „Niemand ist eine Insel“ für einen Erzählungsband und Ernest Hemingway 1940 „Wem die Stunde schlägt“ für seinen Roman aus dem den Spanischen Bürgerkrieg.