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„Darling, it’s Dilius!“ von Friedrich Christian Delius: Die Lage entzerren

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Von: Eberhard Geisler

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Friedrich Christian Delius mit Tiara, ach nein, mit seinem Buch „Die linke Hand des Papstes“, 2013.
Friedrich Christian Delius mit Tiara, ach nein, mit seinem Buch „Die linke Hand des Papstes“, 2013. © imago stock&people

Bloß kein Gebrüll! In sympathischer Entspanntheit ordnet Friedrich Christian Delius seine Erfahrungen.

Als der Autor 2011 mit dem größten deutschen Literaturpreis geehrt wird, fallen ihm unwillkürlich frühere Zeiten ein, in denen er gerne nach Rom gereist war, und er hält in seinem Notizbuch fest: „Gelegentlich dachte ich in Rom daran, mir einen Anzug nach Maß schneidern zu lassen, einmal im Leben. Erst der Büchner-Preis gab den letzten Anstoß, zu einem Schneider an der Piazza Istria zu gehen.“

Da fühlt man sich beim Lesen noch einmal an die siebziger Jahre erinnert, als die undogmatische Linke, zu deren bedeutendsten Vertretern Delius gehörte, auf Schlips und Anzug verzichtete, um ein Zeichen gegen die alte Bundesrepublik zu setzen, die, unlängst aus dem Nationalsozialismus entlassen, wenig Anstalten machte, einen wirklich demokratischen Neuanfang zu wagen. Friedrich Christian Delius, in Rom geboren, hatte sich aber zugleich von italienischer Unbeschwertheit und Eleganz faszinieren lassen, und so weht immer wieder Leichtigkeit in seine Texte hinein, in denen er es sich mit dem Alten, Unbewältigten manchmal hatte schwertun müssen.

In seinem neuen Buch, das nach seinem Tod im Mai 2022 jetzt posthum erschienen ist, hat er verschiedene Aufzeichnungen zusammengestellt, deren Thema jeweils mit dem Buchstaben A beginnt. Er dürfte sich bewusst gewesen sein, dass Jorge Luis Borges eine Erzählung über das Aleph geschrieben hat, ein Zeichen, das Totalität verheißt, und hatte diese hehre Anspielung zugunsten größter Bescheidenheit vermeiden wollen: „Hier also der Zufallsgenerator des Anfangsbuchstabens A für eine ‚Selberlebensbeschreibung“ (Jean Paul), die aus Hunderten von Fragmenten ein Mosaik zusammenfügt.“

Zu Claudio Abbado notiert er, wie dankbar er dem Dirigenten sei, der Berlin als Ort der Neugier und ständiger Veränderung gepriesen hatte: „Vielleicht wirken Abbados Worte auch deshalb so stark, weil der Dirigent die ganze sprachlose Autorität der großen Komponisten hinter sich weiß. Spricht Abbado, sprechen aus seiner Stimme auch Beethoven e tutti quanti.“

Das Buch

Friedrich Christian Delius: „Darling, it’s Dilius!“ Erinnerungen mit großem A. Rowohlt Berlin, 2023. 320 Seiten, 24 Euro.

Ebenso gehören Bemerkungen zu Hermann Josef Abs dazu, der lange Chef der Deutschen Bank gewesen war und auf dessen enge Kooperation mit den Nationalsozialisten Delius in seinem Buch „Unsere Siemens-Welt“ aufmerksam gemacht hatte. Folge war eine fünf Jahre währende juristische Auseinandersetzung mit Siemens gewesen, nach deren Abschluss ein paar unrichtige Zitate zurückgenommen werden mussten, der Vorwurf, der Banker habe sowohl die Wirtschaftspolitik des Dritten Reichs als auch der Adenauer-Zeit beeinflusst, aber unwiderlegt geblieben war.

In politischen Dingen auf der Hut sein, aber doch auch für Schönheiten oder erfreuliche neue Entwicklungen offen, das ist das Lebensprinzip dieses Autors gewesen. Dabei gewinnt man den Eindruck, dass er in dem, was er notierte, mit Deutungen eher zurückhaltend gewesen ist. Unterhaken war ihm angenehmer als das Feilen an Einsichten, die in Stein gemeißelt werden sollen.

Diese sympathische Entspanntheit teilt sich in diesem Buch mit. Delius hat nicht einsam um Deutung gerungen, aber im Austausch mit anderen sehr wohl Deutung gehabt. Auf zauberhafte Art und Weise wird das deutlich, wenn er von einem Gespräch mit Gisela von Wysocki berichtet, die mit ihrem Projekt, einen Roman über ihren verehrten Lehrer Adorno zu schreiben, ins Stocken geraten ist, und er ihr unaufdringlich weiterhelfen kann: „Als Gisela von Wysocki bei einem Essen mit Freunden von den Schwierigkeiten beim Schreiben eines Romans über Adorno erzählte, unterlief mir eher nebenbei ein Vorschlag, wie Adorno bildlich-literarisch zu packen sein könnte. Der erwies sich als produktiv und befreite die Autorin von ihrer Adorno-Blockade. Ihr wunderbarer Roman ‚Wiesengrund‘ erschien 2016. Und wieder war ich froh, kein Adorno-Schüler gewesen zu sein.“

Delius, Jahrgang 1944, war noch zu einer Zeit geboren, in der der öffentliche Diskurs als Gebrüll auf die Deutschen niedergegangen war, und feinfühlig dürfte er wahrgenommen haben, dass Adorno, entschiedener Gegner der Nazis, von einer derart vermittlungs- und kompromisslosen Rede selbst keinesfalls frei gewesen war. Rügen, was zu rügen ist, aber die Lage entzerren, sich an Italien erinnern, mit anderen plaudern, wenn sie nur nicht in Gebrüll verfallen, das ist Delius’ freundliche Botschaft.

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