Daniel Kampa: „Der Zusammenschluss ist eine Überlebensstrategie“

Der Schweizer Verleger zum Kauf der Verlage Schöffling und Jung und Jung – und über die große Zukunft der kleinen Häuser
Herr Kampa, Sie sind ein mutiger Mann. In einer Zeit, da der Börsenverein des Deutschen Buchhandels über immer weniger Buchkaufende klagt, erwerben Sie zwei traditionsreiche Verlage, Jung und Jung in Salzburg und Schöffling in Frankfurt. Was treibt Sie an?
Es ist keine Frage des Mutes. Obwohl natürlich die Lage für literarische Verlage immer schwieriger wird. Ich war überhaupt nicht auf der Suche nach lohnenden Kaufobjekten. Vielmehr habe ich die Chancen ergriffen, als sie sich geboten haben. Aber erste Überlegungen in diese Richtung gab es tatsächlich schon, bevor ich 2018 meinen eigenen Verlag in Zürich gründete. Schon damals habe ich Gespräche mit anderen kleinen Verlagen geführt, um auszuloten, ob wir nicht zusammenarbeiten können.
Was soll diese Zusammenarbeit bewirken?
Es wird immer schwieriger, Bücher zu machen. Es ist sehr viel administrative Arbeit nötig, es gibt sehr viel Bürokratie. Die Frage, ob wir, die kleinen Verlage, nicht zusammenarbeiten können, bei der Herstellung, beim Vertrieb, im Bereich Lizenzen etwa, drängt sich da geradezu auf. Alle kleinen Häuser stehen schließlich vor denselben Herausforderungen.
Es geht also darum, in Zukunft Geld zu sparen?
Es geht darum, Ressourcen zu sparen, nicht nur Geld. Wir wollen etwas wagen, literarisch. Wir wollen Bücher machen, die nicht sofort Geld abwerfen. Wir wollen die Bücher wagen, die die großen Verlage, die großen Verlagstanker nicht riskieren. Was wir brauchen, ist Zeit. Bücher kann man nicht schnell machen. Aber leider stehen wir alle, die ganze Branche, unter einem großen Zeitdruck. Alle leiden darunter, dass sie zu wenig Zeit haben, z. B. um die persönlichen Kontakte zu Autorinnen und Autoren zu pflegen. Die Situation für literarische Verlage wird auch in Zukunft nicht einfacher werden. Es geht deshalb darum, die Kräfte zu bündeln. Zusammen sind wir stärker. Und mir persönlich geht es auch darum, auf diese Weise meinen eigenen Verlag abzusichern.
Jung und Jung wie auch Schöffling pflegen ganz bewusst Autorinnen und Autoren, die eher eine Außenseiterposition auf dem Buchmarkt innehaben. Ich denke bei Jung und Jung etwa an Dagmar Leupold oder Ursula Krechel, bei Schöffling etwa an Ror Wolf oder an den Lyriker Paulus Böhmer. Werden Sie diesen literarischen Anspruch halten und verteidigen?
Unbedingt! Beide Verlage verfügen über großartige Autorinnen und Autoren und eine beeindruckende Backlist. Ich mache auch in meinem eigenen Verlag Bücher, die sich nicht sofort rechnen. Wir werden in Zukunft auf drei Märkten vor Ort präsent sein: in Deutschland, in der Schweiz und in Österreich. Von dieser Nähe zum Buchhandel werden wir profitieren. Jung und Jung hat zum Beispiel bisher nur einen kleinen Umsatz in der Schweiz gehabt. Ich bin überzeugt davon, dass es gelingen wird, diesen Umsatz von unserem Standort Zürich aus in kurzer Zeit mindestens zu verdoppeln.
Klaus Schöffling hat sich über Jahrzehnte für Autorinnen und Autoren eingesetzt, die nach der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft vergessen und verdrängt worden waren. Werden Sie diesen Programmschwerpunkt beibehalten?
Auf jeden Fall. Er ist ein wichtiger Eckpfeiler des Programms und ein Imageträger des Verlages, er gehört zu seiner DNA. Das Gute ist ja auch, dass sowohl Klaus Schöffling als auch Jochen Jung den Übergang begleiten werden und nicht von heute auf morgen verschwinden. Sie haben mir nicht weniger als ihre Lebenswerke anvertraut. Ich bin mir der großen Verantwortung, die mit der Übernahme einhergeht, sehr bewusst.
Was wird mit der Lyrik, dem anderen Markenzeichen des Schöffling Verlages? Mit Lyrik, so heißt es ja immer wieder, lasse sich überhaupt kein Geld verdienen.
Wer Geschäfte machen will, gründet sowieso keinen Literaturverlag. Ich halte es hier mit Klaus Schöffling, der immer wieder Maria Gazzetti zitiert: „Ihr lest keine Lyrik, seid ihr wahnsinnig?“ Lyrik zu verlegen grenzt vielleicht an wirtschaftlichen Wahnsinn, aber sie wird weiterhin einen prominenten Platz im Schöffling Verlag haben.
Wird die Zukunft den kleinen Verlagen gehören und nicht mehr den großen Tankern?
Davon bin ich überzeugt. Wer geht denn Risiken ein, wer kümmert sich um den literarischen Anspruch? Wer kann wendiger und schneller sein?
Ihr Verlag ist erst drei Jahre alt. Sie haben aber die polnische Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk im Programm, sie pflegen die antiguanisch-amerikanische Schriftstellerin Jamaica Kincaid und den vergessenen Witold Gombrowicz, einen der großen polnischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts.
Zur Person
Daniel Kampa wurde 1970 in Luxemburg als Sohn polnischer Eltern geboren. Nach der Tätigkeit bei verschiedenen Verlagen und Literaturagenturen in New York und London kam er 1994 zum Diogenes Verlag. 1997 wurde er Assistent des Verlegers Daniel Keel, von 2005 bis 2013 war er Mitglied der Diogenes-Geschäftsführung. Von 2013 bis 2017 arbeitete er als Verleger bei Hoffmann&Campe.
Den Kampa Verlag gründete er 2018 in Zürich. Zu den Autorinnen und Autoren zählen William Boyd, Tessa Hadley, Louise Penny, Joseph Roth, Georges Simenon, Olga Tokarczuk und Virginia Woolf. In der Reihe Kampa Salon=Gespräche erschienen bisher Bände unter anderem mit Peter Bichsel, Joan Didion, Susan Sontag, Siri Hustvedt und Claude Lévi-Strauss.
Olga Tokarczuk war – trotz ihres literarischen Erfolgs in Polen und im Ausland – einige Zeit vor der Ehrung mit dem Nobelpreis im deutschsprachigen Raum verlegerisch heimatlos geworden. Und Witold Gombrowicz ist einer meiner Hausgötter, schon mein Leben lang. Es war ein Jugendtraum von mir, einmal Bücher von ihm zu verlegen. Ich möchte mir ein solches Programm mit diesem literarischen Anspruch leisten. Da sind Klaus Schöffling, Jochen Jung und ich uns sehr einig.
Verstehen Sie den Zusammenschluss der drei Verlage, den Sie nun bewerkstelligt haben, als Kampfansage an die großen Verlagshäuser?
Wir kleineren Verlage stecken in einem Dilemma. Die Autorinnen und Autoren erwarten von uns zu Recht, dass wir genauso gut und professionell arbeiten wie die großen Häuser. Wir müssen sogar noch besser sein. Und wir wollen persönlicher arbeiten, die Kontakte zu den Autorinnen und Autoren besser pflegen. Nehmen sie als Beispiel den großen englischen Erzähler William Boyd ...
... den Sie seit der Gründung Ihres Verlags im Programm haben und der im März 70 wird ...
... er hatte in der großen Verlagsgruppe, zu der er vorher gehörte, keinen Ansprechpartner mehr. Wir kleineren Verlage müssen uns mehr Zeit und Energie für Programmarbeit, Autorenpflege erkämpfen und für die Zusammenarbeit mit dem Buchhandel. Das wird entscheidend sein. Deshalb geht mein Appell an die kleinen Verlage: Arbeitet zusammen!
Ist das die Möglichkeit, zu überleben?
Ich werde in diesen Tagen von vielen Journalistinnen und Journalisten gefragt: „Was ist Ihre Strategie?“ Für mich ist klar: Der Zusammenschluss ist eine Überlebensstrategie. Wir wollen unsere Zukunft sichern. Damit literarische Verlage auch in fünf oder zehn Jahren noch existieren. Es geht hier nicht um Wachstum. Mein Verlag ist so groß wie Schöffling, wir sind acht Leute und wollen auch nicht zu groß werden.
Wie würden Sie Ihre literarischen Ziele für die nächste Zeit beschreiben?
Im nächsten Jahr eine Million neue Leser für Witold Gombrowicz, das nehme ich mir vor (lacht). Ich habe eine Gesamtausgabe von Georges Simenon begonnen, das ist auch kein Selbstläufer. Es ist zwar ein prominenter Name, aber viele seiner 200 Bücher sind unbekannt und müssen auch erst mal übersetzt, lektoriert, Korrektur gelesen, gesetzt und gedruckt werden.
Muss man Geduld haben als Verleger?
Natürlich, man braucht Geduld und mitunter einen langen Atem. Als Franz Kafka 1912 sein erstes Manuskript an den Verleger Kurt Wolff übergab, da betraten beide Neuland. 18 kurze Prosatexte schickte Kafka aus Prag nach Leipzig – eine Sammlung, extra groß gesetzt, um überhaupt ein Buch zu werden, die weder für Autor noch für den Verlag profitabel war. Und doch veröffentlichte Kafka bis zu seinem Tod die meisten seiner Werke im Kurt Wolff Verlag. Und Kurt Wolff hörte nicht auf, sich für Kafkas Texte einzusetzen. Bei den großen Verlagen besitzt man heute nicht mehr diesen langen Atem, um eine Autorin oder einen Autor aufzubauen.
Glauben Sie an die Zukunft des gedruckten Buches?
Ja, ich bin da trotz Digitalisierung und Streamingdiensten sehr optimistisch. Aber wir brauchen die Unterstützung des Buchhandels, die unabhängigen und engagierten Buchhändlerinnen und Buchhändler. Deshalb rufe ich alle Leserinnen und Leser dazu auf: Kaufen Sie im Buchladen um die Ecke und nicht beim großen Alles-Lieferanten. Das ist gerade jetzt im Weihnachtsgeschäft besonders wichtig. Jede unabhängige Buchhandlung ist ein kleines Kulturzentrum. Ich würde mir wünschen, dass der Buchhandel vom Staat mehr gefördert wird. Denn letztlich profitiert die Gesellschaft davon.
Interview: Claus-Jürgen Göpfert