Die Dämonen
Bret Easton Ellis inszeniert in "Lunar Park" das Familienleben eines Schriftstellers als Schauergeschichte
Vergessen wir einfach das Autobiografische. Nein? Na gut, bleiben wir kurz dabei. Ein Student schreibt also einen Roman, Unter Null, in dem er seinen ganzen Ekel auskotzt, seinen Überdruss an all dem Wohlstandsüberschuss, dem Diktat der Labels und gesellschaftlichen Codes. Einen Roman mit einem reichen, jungen, apathischen, den Drogen, dem Alkohol und den Frauen aus bloßer Langeweile zugeneigten Protagonisten. Der Student wird damit nicht nur wider Erwarten erfolgreich, sondern gleich auch noch berühmt dazu. Hochglanzmagazine, Homestories. Er sieht nicht schlecht aus und macht alles mit, das kommt gut an.
Dann schreibt er noch einen Roman, einen wirklich ganz außerordentlichen. Radikal und widerlich. Er erzählt von einem New Yorker Yuppie, der Frauen in seiner Freizeit auf die denkbar brutalste Weise missbraucht und ermordet. Das kommt nicht so gut an, jedenfalls bei seinem alten Verlag, der den Autor rausschmeißt. Das Buch, American Psycho, wird trotzdem recht bald zum Standardwerk. Dass man dabei nicht gesund bleiben kann, liegt auf der Hand: Der Autor versinkt im Drogenrausch, im Alkoholismus, "erworbener situationsbedingter Narzissmus", lautet die Diagnose. Teilweise ist er so stoned, dass er auf der Welttournee, mit der er sein folgendes (ziemlich misslungenes) Buch Glamorama promotet, kaum noch gerade stehen kann - Depression, Zusammenbrüche, Klinikaufenthalte, aber weiter gehen muss es trotzdem.
Das Leben dieses Mannes, des Schriftstellers Bret Easton Ellis, bis zu diesem Punkt erzählen die ersten fünfzig Seiten von Lunar Park, dem neuen Roman des Schriftstellers Bret Easton Ellis. Die Hauptfigur heißt Bret Easton Ellis, ist Schriftsteller, hat Bücher wie Unter Null oder American Psycho veröffentlicht etcetera, siehe oben. Ein Spiegelkabinett des biografisch grundierten Schreibens. Und ein Hamsterrad. Der reale Autor Bret Easton Ellis vermarktet auch Lunar Park wieder mit entwaffnenden Interviews, die er gerne mal in Badeschlappen und Jogginghose gibt, in seinem kleinen Appartement in New York, in kalkuliert kühlem Ambiente. Der geläuterte Roman-Bret-Easton-Ellis (keine Drogen, kein Alkohol mehr) wiederum zieht in ein feudales Haus auf dem Land (wo er auch häufig in Badeschlappen und Jogginghose herumläuft), zu seiner Ex-Freundin Jayne Dennis, einer berühmten (und natürlich fiktiven) Schauspielerin, die ihm eine zweite Chance gibt und ihn sogar heiratet. Robby, sein Sohn, wohnt dort auch. Vielleicht ist es auch der Sohn von Keanu Reeves, wer weiß das schon?
Allein - das Familienleben funktioniert nicht im Geringsten, ebenso wenig wie die anderen Vorsätze. Der Stoffvogel von Sarah, Jaynes zweitem Kind, beginnt, ein Eigenleben zu führen. Bret schläft im Gästezimmer, die Paartherapie läuft ins Leere. Der Hund dreht durch. Die Möbel verrücken sich scheinbar von selbst, und das ist nur der Anfang. Da allerdings das Versprechen der Abstinenz recht bald gebrochen worden war - und das trägt zu der angespannten Ambivalenz dieser Prosa bei - können wir uns nie ganz sicher sein, was echt und was den Halluzinationen des zumeist komplett zugedröhnten Erzählers geschuldet ist.
Lunar Park ist die zum Horror gewordene Vision eines befriedeten Lebens nach dem Sturm. Und weil es sich um hier um einen echten Horror-Roman handelt, hat Bret Easton Ellis sich den bestmöglichen Gewährsmann zur Seite gestellt - Stephen King. Den habe er, so sagt Ellis in Interviews, schon immer gern gemocht. Genau gelesen hat er ihn in jedem Fall. Etliche Reminiszenzen finden sich in Lunar Park wieder - die beerdigte Romanfigur, die aufersteht und ihren Schöpfer terrorisiert (Stark), das beseelte Auto, das sich nach einem Unfall regeneriert (Christine), die Eier der Fleisch gewordenen Dämonen, die es zu zerstören gilt (Es); schließlich ein Protagonist, der am Ende, nach all dem Schrecken, schlohweiße Haare hat (Friedhof der Kuscheltiere). Und wie bei Stephen King sind auch bei Bret Easton Ellis die vermeintlich übersinnlichen Ereignisse eng verknüpft mit Vergangenheit, mit biografischen Bezügen. In Lunar Park ist es der verhasste Vater, mit dem abgerechnet wird, der Bret nach der Scheidung von der Mutter früh gezeigt hatte, dass das Leben einsame Seiten hat, von dem er sich förmlich frei schreiben musste und dessen Asche am Ende möglicherweise versöhnlich, in jedem Fall aber pathetisch durch das Buch weht und sich auf die Seiten legt.
Vorher gibt es für den Protagonisten einiges zu ertragen. Vor allem der Einstieg in die Grauzone zwischen Autobiografie und Fiktion, eine Halloween-Party, die aus den Fugen gerät, ist grandios. High Society, Koksen, ein missglückter Badezimmer-Koitus mit einer Studentin - das kann Bret Easton Ellis schreiben so gut wie niemand sonst, rasant, witzig, böse, kalt, höchst unterhaltsam.
Lunar Park ist andererseits erstaunlicherweise auch ein sympathisches Buch, ein gänzlich anderes als die vorangegangenen. Allerdings, auch das ist nicht neu, deutlich zu dick, gemessen an seiner Substanz. Und möglicherweise auch ambitionierter - wo Ellis bislang immer nur Symptome ausgebreitet hat, das allerdings meisterhaft, versucht er nun, an den Ursachen zu kratzen; am Leben dieser verkorksten Smalltalk-Erfolgsfamilien mit ihren auf Psychopharmaka gesetzten Kindern, die sich ihrer selbst überdrüssig geworden sind.
Von der Oberflächenwelt zur tieferen Psychologie: So leicht geht das nicht. Vielleicht flüchtet Ellis sich darum am Ende in die Parapsychologie, um all die Dämonen aus der Vergangenheit auszutreiben, die sein Leben, sein Haus bevölkern und schrittweise in das Haus seiner ebenfalls missratenen Kindheit zurückverwandeln. Das Mauerwerk, das eine Farbe annimmt, welche es nie hatte. Die Badehose aus der Kindheit, die über der Brüstung zum Trocknen hängt. Der Teppichboden, der sich ohne jedes Zutun verfärbt. Das Wesen, das aus dem Wald kommt. Die E-Mails, Nacht für Nacht pünktlich und dutzendfach abgeschickt zum Todeszeitpunkt des Vaters. Der Videofilm, der dessen letzte Stunden zeigt. Die Morde, die streng nach Anweisung aus American Psycho durchgeführt werden, allerdings anhand der ersten, unveröffentlichten Manuskriptversion, die niemand außer dem Autor selbst je in den Händen gehalten hat. Ein Nachhall aus ferner Zeit und ein Karussell des Irrsinns, und immer die Frage: Wem kann man glauben? Dem Erzähler, diesem drogenabhängigen Schriftsteller, bestimmt nicht.
Man hätte irgendwie mehr erwartet von einem neuen Ellis als eine ausgedehnte Selbstherapiestunde. Und trotzdem geht er dabei schon ziemlich weit. Denn am Ende, als alle ihn verlassen haben und er schließlich in einer schwulen Beziehung in New York (in diesem kleinen Appartement, man kennt es von den Interviews) lebt, bleiben ihm zwei grundlegende Erkenntnisse: Dass er selbst, Bret, das Gespenst ist, das er gejagt hat. Und: "Dass eine Familie - wenn man es zulässt - Freude schenkt und diese Freude dir Hoffnung gibt." Da hofft man als Leser für den Schriftsteller Bret Easton Ellis nur, dass er nicht allzu bald allzu erfüllt sein wird von dieser Freude. In Lunar Park jedenfalls arbeitet er an einem Roman mit dem Titel Teenage Pussy. Das ist selbstironisch gemeint, klar. Und trotzdem würde man den dann gern als nächstes lesen.
Bret Easton Ellis: "Lunar Park". Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Clara Drechsler und Harald Hellmann, Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln 2006, 457 Seiten, 22,90 Euro.