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Christian Lehnert „Opus 8. Im Flechtwerk“: Die feinsten Blitze

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Von: Björn Hayer

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Der Aal und sein befremdliches Streben.
Der Aal und sein befremdliches Streben. © AFP

„Opus 8. Im Flechtwerk“: Christian Lehnert schreibt seine poetische Naturreligion fort.

Die zeitgenössische Lyrik verfügt über ein besonderes Sensorium: etwa für die Gespräche der Bäume, die Wünsche der Kühe oder das Sinnieren der Vögel. Nachdem über Jahrhunderte hinweg der Mensch im Mittelpunkt stand, schenken zahlreiche Autorinnen und Autoren in der Epoche des Klimawandels der Natur Gehör.

Dies tut auch der Dichter Christian Lehnert in seinen neuen Gedichten, nur auf ganz andere Weise. „Die Zeichen liegen klar“, schreibt er über wuchernde Sumpfkräuter, um sogleich im nächsten Vers deren „völlig unverständlich[e] / stumme Schriften“ einzuräumen. Und über den Aal weiß er nur zu sagen, dass er ein nicht näher definiertes „Wohin sich schafft“. Statt sich in Flora und Fauna einzufühlen, zeugen die Miniaturen des 1969 geborenen Lyrikers eher von einem Staunen, das das Geheimnis seines Gegenübers wahrt.

Ein Ausdruck des Respekts

Gewiss mag Lehnert darin seine Art des Respekts vor Pflanzen und Tieren zum Ausdruck bringen, als entscheidend erweist sich darüber hinaus deren Verquickung mit der Idee des verborgenen Schöpfers. Mehrfach den Mystiker Meister Eckhart zitierend, schreibt nämlich der Theologe Lehnert seit jeher und mit seinem aktuellen Band „Opus 8. Im Flechtwerk“ erneut an einer poetischen Naturreligion.

Das Buch:

Christian Lehnert: Opus 8. Im Flechtwerk. Suhrkamp Verlag, Berlin 2022. 117 Seiten, 22 Euro.

Aus dem rätselhaften Inneren seiner Gedichte vernimmt man daher stets einen fast heiligen Atem und Lichter aus der Dunkelheit. Zudem werden Grenzen zwischen Materie und Nicht-Materie aufgehoben. Die Unterscheidung zwischen Dies- und Jenseits wird dadurch gänzlich hinfällig. So manche Einzeller können sogar zwischen den Räumen gleiten: „Ob lebend? Tot?“ Sie, die Sporen, „treiben hin und her“.

Was der Wind wittert

Das Metaphysische wohnt in Lehnerts Texten allen Erscheinungen inne und äußert sich in einer sich täglich wiederholenden Schöpfung. Es braucht wie im Falle der Feldlerche dafür nur die Fähigkeit zur Hingabe an – wie Hölderlin es herrlich veraltet nannte – den Äther. Dann gilt es „zu steigen in den Laut / bis alles sich verliert / Bis nichts dein Eigen bleibt / der Wind dich erst gebiert.“

Aufgefangen wird man ohnehin in einer, wenn auch letztlich undurchschaubaren Ordnung. Bemerkbar wird diese in einer im ganzen Band durchgehaltenen strengen Komposition aus Reimen. Zum einen stellen sie das Gerüst einer Welt dar, die schon in der Genesis ihren Anfang im letztlich poetischen Wort findet, zum anderen erinnern sie an ein Spiegelverhältnis zwischen der menschlichen und göttlichen Sphäre.

Während die Vorstellung, mit den Mitteln der Literatur ein spirituelles System zu entwerfen, durchaus an die Romantik anknüpft, verweist die reglementierte und stets mit Zäsuren versehene Architektur der Poeme auf das Barock. Alle Gedichte vereinen geniale Könnerschaft und inhaltliche Substanz. Trotzdem haftet ihnen keinerlei Schwere an. Sie wirken leicht und grazil. Man hört „ein Wellenflirren / so als witterte / Der Wind nach Leben / grün und algenweich. / Die feinsten Blitze / überall versunken – / So war der Tag nichts als ein Tanz von Funken.“ Solche Verse fallen – gemessen an den Krisennarrativen in der aktuellen Lyrik – anmutig aus der Zeit und ringen um eine verborgene Wahrheit, zu der es letztlich nur einen Schlüssel gibt: die Poesie.

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