Celan und die Deutschen: Die Schuld des Verschonten

Hans Peter Kunisch über eine „Unmögliche Begegnung“ in Todtnauberg, Wolfgang Emmerich über „Nahe Fremde“: Zwei Bücher beleuchten vor dem 50. Todestag Paul Celans am 20. April sein Verhältnis zu Deutschland.
Lange Zeit wollte Paul Celan daran glauben, dass ein so faszinierender „Denk-Herr“ wie Martin Heidegger an seinen historischen „Verfehlungen würgt“, hatte er doch schon 1933 dem Ungeist der nationalsozialistischen Sieg-Heil-Hysterie seinen Tribut gezollt. Einem derartigen Teufelspakt, so des Dichters Hoffnung, könne der Professor mittlerweile nur abgeschworen haben: „Seit ein Gespräch wir sind, / an dem / wir würgen, / an dem ich würge, / das mich, / aus mir hinausstieß, dreimal, / viermal.“
Doch im Verlauf jener drei sonderbaren Begegnungen, die Celan und Heidegger 1967, 1968 und 1970 haben sollten, mit Wanderungen zwischen Todtnauberger Eremitenhütte und moorigen Schwarzwaldgründen, wird sich herausstellen, dass ein Gespräch von „epochaler Bedeutung“ nicht zustande kommen kann. Der Autor der „Todesfuge“ selbst findet zwar deutliche Argumente, aber seine Hoffnung auf eines „Denkenden kommendes (ungesäumt kommendes) Wort“ sollte trügen, vergeblich wird er warten auf Einsicht und Umkehr des philosophischen Meisters aus Deutschland. Kein „Gegen-Wort“, keine „Atemwende“, nur Schweigen.
Verschwiegenheit lautet noch dessen letzte Schlussfolgerung aus dem, was einst seinen „Gefolgschaftswillen“ gegenüber Adolf Hitler ausgemacht hat. Einfach so dahingesagt seien die Sätze seiner Freiburger Rektoratsrede von 1933 gewesen, als er den Nazis die „geistige Erneuerung“ des Lebens und die Rettung des Abendlands vor dem Kommunismus zutrauen wollte. Nur um eine bedauerliche Entgleisung habe es sich damals gehandelt, weshalb ein Schuldbekenntnis für Heidegger unmöglich ist, auch von seinem tiefsitzenden Antisemitismus wird er zu keiner Zeit wirklich Abstand nehmen. Für die nahezu flehentliche Anerkennungshoffnung des um sein Deutschsein kämpfenden Intellektuellen Paul Celan fehlt dem Seinsphilosophen jeglicher Sinn.

Hans-Peter Kunisch hat die Geschichte dieser so nachhaltig misslingenden Begegnung geschrieben, seine akribische Recherche lässt ein bemerkenswertes (Sinn-)Bild aus der Historie deutscher Vergangenheitsbewältigung entstehen. Geht es doch um den absoluten Widerspruch zwischen einem, der angesichts der Judenvernichtung mit seiner Sprache durch „furchtbares Verstummen, hindurchgehen (muss), durch die tausend Finsternisse todbringender Rede“, und einem anderen, der dem „Weltjudentum“ noch in späten Jahren die Schuld am Verfallszustand der Zivilisation geben will, und für das millionenfache Sterben der Juden niemals ein Wort des Gedenkens finden wird.
Heidegger sei jemand, so Celan in einem nicht abgeschickten Brief an den Philosophen, der durch seine „Haltung das Dichterische und (das) Denkerische, in beider ernstem Verantwortungswillen, entscheidend geschwächt“ habe. Heute, in Zeiten des Rechtsradikalismus und Neo-Nazitums liest man dergleichen mit einiger Aufmerksamkeit.
Die Bücher
Hans-Peter Kunisch: Todtnauberg. dtv, München 2020, 350 S., 24 Euro.
Wolfgang Emmerich: Nahe Fremde. Paul Celan und die Deutschen. Wallstein, Göttingen 2020, 400 S., 24 Euro.
Wolfgang Emmerich nimmt den von Kunisch filigran ausgesponnenen Erzählfaden dieser Dichter-Denker-Begegnung in seiner gelehrten Studie noch einmal auf. In biografischer Perspektive wird vollends deutlich, dass jener Todtnauberger Gesprächsversuch nur ein weiteres Menetekel darstellt im leidvollen „jüdischen Kampf“ Paul Celans um das Anerkanntsein und Gewürdigtwerden in einem Deutschland, dessen geistiger Kultur er so vieles verdankte.
Deutschland ist und bleibt für den Dichter aus der Bukowina lebenslang ein emphatischer Sehnsuchtsort und zugleich eine unaufhebbare Fremde, ein Syndrom des Un- und Missverständnisses, der Schmähungen und des persönlichen Zurückgestoßenseins. Alle nur denkbaren Qualen der europäischen Holocaust-Ära hat der angehende Schriftsteller Paul Antschel durchlitten, das Sterben seiner Eltern im KZ, die eigene Verfolgung und Ghettoisierung, Zwangsarbeit, Entwurzelung und Flucht in den Westen, ja den unsäglichen Widerspruch von Muttersprache und Mördersprache, der schon seine frühen Gedichte zu „Textgräbern“ werden lässt. Bereits 1945 entsteht in Bukarest die „Todesfuge“.
Schon der junge Celan liebt die deutsche Literatur mitsamt ihren germanischen Mythen, und doch wird er zeitlebens „allein mit den jüdischen Gräbern“ bleiben, die Schuld seines Überlebthabens, in der das „äußerste Grauen nachzittert“ wie in der eigenen Poesie, sollte auch später kaum auf Verständnis und Gesprächsbereitschaft stoßen.

Emmerich durchmisst die Passionsgeschichte der jüdisch-deutschen Begegnungsversuche Celans in zuverlässiger Materialkenntnis und luziden Textinterpretationen. Diese Historie der Befremdlichkeiten beginnt mit der nicht lebbaren Beziehung zwischen dem leidenswunden Juden und der selbstbewussten Geliebten Ingeborg Bachmann. Sie setzt sich fort mit der berüchtigten Lesung vor der „Gruppe 47“ im Jahre 1952, wo dem Autor der „Todesfuge“ die bittere Schmähung des Fremdartigen und Undeutschen zugefügt wird. Und sie endet noch lange nicht mit der Hetzkampagne Claire Golls, die dem Celan öffentlich vorwirft, Verse ihres Mannes plagiiert zu haben. Der Angeschuldigte ist über Jahre hin zutiefst gekränkt und gedemütigt, Freundschaften brechen deshalb auseinander, was oft zu überempfindlichen, ja paranoiden Reaktionen führen und schließlich in seine Seelenkrankheit zum Tode münden sollte.
Für Celan ist die deutsch-jüdische Symbiose spätestens seit dem Holocaust gescheitert, jetzt pocht der Dichter umso vehementer auf die Anerkennung des „buckligen, stotternden, hinkenden Juden, der vergast wurde – er ist das Opfer“. Aber wer in Deutschland hat für dergleichen ein offenes Ohr? Schon in der landläufigen, nicht selten untertönig antisemitischen Literaturkritik gelten seine wirklichkeits- und wahrheitssüchtigen Poeme als „Drogendichtung“, als symbolistische, „rhythmische Lullung“ eines weltfernen Magiers, ja als reine, absolute Dichtung. So auch 1958, als Celan gegen den Widerstand des dortigen Namenspatrons den Bremer Literaturpreis erhält, für Rudolf Alexander Schröder ist die Lyrik des Prämierten nichts als manieristisch, weltfern und wertlos.
Dennoch tritt Celan immer wieder in Deutschland auf, seine Lesungen sind oft große, wenn auch für ihn selten befriedigende Publikumserfolge. Aber rasch mehrt sich sein Ruhm, der Büchner-Preis stellt sich im Jahr 1960 ein, nun bemühen sich etliche Schriftstellerfreunde und Germanisten um den Gefeierten, besonders in Freiburg und Tübingen. Man will ihm eine Lebens- und Arbeitsmöglichkeit im Land verschaffen – doch der Dichter lehnt jedes Angebot ab. Dem Deutschland der Sonntagsreden im Geist von Verständigung und Versöhnung vermag Paul Celan nicht länger zu trauen: „Diese Verlogenheit, diese gemeine Wiedergutmacherei ist der Boden, auf dem die Hitlerei in ihrer heutigen Form gedeiht.“ Wo jede Würdigung nur einen „weiteren Hohn“ mit sich bringt, sagt er, droht der „Versuch, mich und meine Gedichte zu zerstören“.
Wolfgang Emmerich hat dieses tragische Unternehmen einer jüdisch-deutschen Verständigung im Zeichen des Holocaust mit subtiler Sachkenntnis aus den Winkeln der Spezialforschung ans Licht gehoben, ihm ist es zu verdanken, dass wir Werk und Persönlichkeit Paul Celans nun auch unter dem „Akut des Heutigen“ wahrzunehmen lernen.