Der Büchnerpreis für Elke Erb: Nie so schnell wie die Schnellen

Ein Werk, das über Jahrzehnte leuchtet: Elke Erb bekommt endlich den Georg-Büchner-Preis.
Elke Erb bekommt den mit 50 000 Euro dotierten Georg-Büchner-Preis. Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung ehrt damit eine Schriftstellerin, deren Werk eigenständig leuchtet über die Jahrzehnte hinweg. In der Begründung der Jury heißt es, Elke Erb gelinge es „wie keiner anderen, die Freiheit und Wendigkeit der Gedanken in der Sprache zu verwirklichen, indem sie sie herausfordert, auslockert, präzisiert, ja korrigiert.“
In einem Eifeldorf 1938 geboren, kam sie kurz nach Gründung der DDR mit ihrer Familie in die Stadt Halle an der Saale, studierte, arbeitete in der Landwirtschaft, wurde Verlagslektorin. Zehn Jahre war sie mit dem 2009 verstorbenen Dichter Adolf Endler verheiratet, wie er hat sie zahlreichen Lyrikern aus anderen Sprachen mit Nachdichtungen zu deutschen Lesern verholfen, etwa Marina Zwetajewa. Elke Erb lebt in Berlin und die Sommer über in einem Dorf in der Lausitz. Sie ist erst die elfte Frau, die den seit 1951 verliehenen Preis erhält.
Man kann sie in Verwandtschaft sehen zu Sarah Kirsch, die 1996 im Namen Georg Büchners ausgezeichnet wurde, und mit Volker Braun, dem Preisträger von 2000. Gemeinsam wurden sie zur „Sächsischen Dichterschule“ gezählt, einem losen Kreis von Autoren wie auch Karl Mickel, Heinz Czechowski, B. K. Tragelehn und Kito Lorenc, die sich in den 60er und 70er Jahren im Osten im Gespräch über Lyrik aufeinander bezogen. Doch der 1962 geborene Büchnerpreisträger Durs Grünbein lässt sich ebenso mit Elke Erb in Verbindung bringen. Denn sie ist für nachfolgende Generationen prägend und eine, die andere zusammenführt.
„Er fuhr die Kastanienallee entlang, die er bisher nur als Titel eines Gedichtbandes kannte“, heißt es in Lutz Seilers Roman „Stern 111“. Es sind Gedichte von Elke Erb, die dem Helden vertraut sind, der Band ist 1987 im Aufbau-Verlag erschienen, 1988 bekam sie dafür den Peter-Huchel-Preis. So spröde oder schüchtern die Dichterin in ihrem Auftreten auf Fremde wirken mag, so vertraut ist sie jenen, die sich ein Leben im Rhythmus der Worte ausgesucht haben. „Ihre innere, meist unaufgeregt leuchtende, sich mehr und mehr gewisse Sprache war von Anfang an Haltung, war Würde“, sagt Uwe Kolbe, Jahrgang 1957, über Elke Erb.
In der DDR waren ihre Veröffentlichungen rar, weil man sie oft nicht haben wollte. Im vereinigten Deutschland erscheinen sie vor allem in Editionen des Schweizer Verlegers Urs Engeler. Elf Bücher hat er mit ihr gemacht, sie wurden gewürdigt, aber nicht massenhaft verkauft. Welcher Lyriker kennt das schon – ein Massenpublikum? Doch gerade kündigt Suhrkamp an, eine für das Frühjahr 2021 geplante Ausgabe schon in diesem Herbst erscheinen zu lassen.
Ihre Ausforschung durch die Staatssicherheit in der DDR setzte bereits Mitte der 70er ein, weil sie sich an der von Klaus Schlesinger und anderen geplanten Anthologie „Berliner Geschichten“ beteiligt hatte. Dann kam ein Sündenregister zusammen: Unterschrift gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns, Protest gegen den Ausschluss von Autoren wie Jurek Becker, Stefan Heym und Erich Loest aus dem Schriftstellerverband der DDR. Dem gehörte sie offenbar nur an, um das Recht auf freiberufliches Arbeiten zu haben, denn, so heißt es in ihrer Akte: „An der Verbandsarbeit beteiligt sie sich nicht, Versammlungen werden von ihr nur selten besucht.“
Der kürzlich verstorbene Joachim Walther hat in seinem Buch „Sicherungsbereich Literatur“ Belege gesammelt, wie Elke Erb zur Unperson gemacht werden sollte. Er zitiert aus einem mehrseitigen Brief des sogenannten Bücherministers Klaus Höpcke, in dem der Ausschluss Erbs aus dem Verband nahegelegt und von Publikationen ihrer Gedichte abgeraten wird. Da war im Westen, bei Kiepenheuer & Witsch, bereits eine Anthologie im Druck: „Berührung ist nur eine Randerscheinung“. Sie setzte darin die Arbeiten Jüngerer wie Jan Faktor, Katja Lange-Müller, Detlef Opitz und Michael Wüstefeld zusammen. Mitherausgeber war allerdings Sascha Anderson, der als Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi weiträumig in dem Umfeld Material sammelte.
„In zwanzig Jahren“ heißt ein Gedicht von Elke Erb, 1995 entstanden. 2018 hielt sie die Berliner Rede zur Poesie und war immer noch nicht alt im dort beschriebenen Sinne. Die Darmstädter Jury hätte ihr den Preis allerdings ruhig eher geben können. Im Gedicht heißt es: „Seit ich denken kann, ein Geschrei jedesmal,/ wenn ich durchkomme irgendwo – von irgendwo nach/ (unvermutet) irgendwo.“
Der Übergang vom Denken zum Schreiben fließt bei ihr, vom Notat zum Gedicht, vom Wort in seiner ursprünglichen Bedeutung zu einer neuen. „Freilich können Langsame auch schnell sein“ heißt es in einem Gedicht von 1998: „in syntaktischem Doppelsinn, nämlich so oder so,/ freilich niemals so schnell, wie die Schnellen“. Das Dichten ist ein langsames Geschäft. Für Elke Erb ist es ein Prozess, in dem sie das Eigene überschreibt und prüft, immer nach der neuen, zeitgemäßen Form suchend, die Welt und das Selbst zu fassen.
Etlichen ihrer Gedichte sind Kommentare angefügt oder gar eingesetzt, und ihre Prosa wandelt sich nicht selten zur Lyrik. Man muss sie laut lesen, um sie zu begreifen, oder die Dichterin selbst hören, etwa auf Lyrikline.org.
In einem Film, den das Haus für Poesie über sie erstellt hat, führt Elke Erb durch ihr Wohn- und Schlafzimmer, zeigt die Bücherstapel, die überall sind, auch auf dem Bett. Schlaflos sei sie immer wieder, sagt sie da und wendet es ins Positive: „Jede Nacht habe ich freie Arbeitszeiten.“