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Bloß nicht abschütteln lassen!

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In einem von Maybrit Illner herausgegebenen Sammelband berichten Frauen von ihrem Weg an die Macht

Von INGRID MÜLLER-MÜNCH

Man hätte es besser machen können. Viel, viel besser. Doch auch so, unsortiert, teils gänzlich unredigiert, mit Längen und seichten Stellen en masse ist es ein wichtiges Buch. Weil es das erste ist, das sich ausführlich mit "Frauen an der Macht" befasst und nicht - wie noch vor Jahren nicht anders möglich - als Titel lediglich den hoffnungsvollen Aufruf trägt: "Frauen an die Macht!".

Darüber sind sie hinaus, die 21 einflussreichen Frauen, die von der Fernsehmoderatorin Maybrit Illner aufgefordert wurden, nach eigenem Gutdünken ihre Erfahrungen in den oberen Etagen von Medien, Hochschulen oder Politik zu beschreiben. Ernüchternd das Resumée der Grünen-Politikerin Renate Künast, die feststellt, dass dort oben an der Macht alles "auf die klasssische männliche Erwerbsbiographie" ausgerichtet ist. Die Überstunden ebenso wie die vorausgesetzte zeitliche Flexibilität und der brutale Erwartungsdruck. Frauen in Spitzenpositionen müssen "mit Arbeitsbedingungen klarkommen, die für Männer gemacht sind".

Was abends geschieht

Auch die Selbstdarstellungen anderer Frauen, die oben anlangten, bestätigen dies. Ihre Auskünfte hätten allerdings an vielen Stellen hinterfragt werden müssen. Manch eine verzettelt sich in Politstatements, listet ihre Erfolgsgeschichte auf, behauptet gar, sich auf dem Weg zur Macht nie verbogen zu haben. Das ist langweilig, wirkt eher wie eine Beschwörungsformel. Und bald schon wird klar, dass Frauen ebenso wie Männer leere Worthülsen produzieren können. Doch dazwischen, gut versteckt, verbergen sich wahre Schatzkästchen, spannende Lebensgeschichten, humorvolle Anekdoten, höchst Persönliches. Da wird nicht drum herum laviert, da wird aus dem Nähkästchen geplaudert, und man kann sich sehr gut vorstellen was es bedeutet, sich dort, in den himmlischen Höhen, von nichts und niemandem abschrecken zu lassen. Auch dann nicht, wenn es ans Biertrinken geht, wie die ehemalige Bundesaußenministerin Österreichs, Benita Ferrero-Waldner, erfuhr.

Nur selten baten ihre männlichen Kollegen sie mit zum abendlichen Thekentreffen. Das war ihr aber egal. "Ich bin einfach mitgekommen. Auch wenn anfangs einige Kühnheit dazugehörte, sich als einzige Frau nach einer Gremiumssitzung nicht zu verabschieden, sondern doch mitzuziehen in die Kneipe. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es anfangs geduldet und bald darauf für normal gehalten wird." Rückblickend weiß Benita Ferrero-Waldner, dass sie einen Gutteil ihrer Karriere ihrem Willen verdankt, sich nicht abschütteln zu lassen.

Frauenpolitik ist mega-out

Nicht jede Frau hat die hierfür nötige Chuzpe. Doch um bei der dünnen Luft in den Gefilden der Macht nicht zu ersticken, muss frau sich mit Männerseilschaften und Männeraufgeblähtheit, Getue und Geprotze, Hahnenkämpfen und Gockelgestolze arrangieren, das zeigt Illners Buch sehr deutlich. Die Wissenschaftlerin Annelie Keil kennt dieses Biotop der Eitelkeiten aus ihrer Hochschulzeit. Sie hat erlebt, wie Männer zusammenrücken und an den Fakultäten die merkwürdigsten Bruderschaften bilden: "Als Bundesbrüder, Vereinsbrüder, Stammtischbrüder, Schützenbrüder, Waffenbrüder, Glaubensbrüder oder Tippelbrüder der Wissenschaften halten sie zur Not wie Pech und Schwefel zusammen, wenn Frau nicht zur Mehrheitsfraktion gehört."

Heide Pfarr, Politikerin und Wissenschaftlerin gleichermaßen, warnt eine junge Frau vor einem gravierenden Fehler: "Frauenpolitik kannst du keinesfalls machen, jedenfalls nicht unter diesem Namen. Frauenpolitik ist out, mega-out. Wer diesen Begriff noch verwendet, outet sich sofort als verbissene und absolut männerfeindliche Emanze, die man mit Macht - wo auch immer - keinesfalls ausstatten darf." Camouflage ist also angesagt. Frau muss sich maskieren, so tun, als ob. Außerdem braucht sie Mut und Stehvermögen, erst dann gelangt sie nach oben. Angela Merkel hat den Schritt gewagt und gewonnen. In Illners Sammelband wird sie als einzige interviewt - und ergeht sich vornehmlich in unverfänglichen Statements. Dennoch könnte dieses Buch für junge, karriereorientierte Frauen eine Art Leitfaden, eine Handlungsanweisung sein. So zum Beispiel, wenn die FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin ihre Strategie erklärt, mit der sie auf männliches Machogehabe reagiert.

Wenn zum Beispiel der Herr von gegenüber zum dritten Mal den kompetenten Beitrag einer Frau mit Sülzesätzen quittiert wie: "Es ist so schön, wie ihre Augen beim Reden glänzen", hat die Politikerin keine Hemmungen, ihn bei nächster Gelegenheit ebenso auf der ästhetischen Tiefebene anzugehen: "Könnte der attraktive Herr mit den grau melierten Haaren und der stattlichen Figur die Bilanz bitte noch einmal etwas gründlicher erläutern?"

Durchstehen, Kämpfen, keine Zweifel aufkommen lassen, sich dem Aggressor stellen, niemals vor anderen weinen, Selbstzweifel unterdrücken, Rücksichtnahme hintanstellen - all diese männlich geprägten Verhaltensweisen müssen Frauen an der Macht erlernen. Sonst gehen sie unter. Sie können dies, zeigen die von Maybrit Illner erbetenen Selbstdarstellungen mächtiger Frauen. Und manch eine hat dabei ihre Weiblichkeit nicht verloren, hat ihren Arbeitsplatz umgestaltet, ihrem Frausein angepasst, einen eigenen Weg gefunden. Eins jedoch darf keine Frau vergessen, die nach oben will und dort zu bleiben gedenkt: Auf keinen Fall, so rät Heide Pfarr ihren Geschlechtsgenossinnen, falsche Scham beim Männerverdrängen an den Tag legen. Auf gar keinen Fall!

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