Ayesha Harruna Attah: „Die Frauen von Salaga“ – Wurches sprunghafte Entscheidungen

Ayesha Harruna Attah schreibt über junge Frauen im Westafrika des 19. Jahrhunderts.
Wurche reitet, Wurche schießt, Wurche diskutiert über Politik. „Alles, was ihr Bruder konnte, konnte auch Wurche – vorausgesetzt, man gab ihr die Möglichkeit dazu.“ Eigentlich kann die jugendliche Tochter des Herrschers von Salaga die meisten der männlich konnotierten Dinge sogar besser als ihr Bruder – weil sie aber eine Frau ist, werden ihre Freiheiten alsbald beschnitten: Wurche muss aus strategischen Gründen einen Verbündeten ihres Vaters heiraten und soll sich fortan ihrer Geschlechterrolle fügen und sich raushalten aus den Männerdingen.
Es gibt nicht viele Romane, die Ende des 19. Jahrhunderts in Westafrika, im Gebiet des heutigen Ghana spielen, geschrieben nicht aus europäischer, sondern aus afrikanischer und dezidiert weiblicher Perspektive. Was die in Ghana geborene und nach Studienjahren in den USA heute im Senegal lebende Autorin Ayesha Harruna Attah in ihrem ersten auf Deutsch übersetzten Roman „Die Frauen von Salaga“ wagt, ist von seiner Anlage her also ein spannendes Unterfangen. Zumal Attahs Erzählung, in der sich der Lebensweg des versklavten Mädchens Aminah kreuzt mit dem der Königstochter Wurche, inspiriert ist vom Schicksal ihrer eigenen Ururgroßmutter.
Gerade für die hiesige Leserschaft sind auch die inhaltlich-historischen Bezüge zur deutschen Kolonialgeschichte interessant. Denn Wurche wird im Laufe des Romans auf Helmut stoßen, Offizier der deutschen Besatzungstruppen, die mit den Briten um Grenzverläufe in Westafrika streiten, das Salaga-Gebiet war Ende des 19.Jahrhunderts zeitweise Pufferzone zwischen den Kolonialmächten. Zuvor war die heute ghanaische Stadt als Ziel transsaharischer Karawanen-Routen im 18. und 19. Jahrhundert aber vor allem ein wichtiges Handelszentrum und Umschlagplatz für den innerafrikanischen Menschenhandel, dem auch die Romanfigur Aminah zum Opfer fällt.
In diesem zeitlichen und räumlichen Kontext spielt Attahs Roman. Während es aber beispielsweise der Autorin Yaa Gyasi mit ihrem Debütroman „Heimkehren“ auf grandiose Weise nachfühlbar werden ließ, wie sich die Traumata der Versklavung in Lebens- und Familiengeschichten einschreiben, schlägt Attahs Versuch, zwei Frauenschicksale vor historischer Kulisse zu einer anrührenden Geschichte zu verbinden, in mancherlei Hinsicht fehl. Das liegt weniger daran, dass westliche Leserinnen und Leser eine Weile brauchen dürften, sich im Gewimmel unvertrauter Orts- und Personennamen und diverser regionalspezifischer Begriffe zurechtzufinden, mit denen Karawanen, Völker, Familien eingeführt werden. Sondern vor allem daran, dass die Figuren nicht überzeugen.
Wurche etwa wird einerseits als selbstbewusste Rebellin und Kämpferin gegen Geschlechterrollen geschildert – andererseits wird sie in ihren sprunghaften Handlungsentscheidungen primär von dem Wunsch gesteuert, einem Mann zu gefallen, sei es einem Liebhaber, sei es ihrem Vater Etuto. „Wurche war froh, dass sie Etuto mit ihrer Hochzeit einen Grund zum Feiern gegeben hatte“, heißt es über ihre arrangierte Ehe, obschon sie unter dieser doch über weite Strecken der Erzählung leidet.

Man kann es emanzipatorisch nennen, dass Wurche sich außereheliche Liebhaber selber wählt und zuweilen auch Frauen begehrt. Man kann es aber auch furchtbar simpel finden, wie Attah Wurches Gefühle stets aus heiterem Himmel aufwallen lässt, ohne dass sich die Anziehungskraft zwischen den Figuren beim Lesen übertrüge. Die Autorin kommt dabei nicht am Kitsch vorbei und kreiert Liebesszenen von unfreiwilliger Komik. „Die Welt zwischen ihren Beinen loderte lichterloh“ heißt es über Wurches Affäre mit dem Sklavenhändler Moro – und unmittelbar nachdem sich dieser Weltenbrand wieder gelegt hat, sinniert ihr Liebhaber altklug darüber, wie schlau es wohl war, sich mit einer verheirateten Königstochter einzulassen: „Damit kann ich mir schwerwiegende Probleme einhandeln. Du vielleicht weniger. Ich ertappe mich oft dabei, etwas zu tun, um mich hinterher zu fragen, wie es bloß dazu kommen konnte.“
Solche hölzernen, lebensfernen Dialoge sind leider typisch für den Roman, auch historische Hintergründe und Daten werden ständig im Gespräch mitgeteilt, als hielten die Charaktere sich gegenseitig Kurzreferate über das Leben, das sie führen und die Umstände, die es beeinflussen.
Die wirklich tragischen und brutalen Konsequenzen, die sich aus dem historischen Kontext von Sklaverei und Krieg ergeben, vermag Attah auf diese Weise emotional kaum zu vermitteln. Die aus ihrem Dorf verschleppte Aminah, die fast ihre ganze Familie verliert, geht geradezu beiläufig über Schicksalsschläge hinweg. Als ihr ganzes Dorf in Flammen steht, mutmaßlich enge Angehörige verbrennen und Aminah aus einiger Entfernung darauf zurückblickt, endet das Kapitel mit dem Satz „Die Grillen sangen ihr übliches Lied dazu: Kri-kri-kri“ – als achtete ein Mensch, dem die Todesangst in den Knochen steckt und der Rauch eines Feuersturms in den Augen brennt, auf zirpende Insekten. Dass Aminah sich nach Jahren der Ausbeutung und sexualisierter Gewalt ausgerechnet auch in den Sklavenhändler Moro verguckt, erschließt sich ebenso wenig wie Wurches Entscheidung mit dem deutschen Kolonialoffizier Helmut ins Bett zu gehen.
So bleibt am Ende der Eindruck eines thematisch ambitionierten Romans, der gute Ideen handwerklich nur mittelmäßig zu verpacken weiß und auch sprachlich teils schiefe Bilder wählt: „Die köstliche Suppe, die Salaga gewesen war, war auf Knochen und Ruß reduziert worden“. Sie genussvoll auszulöffeln, fällt schwer.