Autor Leonardo Padura: „Über Kuba liegt eine historische Müdigkeit“

Der Krimi-Autor Leonardo Padura über die Lage in seinem Land und seinen jüngsten politischen Roman.
Señor Padura, in Deutschland sind Sie zunächst über Ihre Kriminalromane und dann über Ihre historisch-politischen Bücher bekannt geworden, wie das über die Ermordung Leo Trotzkis in Mexiko. Ihr neues Buch ist nun ein politisches ….
Es ist ein Buch über die kubanische Diaspora, ein Roman über Freundschaften, das Dableiben, die Zugehörigkeit und auch über die „Cubanía“, das Gefühl der Menschen zu ihrem Land und zu ihren Wurzeln.
Das Buch spannt den Bogen vom Fall der Mauer in Berlin bis zum Besuch von US-Präsident Barack Obama 2016 in Kuba. Es geht um Menschen, die das Land verließen, aber sich nach dem Kuba sehnen, wie es früher war. Und es geht um Menschen, die geblieben sind, um auf Veränderungen zu hoffen. Ist es der große Roman des kubanischen Exils?
Ja, in gewisser Weise. Vor allem ist es aber ein Generationenroman. Ich habe versucht, eine Chronik über das Schicksal meiner Generation zu schreiben.
Der Roman umfasst daher ja sehr besondere Phasen der kubanischen Revolution. In diesen Jahren hat sich die Insel sehr verändert.
Klar, die ersten dreißig Jahre der Revolution von 1959 waren eine sehr spezielle Zeit, ein sehr stimmiger Prozess. Mit dem Mauerfall 1989 und dem Untergang der Sowjetunion geriet alles in einen Strudel, der Kuba in eine tiefe Wirtschaftskrise führte, die eine Glaubenskrise nach sich zog. Es war ein Moment, in dem die Menschen das Vertrauen, aber auch Lebenschancen verloren haben. Daher haben viele das Land verlassen. Man sieht das ein bisschen an meiner zentralen Figur in dem Buch, Clara, wenn sie sagt: „Alle Gründe, Kuba zu verlassen, sind stichhaltig, und alle Gründe zu bleiben, sind ebenfalls stichhaltig.“ Man muss sie nur gegenseitig respektieren.
Ist das nicht auch ein bisschen die Geschichte des heutigen Kuba? Einige gehen noch immer, aber immer mehr bleiben, um von drinnen etwas zu verändern?
Zur Person:
Leonardo Padura, Jahrgang 1955, ist vor allem für seine Kriminalromane bekannt, darunter das „Havanna-Quartett“. Er gilt als Erneuerer des kubanischen Kriminalromans. Für sein Werk wurde ihm unter anderem die Carlos-Fuentes Medaille verliehen.
Sein jüngstes Buch „Wie Staub im Wind“ erscheint Mitte März im Unionsverlag, übersetzt von Peter Kultzen.
Ich bin nicht überzeugt, dass das die aktuelle Realität Kubas ist. Ich glaube, dass wir vor einem massiven Exodus junger Leute stehen, die mit ihrem Platz im Land nicht zufrieden sind. Die Pandemie hat den Prozess zwar verlangsamt, aber wer gehen kann, der geht, weil das aktuelle Kuba ihnen keine Perspektive bietet. Denn die sozialen, wirtschaftlichen und auch politischen Bedingungen haben sich verschlechtert. Die Jungen suchen ihre Chancen, wo sie sie finden. Sie haben nur ein Leben und wollen es, soweit es geht, in vollen Zügen genießen.
Aber was ist mit den jungen Kulturschaffenden, dir mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen Veränderungen erreichen wollen, ist das nicht eine neue Dynamik?
In Kuba ist eine tiefgreifende Neugestaltung der Strukturen notwendig. Und dass es in bestimmten Sektoren immer noch Kubaner gibt, die Veränderungen erreichen wollen, erscheint mir bewundernswert und großartig. Aber die Unbeweglichkeit des Staates und der Politik machen die Menschen müde. Es liegt eine historische Müdigkeit über dem Land, die dazu führt, dass die Mehrheit der Kubaner nicht mehr an kollektive Lösungen glaubt, sondern nur noch an individuelle.
Wie bewerten Sie die Proteste,die im vergangenen Juli stattfanden, als die Menschen massiv und teilweise mit Gewalt gegen die Regierung demonstrierten?
Es war Ausdruck der Verzweiflung der Menschen angesichts ihrer Situation. Im Moment ist allerdings die Luft raus, die Regierung sollte diese Ruhe nutzen. Denn wir befinden uns im perfekten Sturm: Die Pandemie, das US-Embargo, die Einmischung Washingtons in kubanische Angelegenheiten, aber auch die Ineffizienz des eigenen Systems. All das wird früher oder später dazu führen, dass die Proteste wieder aufflammen. Der Hoffnungsfunke des Obama-Besuchs ist längst erloschen. Es floss Geld, es kamen die Rolling Stones, selbst Chanel machte eine Modenschau. Wir dachten damals, dass sich nicht nur das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten ändern würde, sondern auch die Dinge auf der Insel. Nur – in Kuba änderte sich nichts. Und seit Donald Trump ist das Verhältnis zu den USA fast schlimmer als früher. Es ist eine sehr dunkle Zeit gerade in Kuba.
Viele Intellektuelle und Autoren haben Kuba den Rücken gekehrt. Sie aber sagten kürzlich, dass es für Sie wie eine Strafe wäre, außerhalb der Insel leben zu müssen. Können Sie nur in Kuba über Kuba schreiben?
Mein ganzer schriftstellerischer Kosmos befindet sich in Kuba, selbst wenn ich in das Amsterdam von Rembrandt reise oder das Russland von Trotzki. Ich bin immer in Kuba. Nur hier kenne ich die Codes. Ich wechsle drei Worte mit den Menschen und weiß, wie sie ticken. Das würde mir woanders nicht passieren. Letztlich schreibe ich ja über die Menschen hier auf der Insel. Und ein Schriftsteller nährt sich vom Leben anderer Menschen. Ich kann nicht das Leben aller meiner Figuren leben, aber ich muss ihre Geschichten so beschreiben, als wären sie meine eigenen.
Interview: Klaus Ehringfeld