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Armer Lehrer George

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Erstmals auf Deutsch: Schon in ihrem Debüt hatte Paula Fox ihren Stil gefunden

Es ist das Unselige, das einen sofort packt. Ein Unbehagen, ein leises Rumoren. Und plötzlich fühlt man sich angesteckt von einer latenten Panik, die um sich greift und alles zu beherrschen scheint. Doch welche Katastrophen sind zu erwarten? In ihren großartigen Romanen, die seit Ende der sechziger Jahre entstanden und lange Zeit in Vergessenheit geraten waren, schreibt Paula Fox über die alltäglichen Abgründe zwischenmenschlicher Beziehungen. Sie tut es auf unspektakuläre Weise, kühl, beinahe beiläufig. Unpathetisch zeigt sie die Folgen seelischer Verstümmelungen auf, und entpuppt sich immer wieder als Expertin für untergründige Strömungen und Stimmungswechsel - wenige Absätze genügen ihr, um den Leser hineinzuziehen in den verhängnisvollen Zustand ihrer Figuren.

Haltlose Seelen

Nach den schlingernden Gattinnen, apathischen Männern, grausamen Müttern und unterwürfigen Töchtern aus Was am Ende bleibt (2000), Kalifornische Jahre (2001), Lauras Schweigen (2002) und Geliehene Kleider (2003) lernen wir jetzt den Lehrer George kennen, einen Verwandten der vielen haltlosen Seelen in Fox' literarischem Universum und gewissermaßen ihr Urvater. Denn "poor George", wie er im Originaltitel apostrophiert wird, ist der erste Held, den Paula Fox erfand, er ist der Protagonist ihres Debüts. 1967 in den USA erschienen, wirkt Pech für George völlig unberührt von den Zeitläuften. Schon damals hatte die erst vor fünf Jahren von Jonathan Franzen wiederentdeckte Schriftstellerin ihren Stil gefunden.

Der langweilig-redliche George Mecklin arbeitet in einer High School in New York City und wohnt seit wenigen Wochen gemeinsam mit seiner Frau Emma, einer lethargischen Teilzeit-Bibliothekarin, auf dem Land. Nach einer quälenden Konferenz, auf der die mangelnde Disziplin der Schüler verhandelt wird, geht er auf einen Sprung zu seiner Schwester Lila, einer alleinstehenden Mutter um die vierzig, deren chaotische Lebenslage George deprimiert. Die Fahrt nach Hause durch die karge Frühjahrslandschaft befreit ihn von seiner Schwermut, doch bei der Rückkehr in sein bescheidenes Häuschen entdeckt er einen ungebetenen Besucher: ein verwahrloster Jugendlicher namens Ernest hat sich während Emmas Abwesenheit hineingeschlichen und tut so, als sei sein Verhalten völlig normal. Ernests nassforsches Auftreten verunsichert George, gleichzeitig hat er eine Vision: er will Ernest zu einem ordentlichen Schulabschluss verhelfen und erzählt Emma von seinen Plänen. Dass der fremde Junge mit dem hübschen Gesicht unerlaubt in ihr Haus eingedrungen war, verheimlicht er.

Die Ausgangssituation von Pech für George wirkt auf den ersten Blick wenig aufregend: gut, George ist verstimmt, seine Frau reagiert feindselig, und der missratene Teenager scheint merkwürdige Angewohnheiten zu haben. Das dramatische Potenzial schält sich erst nach und nach heraus. In der Figur des Eindringlings verdichten sich sämtliche Ungereimtheiten zwischen dem Ehepaar - in der lapidaren Schilderung dieses Zusammentreffens wabert das Unheil, die Zuspitzung lässt sich erahnen und wird gleichzeitig von der Tschechowschen Apathie der Akteure verdeckt.

Bereits in ihrem Debüt entwickelt Paula Fox eine effektvolle doppelgleisige Erzählstrategie: neben dem roten Faden der äußeren Ereignisse, die lakonisch und unbewegt vermittelt werden, gibt es eine zweite Geschichte, die das Innere der Figuren betrifft. Doch statt sich in Erklärungen zu verlieren, übersetzt sie die Gefühlswelten ihrer Helden in prägnante Bilder: immer wieder werden die Ereignisse auf der Handlungsebene durchsetzt von Wahrnehmungen und Beobachtungen, die den jeweiligen Gemütszustand illustrieren. Als George während der Schulkonferenz auf der Straße einen strauchelnden blinden Mann erblickt, eine wütende Mutter beobachtet und später einen Riss im Rock seiner Schwester registriert, gewinnt man einen Eindruck von seiner Düsternis.

Wie Manipulation funktioniert, führt Fox anhand einer mondänen Party vor, auf der die Gastgeberin eine Zwangsfütterung veranstaltet. Emmas und Georges lieblos zusammen gewürfelter Haushalt passt zu den zerschlissenen Verhaltensmustern, die aber gerade nicht mit interpretatorischen Bemerkungen umkränzt werden. Wie eine obere und eine untere Singstimme verweben sich beide Ebenen ganz selbstverständlich, knappe innere Monologe lassen den Leser immer stärker hineingleiten in Georges Welt. Abwechselnd fasziniert und abgestoßen durchlebt man mit ihm den Prozess einer Läuterung.

"Wissen Sie, es gibt nicht viel zu tun im Leben, wenn man einmal durch die Oberfläche der Dinge gestürzt ist", erfährt Emma von der sympathischen Mrs. Palladino, einer Alkoholikerin aus dem Nachbarhaus, womit auch die fatale Betäubung des Ehepaares auf den Punkt gebracht ist. Ernest wird sich Georges erzieherischen Maßnahmen eine Weile lang beugen, bis das fragile Gefüge doch in die Luft geht.

Wie bei Edward Hopper

In manchem erinnern Fox' Romane an die Gemälde von Edward Hopper: amerikanische Bestandsaufnahmen in klaren Linien, eindeutig, zugänglich, ereignisarm, bestückt mit isolierten Personen und von oberflächlicher Ruhe. Beide erzählen von Übergängen, eine verhaltene Spannung ist auszumachen. Bei Fox gibt es diese zweite Stimme, eine Art Souffleuse der inneren Biographien ihrer Protagonisten.

Auch wenn Pech für George noch nicht die kammerspielartige Geschlossenheit späterer Romane aufweist und manche Dialoge etwas holpern - ein großer Genuss ist dieses Buch dennoch. Fox' Geschichten von zerrütteten Ehen, inneren Krisen, Einsamkeit und Hass entfalten einen ganz bestimmten Bann. Vielleicht deshalb, weil ihre verunsicherten Helden trotz aller Widrigkeiten aus Zwangslagen ausbrechen und alte Häute abstreifen, ohne zu wissen, was dann eigentlich kommt. Es gibt den Hauch einer Hoffnung, dass sich etwas ändern könnte.

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