Das Appetithäppchen-Buch

Christoph Ribbats amüsante, manchmal aufwühlende Materialsammlung „Im Restaurant“.
Von Ruth Fühner
Frances, die eine der ersten Soziologinnen werden wird, hier aber noch durchs Chicago des Jahres 1917 hetzt, auf der Suche nach einem Job als Kellnerin. Die Fischsuppe bei Mutter Song und die Honigkrapfen am fünfbogigen Pavillon, die ein China-Reisender im Jahr 1275 lobt. Die Bouillon-Pavillons des vorrevolutionären Paris, in denen die Aristokratie demonstrativ ihre empfindlichen Mägen zelebriert – das sind die Schnappschüsse, mit denen Christoph Ribbat sein Buch „Im Restaurant“ eröffnet.
Aber halt – war da nicht etwas? Haben wir nicht gelernt, dass die ersten Restaurants in Frankreich nach der Revolution entstanden, als ehemalige Hofköche gezwungenermaßen in die Gastronomie wechselten? Eine These, die Ribbat kurzerhand als widerlegt in den Fußnotenapparat verbannt, als ob die Sache ein für alle Mal entschieden wäre. Wer eindeutige Beweisführungen erwartet, kulturhistorische oder ideologiekritische Einordnungen, der wird enttäuscht sein von diesem Buch, das die Facetten des gastronomischen Komplexes „Restaurant“ in einer schillernden Montage einfängt.
Ribbat, Amerikanist in Paderborn, ist durch Kulturgeschichten des Neonlichts und des Basketballs bekannt geworden. Seine Restaurant-„Geschichte aus dem Bauch der Moderne“ nun reicht – grob gesagt – vom frühen 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Sie umfasst biographische Vignetten (z.B. von Wolfram Siebeck) und literarische Zeugnisse (von Marcel Proust oder James Baldwin), historische Momentaufnahmen (Goebbels als Gourmet in Paris, US-Bürgerrechtler in rassistisch segregierten Woolworth-Diners, die „Döner“-Morde des NSU), erschütternde Berichte aus der Hitze der Küchen und Komisches aus den champagnerkühlen Speisesälen der Nobelgastronomie. Schlaglichter erhellen den Aufstieg der Hamburger-Ketten, den Export der französischen Küche nach New York, die Gleichzeitigkeit von Systemgastronomie und documenta-geadelter Molekularküche. Und immer wieder tauchen neugierige Soziologen auf, denen die zwei – strikt getrennten – Welten des Restaurants einen ganz besonderen Raum verkörpern: Am Nebeneinander von Knochenarbeit und Genuss wird die vom Konsumkapitalismus hervorgebrachte soziale Ungleichheit mit Händen greifbar.
Und dann doch ein Hauptgang
Das ist, über 172 von 196 Seiten hinweg, eine Sammlung von oft kurzen Anekdoten, die oft amüsant sind, manchmal aufwühlend, der aber auch die Anstrengung anzumerken ist, die Spannung aufrecht zu erhalten. Leider gelingt das trotz reichlich eingesetzten erzählerischen Tricks (am liebsten mag Ribbat Cliffhanger) nicht immer.
Dann aber, nach dieser schier unendlichen Folge von Appetithäppchen, serviert Ribbat doch noch so etwas wie den Hauptgang. Das letzte Kapitel des Buches ist zugleich eine Rechtfertigung des Theorieverzichts zugunsten der Sinnlichkeit – und eine Anzeige, was eine wirkliche Geschichte des Restaurants zu leisten hätte: Eine „Erkundung der unterschiedlichen Hintergründe, Bedürfnisse und Strategien, mit denen Menschen Gaststätten betreten – ob als Köche, Kellner, Kritiker oder Gäste“. Die Materialsammlung zu dieser Erkundung hat Ribbat schon vorgelegt.