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Antonius kam nur bis Arcella

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Von: Martin Oehlen

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Michael Köhlmeiers Novelle über den "der Mann, der Verlorenes wiederfindet", deren sanfte Archaik betört.

Erzähl, Chronist!“ lautet die Aufforderung. „Erzähl uns aus seinem Leben.“ Und Michael Köhlmeier erzählt – mit heiligem Ernst und in kunstvoller Klarheit. Der österreichische Schriftsteller, der ein Experte für Märchen und Sagen und ein Meister des mündlichen wie schriftlichen Erzählens ist, widmet sich in seiner neuen Novelle dem aus Lissabon stammenden Fernando, der als Heiliger Antonius von Padua in die Kirchengeschichte eingegangen ist. Als „der Mann, der Verlorenes wiederfindet“.

Gibt es da noch viele, die den Heiligen Antonius anrufen, wenn sie Handy, Handschuh oder Hundehalsband verlegt haben? Nicht leicht zu beantworten. Auch nicht die den Leser zunächst bedrängende Frage, wie der Autor auf diesen zwar historisch nachweisbaren, aber doch nicht gerade jetzt im Zentrum weltweiter Aufmerksamkeit stehenden Prosahelden gekommen sein könnte. Allerdings – diese Frage verdampft schon nach wenigen Seiten.

Köhlmeier erschafft Erzählwelten, die aus eigenem Recht leuchten. Das war zuletzt der Fall bei seinem literarischen Doppelporträt von Churchill und Chaplin („Zwei Herren am Strand“) und der Geschichte des „Mädchen mit dem Fingerhut“. Und das geschieht nun auf der Piazza von Arcella, wo Antonius liegt, umringt von einer Menschenmenge und gewärtig des nahen Todes.

Der Franziskaner war ein sagenhafter Prediger. So schildert Köhlmeier dessen ersten Auftritt: „Als er geendet hatte, war es still in der Kirche; sogar die Ziegen standen starr wie Statuen. Die Fliegen waren gelandet, die Münder der Bauern kauten nicht mehr, die Finger ihrer Frauen nestelten nicht an den Rüschen. Der Verputz an den Decken rieselte nicht, das Gebälk knarrte nicht, und Bischof und Superior hielten die Luft an. Nie zuvor hatten sie jemanden so reden hören.“ Doch jetzt, Jahre später, ist Antonius am Ende seiner Kräfte. Schwerkrank hat er sich auf den Weg nach Padua begeben. Irgendwann ist das Gerumpel in der Kutsche nicht mehr auszuhalten – und Antonius konnte sehr viel aushalten.

Michael Köhlmeier versetzt sich bei seiner Schilderung in die religiös durchtränkte Denkungsart des Hochmittelalters. Zwar erkennen die Umstehenden ein ums andere Mal, dass es Antonius unendlich dürstet. Aber einig sind sich die Wortführer der Gruppe, dass der verehrte Prediger es nicht akzeptieren würde, reichte man ihm nun einen Becher Wasser. So sehen sie auf der Piazza andächtig zu, wie ein Großer ihrer Zeit verstirbt: „Alle wollten Zeuge sein, wenn Gott seinen Heiligen zu sich holte.“ Das Szenario kann man sich leicht in Cinemascope vorstellen – mit sich langsam verdunkelndem Himmel und ein paar Raben hier und da.

Die Lebensgeschichte des Heiligen ist nur bruchstückhaft überliefert. Das offizielle Geburtsdatum am 15. August 1195 ist nicht gesichert, wohl aber das Sterbedatum am 13. Juni 1231. Zwischen den Eckdaten ist viel Raum für die Phantasie. Köhlmeier nutzt diesen und mischt Fakten und Fiktion. Da ähnelt Köhlmeier dem Großvater des Antonius, bei dessen Erzählungen der Junge „nicht unterscheiden konnte zwischen Bericht und Gedicht und auch nicht unterscheiden wollte.“ Später formuliert der Großvater eine Ansicht, über die er mit einem Bären disputiert habe: „Denn was ist eine Lüge, und was ist keine Lüge?“ Das ist ein Grundthema des Köhlmeier’schen Schaffens – zuletzt aufgefächert in den Romanen „Madalyn“ und „Die Abenteuer des Joel Spazierer“.

Die druckfrische Novelle birgt also nichts als die Wahrheit. Köhlmeier lässt den Heiligen Antonius hadern, wenn der meint, sich bei einer Eitelkeit entdeckt zu haben. Er lässt ihn schriftkundig und zitierfreudig philosophieren, wie nur immerzu das Böse in die Welt komme. Und er lässt ihn lieben, wenn auch nur für eine winzige Ewigkeit. Basima, die junge Muslima, und er versprachen einander ihr Leben. Doch dann musste Basima mit der Mutter fliehen. Antonius, damals noch Fernando, ging ins Kloster. Auf der Piazza von Arcella, kurz vor dem Tode, erscheint sie ihm noch einmal im Traum. Immerhin. Dann streicht ein „Sommermorgenwindhauch“ über sein Gesicht. Bald sahen jene, die nach dieser Nacht erwachten, einen Raben auf der Brust des Antonius sitzen. Da wussten sie, dass er „auf Erden nichts mehr zu erledigen“ hatte.

Und damit endet Michael Köhlmeiers fromme Novelle, deren sanfte Archaik betört.

Michael Köhlmeier: Der Mann, der Verlorenes wiederfindet. Novelle. Hanser, München 2017. 158 S., 20 Euro.

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