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Annette Pehnt „Die schmutzige Frau“: Ein Zimmer für sich allein

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Von: Judith von Sternburg

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Annette Pehnt.
Annette Pehnt. Foto: Peter von Felbert © Peter von Felbert

Annette Pehnts bedrückendes, meisterliches Vexierspiel „Die schmutzige Frau“.

Der Titel klingt bereits bedrohlich, nicht für den Menschen, der das Buch nun liest, sondern für die Frau, die schmutzig ist. Damit wird nicht gemeint sein, dass sie eben von der lehmigen Gartenarbeit zurück ins Haus kommt, denn das Buch ist von Annette Pehnt, die einen ausgeprägten Sinn für grundsätzlich missliche Lagen hat.

In der Tat. Andere sind es, die der Frau sagen, dass sie schmutzig ist, und der Schmutz lässt sich auch nicht ohne weiteres entfernen. Der „Schmutz“, wie wir da bereits lieber schreiben möchten. Denn wer sich noch vorstellen kann, dass ein Kind, dem niemand die Haare wäscht, im Schulhof alleine herumsteht – man muss sich das gar nicht vorstellen können, Pehnt ist da knallharte Realistin –, begreift doch, dass es bei der Erwachsenen um etwas anderes geht. Einem Menschen zu sagen oder zu zeigen, dass er schmutzig ist, macht ihn klein. Etwas, das sich nicht wegschrubben lässt, ist ein Teil des Menschen selbst.

Übles bahnt sich also an, aber es ist kompliziert. „Die schmutzige Frau“, der neue, erneut schmale, erneut völlig unvorhersehbare Roman der 1967 in Freiburg geborenen und mit allen Wassern gewaschenen Schriftstellerin Pehnt, kommt flink, leicht und direkt daher. Nach ein paar Seiten findet man sich dennoch nicht mehr zurecht. Dieses Buch ist ein Bild, dreht man das Bild ein Stück, sieht es anders aus, ein klassisches Vexierspiel. Annette Pehnt bietet es so direkt und unverziert dar wie ein Mensch, der keine Geheimniskrämerei betreiben muss, um ein Geheimnis auszubreiten und zugleich nicht zu verraten. Das ist hohe Kunst. „Die schmutzige Frau“ ist ein „Versroman“, die Verse sind äußerst frei, dazu gleich mehr.

Eine Frau ist von ihrem Mann, den sie „Meinmann“ nennt, in eine Wohnung gebracht worden. Eine schöne, helle, frisch renovierte Wohnung in einem Hochhaus mit Aussicht, er hat sich Mühe gegeben. Hier soll sie ihre Ruhe finden und zum Schreiben kommen. Papier hat er schon besorgt, lose und als Buch gebunden, je nachdem, was ihr lieber ist. „Du wolltest doch immer schreiben, sagt er und lächelt mir zu, während er das Buch und den Papierstapel vorsichtig auf meinem Schreibtisch ablegt, Gedichte wolltest du schreiben / Es gefällt ihm, dass ich eine künstlerische Neigung habe / Nun habe ich einen Ort ganz für mich, an dem ich mich entfalten kann / Setz dich nicht unter Druck, sagt er, mach es einfach so, wie es sich ergibt, du musst lernen, auf dich selbst zu hören / Das klingt überzeugend, alle wollen das, warum sollte ich es nicht wollen“. Jedoch, schreibt die Frau, sei ihr nicht klar gewesen, wann sie wieder in das Haus „darf“, in dem sie mit Meinemmann lebt. „Anfangs habe ich oft gefragt, er gab immer die gleiche Antwort: Niemand hält dich hier / Es ist wahr, niemand hält mich hier fest, Meinmann ist kein Wärter und ich keine Gefangene“.

Vorausgegangen scheint eine Beziehungskrise oder das, was man so eine Beziehungskrise nennt, wenn ein Mann mit seiner Frau unzufrieden ist. Sie bemerkt zuweilen „diese feine Spur des Ekels in seinen Augen / Einen gut verborgenen Widerwillen“. Ihrerseits war sie damals nicht glücklich, als sie mit einem Jungen schwanger war. „Ich wollte nicht, dass es noch mehr von ihm gab“, und das ist auch mal interessant, nebenbei zu erfahren, dass sie und Meinmann zwei Kinder großgezogen haben. Jedenfalls: „Wir waren außer uns, erschöpft und ratlos, / und brauchten eine Entscheidung, und Meinmann hat sie herbeigeführt / Ohne meine Zustimmung hätten wir es aber nicht tun können, also musste ich zustimmen / So komme ich wenigstens zum Schreiben“.

Das ist wahr, wir halten in Händen, was die Frau geschrieben hat, Literatur hat sie geschrieben. Was die Sachverhalte betrifft, ist unterdessen eine gewisse Unsicherheit aufgekommen. Nicht so sehr freilich, was die Schilderung von Meinemmann betrifft. Es ist eher deprimierend, wie leicht es fällt, bei Meinemmann an diesen und jenen zu denken. Er ist munter, witzig, klug, fleißig. Er ist gut darin, seiner Frau das Gefühl zu geben, sie sei eine Spur defizitär (um nicht doch wieder zu schreiben: „schmutzig“). Gerne wäre er stolz auf sie, aber sie macht es ihm nicht leicht. Er redet viel, wenn sie in Gesellschaft sind, er will, dass sie auch etwas Kluges sagt. Die Frau, die doch auch studiert hat und immer schon als Frau „mit Kopf“, „Köpfchen“ galt, wird immer stiller.

Das Buch:

Annette Pehnt: Die schmutzige Frau. Versroman. Piper Verlag, München 2023. 176 Seiten, 22 Euro.

Ist die Frau doch eine Gefangene? Ist er der Herzog Blaubart? Oder wird nicht vielmehr Virginia Woolfs „Room of One’s Own“ ins Arge gedreht? Eventuell. Denn immer offensichtlicher ist, dass die Frau wie jede gute Erzählerin erzählt, was sie erzählen will. Sie ist keine unzuverlässige, sie ist eine souveräne Erzählerin, sie hat die Situation – und Meinenmann – erzählend unter Kontrolle, auch wenn sie zu versuchen scheint, sich anzupassen und aufzupassen. Als sie über ein Haustier in der Wohnung nachdenkt, entscheidet sie sich gegen ein Kaninchen, sie „wollen unsichtbar sein, also tritt man ihnen versehentlich auf die Wirbelsäule“. Nachher knabbert sie an einer Karotte, während ihr Mann etwas Leckeres kocht. Das kann er auch gut, kochen. Das kann sie auch gut, sich kleinmachen.

Die Frau langweilt sich ein wenig in der Wohnung, ist auch einsam und spielt dabei eher herunter, dass sie mit dem Schreiben begonnen hat. Gedichte und Geschichten, die Geschichten zeigt sie ihrem Mann, „die Verse behalte ich für mich“. Nein, das tut sie nicht. Sie müssen das Buch selbst sein, in dem Pehnt die Sätze sanft rhythmisiert hat, Punkte braucht sie dadurch nicht mehr. Prosa (und kursiv im Blocksatz gedruckt) hingegen sind die sieben eingestreuten Geschichten, in denen stets eine „schmutzige“ und „kleine“ und „kleine schmutzige“ Frau vorkommt.

Es ist anzunehmen, dass es sich immer um dieselbe Frau handelt, die erst ein Kind ist, dann vielleicht obdachlos, aber auch ganz und gar frei. Es ist ebenfalls anzunehmen, dass sich die Erzählerin hier selbst in Richtung Freiheit schreibt (nimmt sie darum an, dass Meinemmann die Geschichten vielleicht nicht gefallen könnten?).

So wird „Die schmutzige Frau“ auch ein kluges Buch über das Schreiben, ohne dass Pehnt ihre nicht zuletzt spannende Geschichte aus den Augen verliert. Meinmann bringt merkwürdige Leute mit in die Wohnung, schließlich bricht sogar Wasser ein, und selbst wenn die Frau sich das alles womöglich mit der Kraft des Zauberers Prospero ausdenkt, um nicht allein auf einer Insel zu hocken, bleibt es doch konkret. „Und weil du mir Angst machst, bin ich hier“, sagt die Frau zu dem Mann. „Er starrt mich an / Was willst du damit sagen? / Mir wird heiß / Ich winde mich / Obwohl ich den Mund öffne, kommt kein Wort / Selbst wenn ich sprechen könnte, wäre es unmöglich / Erbärmlich kauere ich auf dem Bett wie ein krankes Kind / Du schweigst jetzt besser, sagt Meinmann, und wir beenden diesen Abend / Seine Augen schimmern wie Glas / Er wartet ab, bis ich langsam nicke“.

Es ist unerträglich. Aber wer eine Geschichte erzählt, bestimmt immer ihren Ausgang.

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