Ann Petry „Country Place“: Ein Herdfeuer, ein Dach und eine Frau

Ann Petrys „Country Place“ erzählt von einem Kriegsheimkehrer in einer spießigen Kleinstadt.
Im New Yorker Stadtteil Harlem und unter Schwarzen spielt Ann Petrys von Rassismus und Misogynie verdunkelter Erstlingsroman „The Street“ (1946); das Buch wurde auf der Stelle ein Bestseller. Nur ein Jahr später zog die 1908 geborene Journalistin und Schriftstellerin mit Mann und Tochter zurück in die Kleinstadt Old Saybrook, Connecticut, wo sie auch aufgewachsen war. Und veröffentlichte noch im selben Jahr „Country Place“, worin Weiße die Hauptfiguren sind, es überhaupt nur eine schwarze Nebenfigur gibt, eine Hausangestellte namens Neola. Mancher Kritiker zeigte sich befremdet, als habe Ann Petry sich auf ein Territorium verirrt, von dem sie nichts wissen könne, mancher deutete gar an, es sei aus finanziellen Überlegungen geschehen. Einwände, die an aktuelle Diskussionen erinnern, wer worüber schreiben, wer wen übersetzen darf, wo die „Aneignung“ beginnt.
Petry ging noch weiter, insofern sie einen jungen Mann zur Hauptfigur macht, einen Soldaten, der aus dem Krieg heimkehrt zu Mutter und Frau. Nicht die sicherlich schrecklichen Kriegserlebnisse Johnnie Roanes werden hier zum Thema, vielmehr seine bittere Enttäuschung angesichts der Heimkehr in eine verständlicherweise verklärte Heimat.
Enttäuschung über die Stadt, Ann Petry nennt sie Lennox, die nicht so ist, wie Johnnie sie in Erinnerung hat, die aus dem Fenster des Taxis heraus matt ist und „leicht verschwommen, und was einst weiß gewesen war, sah dunkler aus“. Enttäuschung dann über seine Frau, Glory, die so schön ist und so gut riecht wie am Tag der Hochzeit, die so warm und lebendig ist, aber sagt: „Du zerknitterst mir das Kleid“, als er sie in den Arm nimmt. Und bald darauf: „Ich kann’s nicht mehr ertragen, von dir angefasst zu werden.“ Er vergewaltigt sie, hinterher verachtet er sich dafür, entschuldigt sich. Und hofft, entgegen aller Hoffnung, dass Glory ihn wieder lieben kann.
Der Verlag Nagel & Kimche hat sich hierzulande des Werks der 1997 gestorbenen Ann Petry angenommen, im kommenden Jahr soll ihr dritter Roman „The Narrows“ (1953) auf Deutsch herauskommen. Übersetzt ebenfalls von der Schriftstellerin Pieke Biermann, die nun dazu beiträgt, dass der Ton von „Country Place“ frisch und heutig wirkt.
Das Buch:
Ann Petry: Country Place. Roman. A. d. Engl. v. Pieke Biermann. Nagel & Kimche, München 2021. 300 S., 24 Euro.
Vor allem aber ist Ann Petrys Blick auf das Leben in einer spießigen Kleinstadt scharf und illusionslos, ihre Sprache geradeheraus, oft auf den Punkt ironisch. Mit ihrem Erzähler, dem Apotheker von Lennox, begibt sie sich gleichsam auf vertrautes Terrain, da sie in einer Apothekersfamilie aufwuchs. Sie wird beobachtet haben, wie viel Klatsch und Tratsch in so einem Laden getauscht werden können, den vermutlich jeder und jede früher oder später aufsuchen muss. Der Besitzer muss sich nur interessiert und mitfühlend zeigen. „Nach meiner Überzeugung“, lässt sie den Apotheker einleitend sagen und warnt damit davor, ihm allzu sehr zu trauen, „ist dies eine wahre Darstellung, aber die Wahrheit hat viele Seiten, und ich bin, wie gesagt, nicht ganz unvoreingenommen, was Frauen betrifft.“
Johnnie hat keine unrealistischen Hoffnungen für sich, als er heimkehrt aus den Verheerungen des Zweiten Weltkriegs: „Ein Feuer und ein Dach und eine Frau“ – allerdings hat er sich wohl nie gefragt, was Glory vom Leben erwartet, dass sie vielleicht gern weiterhin arbeiten gehen, auch ihren Bekanntenkreis behalten möchte. Sie lehnt es ab, mit ihm nach New York zu gehen, wo er gern eine Kunst-Ausbildung machen würde.
Er entscheidet sich für Lennox mit Glory. Und findet kurz darauf heraus, wegen wem vor allem sie bleiben möchte: Ed Barrell (barrel, dt. Fass), der einen bulligen Brustkorb und ein unerschütterliches Selbstbewusstsein hat. Der aussieht „wie ein Kater, der mit steifen Beinen auf ein Weibchen zugeht“. Der hungrig ist auf (fast) jedes Weibchen – die Lennoxer verfolgen es kopfschüttelnd, solange es sie nicht betrifft. Der o-beinige Ed schläft mit Glorys Mutter und steigt der Tochter hinterher. Dann ist Johnnie zurück und Glory ist verrückt nach Ed.
Ann Petry hat eine sehr eigene Art, Figuren zu beschreiben. Sie tut das oft mit spitzem Strich, ein wenig erbarmungslos, nah an der Karikatur. Und fügt dann immer wieder erstaunliche Seiten, Verletzlichkeiten hinzu. So öffnet sich, übrigens ganz wie es einem im wirklichen Leben passieren kann, plötzlich ein feiner Spalt, durch den man sieht, dass dieser Mensch mehr ist als der Kleinstadt-Gigolo, der verschlagene, alles beobachtende Taxifahrer – die Lennoxer nennen ihn „Wiesel“ –, die nicht sehr kluge Hübsche, die in ihr Unglück rennt, die grantelnde Alte.
Und immer wieder kommt es in „Country Place“ anders, als man denkt. Ann Petry bedient sich gern des Zufalls, führt damit auf eine falsche Fährte, zieht dann mal ein Kaninchen, mal ein ganz anderes Tier aus dem Hut, das man nun wirklich nicht erwartet hat. Menschen kommen zu Tode – dies ist kein helles, heiteres Buch, für keinen Moment –, aber selbst die Geschichte vom wütenden Ehemann („wenn ich sie finde, bringe ich sie um“) geht nicht so aus, wie man seitenlang vermutet.
Ann Petry nimmt sich alle Freiheit, knetet das Genre in Form, lässt den Apotheker/Erzähler in den Kopf der Figuren kriechen, nach Lust und Laune erfinden, deuten, kommentieren. Hat er nicht zu Anfang etwas von „Wahrheit“ gesagt (wenn man jetzt mal absieht von seiner Abneigung gegen Frauen)? Aber wie sich hier ein scharfkantiges Gesellschaftspanorama fast zu einem Krimi entwickelt, da möchte man meinen, der Apotheker hätte Schriftsteller werden sollen.