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Andrej Blatnik - „Platz der Befreiung“: Der Charme der Resignation

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Von: Norbert Mappes-Niediek

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Blick ins Freie aus dem slowenischen Präsidentensitz, kurz nach der Unabhängigkeit des Landes 1991. afp
Blick ins Freie aus dem slowenischen Präsidentensitz, kurz nach der Unabhängigkeit des Landes 1991. afp © AFP

Da sind sie, die 89er, und begegnen der Liebe und der Revolution:Der Roman „Platz der Befreiung“ des Slowenen Andrej Blatnik.

Eine Weile haben Feuilletons gern die Frage erörtert, ob es nach der berühmten 68er Generation auch so etwas wie eine 89er Generation gegeben hat. Es kam nichts dabei heraus. Der Grund war, dass ständig sachfremde Emotionen in die Debatte interferierten: Die Älteren fühlten ihr Alleinstellungsmerkmal bedroht, meinten, die Jüngeren hätten ja nichts gemacht, es sei alles Gorbatschow gewesen. Mit dem Roman des slowenischen Schriftstellers Andrej Blatnik ist der Streit entschieden: Die 89er, es gab sie doch.

Der namenlose Protagonist in „Platz der Befreiung“ nimmt im Juni 1988 an der großen Demo auf dem Kongressplatz von Ljubljana teil. Er fühlt mit den vier Helden, die damals verhaftet worden waren. Er hört Depeche Mode von der Kassette, bewundert die Provos von Laibach. Auch mit der Liebe geht er anders um als die Eltern. Man muss nicht viel tun, um als Generation ein Profil zu bekommen. Schon zwanzig Jahre zuvor hatten ein Minirock, ein Abo von „Pardon“ oder „Konkret“, eine Vietnam-Demo und eine Black-Sabbath-Platte für die Teilnahme am aktuellen Lebensgefühl genügt.

Er trifft sie auf dem Kongressplatz, sie gehen auf ein Eis. Richtig zusammen kommen sie nicht. Ihre Eltern haben Geld, und zwar schon im Sozialismus; Papa hatte immer den richtigen Riecher und wird von der Tochter dafür gebührend verachtet. Er stammt aus einer sozialhybriden Verbindung, wie sie für die besseren Jahre Jugoslawiens typisch war: Mutter enteignetes Bürgertum, Vater vom Lande. Beide, er und sie, wohnen erst noch zu Hause. Dann verdrücken sich ihre Eltern irgendwann standesgemäß nach Dubai, und seine sterben kurz nacheinander, schnell und geräuschlos. Er und sie treffen sich immer wieder mal, zufällig, sind sich nahe und tauschen ihre Erfahrungen aus. Gleich was sie erleben: Er, der es vor der Wende (die hier „Unabhängigkeit“ heißt) fast zum Literaturkritiker gebracht hat, schlägt sich danach als Werbetexter durch – wie der Held in Chlodwig Poths „progressivem Alltag“. Sie macht Yoga in Goa. Aber wenn sie sich treffen, verstehen sich immer wieder blind.

Blatnik, Jahrgang 1963, hat einen großen Roman geschaffen, keinen großen Mythos. Janis Joplin, Jim Morrison und KD Wolff sind exakt zwanzig Jahre älter. Eine Verheißung gibt es zwar auch für Blatniks Helden. „Die Erlangung der staatlichen Selbstständigkeit“, Slowenien 1991, „begann mit der Selbstständigkeit des Geistes, nicht des Geldes“, sagt er. So redet er oft, mit sich, mit ihr, assoziiert dabei – in kursiver Schrift – was ihm sonst noch so einfiele, wenn er ehrlich wäre.

Das Buch

Andrej Blatnik: Platz der Befreiung. Roman. A. d. Slowen. v. Klaus Detlef Olof. Folio, Wien/Bozen 2023. 251 S., 25 Euro.

Wenn die 89er ihren schlingernden Weg durch die Fährnisse der sogenannten Transformation antreten, ist von Anfang an Resignation mit dabei; wie das utopische Leuchten verglimmt, hat man bei den Eltern beobachten können. „Die anderen Menschen werden sich schon zurechtfinden. Das werde ich auch“, sagt er zu seinem Vater. Der seufzt. „Das ja. Alle werden sich zurechtfinden. Die einen besser, die anderen weniger gut.“ „Warum sollte ich nicht zu denen gehören, die sich besser zurechtfinden werden?“, fragt der Sohn zurück. „Sein Vater sah ihn lange an. ‚Weil du dich nicht besser zurechtfinden willst‘, sagte er leise.“

Resignation ist schwer charmeträchtig, und so kommentiert Blatniks Held auch herrlich lakonisch das Geschehen um sich her – die glänzenden Karrieren von schrägen Politikern und Geschäftsleuten, den Bruch von den vollen, verrauchten Kneipen zu den coolen, leeren Pubs, von den verwahrlosten zu den eingezäunten Vorgärten. Ostalgie kommt keine auf. Für alle, die dem jugoslawischen Sozialismus nachtrauern, begleitet Blatnik seinen Protagonisten auf neun quälend langen und doch unterhaltsamen Seiten bei dem Versuch, in einem übriggebliebenen Laden alten Stils ein Sandwich zu kaufen. Für Larmoyanz ist kein Platz. „Wir sind die Mittäter, nicht die Opfer“, sagt er. „Haben alles mitgemacht.“

Weder ihn noch sie zieht es zu Taten. Was auch tun? Alles geschieht ja sowieso. Umso stärker ist beider Drang zum Philosophieren, einer Disziplin, in der der Schöpfer der beiden über größte Expertise verfügt – überraschend und originell wie sein berühmter Landsmann Slavoj Žižek, aber, anders als dieser, nie auf der Suche nach der einen, großen Erklärung.

Blatnik schreibt für Slowenen, nicht für die ganze Welt, und überzeugt eben darum auch die Leser und Leserinnen draußen. Was man dann nicht versteht, erklärt der kongeniale Übersetzer Klaus Detlef Olof in unaufdringlichen Anmerkungen. Von den 68ern hieß es immer, dass sie als Tiger gestartet und als Bettvorleger gelandet seien. Da wird man seufzend zustimmen müssen. Die 89er mögen in dem kleinen, vor und nach der Wende nie extremen, unspektakulären Land „auf der sonnigen Seite der Alpen“ politisch nur einen Katzensprung unternommen haben. Aber sie sind in den schönsten Höhen der Literatur gelandet.

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