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Amerikas Krieg gegen die Menschenrechte

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Ein - von den US-Behörden freigegebenes - Bild eines schlafenden Gefangenen im Hochsicherheitstrakt von Guantánamo Bay.
Ein - von den US-Behörden freigegebenes - Bild eines schlafenden Gefangenen im Hochsicherheitstrakt von Guantánamo Bay. © ap

Hölle in Orange: Mit David Roses Sammlung von Reportagen ist das erste umfassende Buch über das Lager von Guantánamo erschienen

Von BRUNO PREISENDÖRFER

Im März diesen Jahres kamen fünf der in Guantánamo inhaftierten britischen Staatsbürger frei. Als erster Journalist hat David Rose mit diesen ehemaligen Gefangenen gesprochen, mit drei von ihnen im Auftrag des Londoner Guardian schon wenige Tage nach ihrer Ankunft in England, mit einem vierten einige Wochen später. Bereits im Oktober 2003 war David Rose gemeinsam mit anderen Journalisten durch das Gefängnis in Guantánamo Bay auf Kuba geführt worden. Mit Inhaftierten durfte bei dieser Gelegenheit nicht gesprochen werden, aber immerhin konnte Rose das Lager in Augenschein nehmen und sich mit amerikanischen Militärs unterhalten.

Der Besuch in Guantánamo und die Berichte der entlassenen Häftlinge sind die Grundlage des Buches von David Rose, das gerade auf Deutsch erschienen ist - noch vor der englischen Originalausgabe. Von besonderem Interesse sind dabei die Umstände der Festnahme der im März freigelassenen Häftlinge und ihre Erfahrungen in Gitmo, wie das offiziell als "Camp Delta" bezeichnete Lager auch genannt wird.

Asif Iqbal, Shafig Rasul und Ruhal Ahmed waren im Januar 2002 nach Gitmo gebracht worden, Tarek Dergoul dreieinhalb Monate später. Die vier von Rose befragten ehemaligen Häftlinge erlebten noch die Unterbringung in Gitterkäfigen. Die Orwellsche Szenerie, in der Menschen in orangefarbenen Overalls hinter Zäunen am Boden kauern, wurde zur ersten Medienikone für die amerikanischen Menschenrechtsverletzungen im Krieg gegen den internationalen Terrorismus.

Inzwischen stehen die Käfige leer. Die Häftlinge sind in winzigen, von einer Tochterfirma des Halliburton Konzerns gelieferten Metallkabinen untergebracht. Aber sowohl die Unterbringung als auch die Behandlung widersprechen weiterhin der Genfer Konvention und dem amerikanischen Recht.

Die amerikanische Regierung bezeichnet die Gefangenen in Gitmo als "unrechtmäßige Kämpfer", die keinen Anspruch auf die Schutzregeln der Genfer Konvention hätten. Und weil die Bucht von Guantánamo seit 1903 von Kuba bloß "unbefristet gepachtet", mithin kein amerikanisches Territorium sei, könnten die Inhaftierten auch nicht vor amerikanischen Gerichten klagen.

Dieser Auffassung hat der Supreme Court im Juni 2004 widersprochen. Als Reaktion auf dieses Urteil, und um Prozesse vor ordentlichen Gerichten mindestens bis zu den Wahlen im November hinauszuzögern, finden seit Ende August in Gitmo Anhörungen vor Militärtribunalen statt. Erst vor wenigen Tagen, am 16. September, bezeichnete die Organisation Human Rights Watch, die einen Beobachter entsenden durfte, die Tribunale in einem offenen Brief an Verteidigungsminister Rumsfeld als menschenrechtswidrig und forderte erneut, die Verfahren entweder vor amerikanischen Straf- oder vor regulären Militärgerichten zu führen.

Während auf Kuba Häftlinge vor den Tribunalen stehen, stehen in New York Schauspieler in orangefarbenen Anzügen auf der Bühne. Das von Victoria Brittain und Gillian Slovo geschriebene Dokumentarstück Guantánamo basiert wie das Buch von David Rose auf Berichten entlassener britischer Häftlinge. Es wurde zuerst in London gespielt und sorgt nun in der Stadt für Aufregung, mit deren Verwundung die US-Regierung das Lager Guantánamo zu rechtfertigen pflegt.

Der Untertitel des Theaterstücks lautet: Honor Bound ("Ehre verpflichtet"). Die beiden Worte spielen auf das Motto an, das die Regierung über den Anti-Terror-Kampf gestellt hat. David Rose ist dem Wahlspruch auf einer großen Tafel über dem Haupttor von Camp Delta begegnet: Honor Bound to Defend Freedom. Was hinter dem Tor geschieht, beschreibt der Reporter mit den Worten der Bürgerrechtlerin Gareth Peirce: "Es scheint eine neue Weltordnung zu geben, die Hinnahme totaler Illegalität. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen all diese großartigen Verträge - die Genfer Konvention, die Ächtung der Folter -, und alle sind in Fetzen gerissen worden."

Die Verletzung von Menschenrechten, die selbst bei überführten Tätern illegal und unmoralisch ist, trifft in Gitmo eine Gruppe willkürlich zusammengewürfelter Menschen, die den muslimischen Glauben gemeinsam haben - und die Tatsache, in Gitmo zu sein. David Rose zitiert einen CIA-Bericht aus dem September 2002, der aber erst im Juni 2004 ans Licht der Öffentlichkeit kam: "Viele der beschuldigten Terroristen waren anscheinend unbedeutende Neulinge, die nach Afghanistan gingen, um die Taliban zu unterstützen, oder gar Unschuldige, die im Chaos des Krieges mit eingesackt wurden."

Wie es ist, im Chaos des Krieges eingesackt zu werden, hat auch Tarek Dergoul erleben müssen, mit dem Rose gesprochen hat. Der 1977 geborene Sohn marokkanischer Eltern ist im Londoner Osten aufgewachsen und seitdem mit vielen Pakistanis befreundet. Seit Juli 2001 hielt er sich in Pakistan auf. Nach dem Beginn des Kriegs gegen die Taliban verfolgte er die Idee, in Afghanistan billig ein Haus mit Grundstück zu erwerben, um es im Frieden wieder zu verkaufen.

Dergoul musste diese Idee, um deren kriegsgewinnlerischen Aspekt sich David Rose verlegen herumdrückt, teuer bezahlen. Er wurde bei einem Bombenangriff verwundet, von Soldaten der Nordallianz gefunden, in ein Krankenhaus gebracht, behandelt und schließlich dem amerikanischen Militär übergeben.

Die US-Armee bezahlte damals Kopfgelder für gefasste Taliban- und Al Quaida-Kämpfer, der Standardsatz waren 5000 Dollar. Wer auch immer von den Milizen aufgegriffen wurde, lief Gefahr, mit einer fiktiven Kämpferidentität versehen den amerikanischen Truppen überstellt zu werden. Der Kopfgeldhandel war eine Art Nebenerwerb der Milizen. Die Lagerleitung in Guantánamo überprüfte die Hintergründe der eingelieferten Gefangenen nicht. Wer nach Gitmo gebracht wurde, war ein Terrorist, eben weil er nach Gitmo gebracht wurde.

Tarek Dergoul kam zunächst in ein amerikanisches Militärgefängnis bei Kabul, dann in ein Lager bei Kandahar und Anfang Mai 2002 schließlich nach Gitmo. Zu diesem Zeitpunkt lebten Asif Iqbal, Shafig Rasul und Ruhal Ahmed schon dreieinhalb Monate in den Gitterkäfigen. Sie waren von der Dostum-Miliz aufgegriffen und nach mehreren Wochen Gefangenschaft an die Amerikaner weitergereicht worden. In Gitmo mussten sie bis zu ihrer Freilassung mehr als zwei Jahre und Dutzende von Verhören überstehen.

Aber auch ohne Vernehmungen war und ist das Leben in Gitmo von Gewalt durchherrscht. Kleinste Regelverletzungen können von einer Extreme Reaction Force geahndet werden, um den Willen der Inhaftierten zu brechen. David Rose gibt Tarek Dergouls Bericht von einem solchen Einsatz wieder: "Sie drückten mich zu Boden und fielen über mich her, sie bohrten mir die Finger in die Augen, sie zwangen meinen Kopf ins Klobecken und betätigten die Wasserspülung. Sie fesselten mich wie ein wildes Tier, knieten sich auf mich und bearbeiteten mich mit Fußtritten und Fäusten. Zum Schluss schleiften sie mich in Ketten aus der Zelle."

Die US-Regierung hat die Berichte der freigelassenen Häftlinge, Rose beziffert ihre Gesamtzahl auf inzwischen rund 150, erst als erfunden, dann als überzogen, dann als in Ausnahmefällen zutreffend bezeichnet. Am System Gitmo wird jedoch festgehalten, auch nach dem Folterskandal in Abu Ghraib. Dass es in Camp Delta nicht zu derart bizarren Quälereien kam wie dort, liegt Rose zufolge daran, dass in Camp Delta von vornherein weniger Rücksicht genommen werden musste. Hier blieben die Gefangenen durch die juristischen Winkelzüge der US-Regierung von der Genfer Konvention ausgeschlossen. Die Gewalt in Guantánamo ist so alltäglich, dass für Exzesse keine Kraft mehr bleibt.

Der Bericht von Rose ist die bisher umfassendste Darstellung der Verhältnisse in Gitmo und verdient deshalb besonderes Interesse. Die Verlagswerbung - "Zum ersten Mal erfährt die Welt, was sich wirklich in Guantánamo Bay abspielt" - ist jedoch eine glatte Reklamelüge. Nicht nur wegen David Roses eigener Reportagen, deren erste bereits vor vielen Monaten erschienen ist, und auch nicht nur wegen des Theaterstücks, das schon im Mai in London zu sehen war, sondern vor allem, weil es längst Berichte entlassener Guantánamo-Häftlinge gibt, die allerdings keine Europäer sind. Oder zählen nur Zeugen mit britischer Staatsbürgerschaft?

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