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Times mager
Lachen
- vonThomas Stillbauerschließen
Wofür bezahlt man seinen Computer eigentlich, wenn er nicht mal das Wort „Ohrwurm“ findet?
Rätselhafte Phänomene, Staffel zwölf, Folge eins: Über die beschwerliche Suche nach eigenen Texten im eigenen Computer.
Sie könnten schwören, vor ungefähr drei oder vielleicht auch siebzehn Jahren einen Text geschrieben zu haben, in dem das Substantiv Ohrwurm vorkommt. Sie öffnen also auf ihrem Computer den Ordner, in dem Sie penibel Ihre Texte aufbewahren, damit Sie nachschauen können, ob Sie den Text, den Sie gerade im Begriff sind zu schreiben, schon einmal geschrieben haben. Hintergrund: Es wäre unangenehm, ständig dieselben Texte zu schreiben, ohne es zu merken.
Sie tippen „Ohrwurm“ in das Fensterchen mit der Lupe. Enter. Ihr Computer verkündet: „Es wurden keine Suchergebnisse gefunden.“ Sie klettern mit den Augen an der langen Reihe von Dateien in der Liste Ihrer selbst geschriebenen Texte herunter (lange Reihe klingt jetzt angeberisch, ist aber in dem Zusammenhang eher fatal und ein Hinweis auf skandalöse Altersverhältnisse die eigene Person betreffend) und stoßen auf die Datei „Ohrwurm“ (2015). Es gibt also eine Datei dieses Namens und sie enthält auch den Begriff Ohrwurm. Auf Deutsch und auf Englisch. Warum hat der Computer diese Datei nicht für mich gefunden? Wofür bezahle ich den Computer eigentlich?
Im Museum für Kommunikation in Frankfurt ist gerade der Zettelkasten des Soziologen Niklas Luhmann zu bewundern, in dem er 90 000 Karteikarten aufbewahrte, mit einem System von Querverweisen, das ihm das Auffinden eines Ohrwurms gewiss leichter machte als die sogenannte moderne EDV. Und nein, der Zettelkasten ist natürlich nicht live zu bewundern, es handelt sich um den Coronakonjunktiv II. Er wäre zu bewundern, wenn. Beziehungsweise wenn nicht.
Wozu die Ohrwurmsuche? Aktuell belagert den Kopf grundlos ein Lied, in dem eine Frau seit 1976 singt: „Wenn du so bist wie dein Lachen“. Es geht darum, was – wenn ich so wäre – alles sein könnte, natürlich unter unhaltbaren Indikativ-Konjunktiv-Umständen. Wenn ich so sei wie mein Lachen, singt sie mir vor, möchte sie mich wiedersehn, mit mir weinen über Sachen, Erdbeerbowle aus mir machen und Purzelbäume auf mir (für mein Wohlergehn), mit mir reiten auf einem Drachen, sogar mit mir untergehn, sogar mit mir untergehn. Und sollte ich mal schlimm erwachen, müsste ich nur Auf Wiedersehn sagen. Ein wunderschöner Schlager mit erstaunlichem Schlussakkord in Dur und eine Riesenüberraschung, dass es Ina Deter ist, die das alles singt.
Die Rückseite der Single heißt: „Sein Schweigen hat mich oft gekränkt“. Das kann man wohl sagen. Wenn du mal so wärst wie dein Lachen, Personalcomputer.