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Zwischen Inspiration und Aneignung

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Von: Ingeborg Ruthe

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Max Pechstein, „Chogealls“, 1917.
Max Pechstein, „Chogealls“, 1917. © Pechstein - Hamburg/Tökendorf/Vg Bild-Kunst, Bonn

Berlins Brücke-Museum und das Kunsthaus Dahlem unterziehen die Motive der Expressionisten einer Vivisektion.

Expressionisten-Ausstellungen sind zu jeder Zeit gut für Publikumsrekorde. Gerade erst erzielten die Brücke-Expressionisten auf deutschen Winterauktionen wie in der Berliner Villa Grisebach immense Preise. Die Kunst des heftigen Ausdrucks für archaische Körperformen, des volkstümlichen Holzschnitts aus dem 15. Jahrhundert spricht ungebrochen Augensinn und Seelenlage an. Sie bietet Assoziationen für jede Lebenslage und Stimmung. Die harten Konturen und die „wilde“ ekstatische Farbgebung wirken bis heute ursprünglich.

Seit ihrem Entstehen vor 117 Jahren an den Moritzburger Teichen interpretiert die Kunstgeschichte den packenden, das Archaische feiernden Stil als Kulturkritik gegen die fortschreitende Anonymität und Naturferne der modernen Welt sowie die gesichtslosen Fratzen der Großstädte. Die Nazis stigmatisierten diese Kunst als „entartet“, sie zerstörten Werke und verfolgten Künstlerinnen und Künstler. Die Bilder der „Brücke“ wie die der später gegründeten Gruppe „Blauer Reiter“, auch die der „Rheinischen Expressionisten“ zählen zweifellos zu den bis heute inspirierenden Werken. Sie stehen für die aus der Akademismus-Starre der Kaiserzeit befreiten Kunst.

Berlin besitzt ein Schatzhaus dieser frühen Avantgarde. Das Brücke-Museum eröffnete 1967. Es wurde gegründet mit dem Bild-Nachlass und der exotischen Sammlung des Brücke-Malers Karl Schmidt-Rottluff. Das Haus am Rande des Grunewalds ist inzwischen Bewahrer und Erforscher einer der weltweit größten Expressionisten-Sammlungen.

Das Brücke-Manifest

Wer es besucht, findet in den Bildwerken das Brücke-Manifest wieder, welches Ernst Ludwig Kirchner, der wohl Berühmteste der Gruppe, einst in einen Holzschnitt fasste: Bei der „Brücke“-Kunst handele es sich „nicht allein um eine Abwendung von den überkommenden Kunstformen, sondern im gleichen Maße um die Vision einer freieren menschlichen Gesellschaft“. Es war also ein Aufbruch.

So weit. So gut. Die Künstler der Brücke (1905–1913) lebten und arbeiteten in einer Zeit, in der das Deutsche Kaiserreich eine der größten Kolonialmächte Europas war. Und genau das ist dem Brücke-Museum Anlass noch einmal genauer hinzusehen. Das bedeutet, dass man Bilder, Skulpturen und aus Übersee stammende Artefakte nach ihrem kolonialen Hintergrund befragt.

Ernst Ludwig Kirchner, „Stillleben mit Blumen und Skulpturen“, 1912.
Ernst Ludwig Kirchner, „Stillleben mit Blumen und Skulpturen“, 1912. © Marten de Leeuw

Doch in der medialen Rezeption dieser „Befragung“ gibt es gerade große Erregung. Allerdings nicht nur mit Unterhaltungswert, sondern auch mit bedenklichen Ausschlägen: Da wurden die Brücke-Maler unter Kolonialismus-Assistenz und Rassismus-Generalverdacht gestellt, unlängst besonders prominent im „heute-journal“ des ZDF. Andere wiederum wittern einen Bildersturm durch die sogenannte Cancel Culture. Ausgerechnet das Brücke-Museum unterziehe mit der Schau „Whose Expression?“ sowie „Transition Exhibition“ im benachbarten Kunsthaus Dahlem, unter anderem mit Skulpturen und Artefakten aus Papua-Neuguinea, Kamerun, Kongo und Mexiko die eigene Kunst einer Zensur!

Ehe hier das Kind mit dem Bade ausgekippt wird, dies dazu: Die sehr anschauliche Doppelschau dient keineswegs den Bedürfnissen der Cancel Culture, sondern begibt sich explizit auf die Suche nach (kunst-)geschichtlicher Wahrheit im besten aufklärerischen Sinn. Die Ausstellungsmacher positionieren sich klar, damit auch das Publikum ganz individuell und subtil zum Nachdenken über Kunst und Zeit angeregt wird. Zugleich wird nicht angezweifelt, dass es sich um Kunst handelt, die zum wertvollen deutschen und europäischen Kulturerbe gehört.

Die Brücke-Künstler nutzten Stilelemente afrikanischer Kunst

Ein wichtiges Thema ist vor allem das Spannungsverhältnis zwischen Inspiration und Aneignung, in dem Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Emil Nolde, Max Pechstein und Karl Schmidt-Rottluff agierten. In den korrespondierend arrangierten Werken und Sammel-Objekten ist zu erkennen, dass sich die Brücke-Künstler mit der imaginierten Welt der Kulturen des globalen Südens als Gegenbild der bürgerlichen Gesellschaft identifizierten und sich so erhofften, den Eurozentrismus ihrer Zeit zu überwinden.

Andererseits jedoch nutzten sie Stilelemente der Kultur Afrikas, Ozeaniens oder Indiens als Anregung für ihre Kunst. Sie taten das aus ästhetischer Begeisterung für das vermeintlich Ursprüngliche, Wahre, Unberührte. Entstehungskontexte und das rassistisch und imperial geprägte Weltbild der Kaiserzeit, die kolonialen Machtverhältnisse blieben allerdings außen vor. Ein kritisches Bewusstsein über Prozesse kultureller Aneignung existierte damals kaum. Eher wurden diese ausdrücklich positiv aufgeladen.

Erna Schilling (Kirchner) und Ernst Ludwig Kirchner im Berliner Atelier.
Erna Schilling (Kirchner) und Ernst Ludwig Kirchner im Berliner Atelier. © Kirchner-Museum Davos

Als Avantgardisten waren die Brücke-Maler gewiss „auch Kinder ihrer Zeit“, um es mit Max Liebermann zu sagen. Der Kunsthistoriker Paul Ehrlich Küppers schrieb damals, in den afrikanischen Skulpturen sei ein Wille lebendig, der auch „unsere jungen Künstler leidenschaftlich beseelt“. Es solle dem inneren Erlebnis klarste und knappste Ausprägung geben, religiöse Ekstase, Gottessehnsucht und -furcht vor dem Rätsel des Unendlichen.

Die Exotik aus dem kolonialen Süden lag damals im Trend, wie schon auf den Gemälden der Niederländer des „Goldenen Zeitalters“. So erklärt sich der in der Schau als Groß-Foto gleichsam betretbare „Raum für den modernen Unterricht“ im Berliner Muim-Institut, den Ernst Ludwig Kirchner und seine Frau Erna um 1912 bewohnten. Ein Ambiente wie in einem jener Ausstellungshäuser, die man früher Völkerkundemuseum nannte. Mit Skulpturen, Kelims und kultischen Gerätschaften die von Menschen hergestellt worden waren, die man damals als Eingeborene bezeichnete. Skizzen und Gemälde belegen, wie die Künstler sich tatsächlich in den Völkerkundemuseen Dresden und Berlin – unübersehbar enthusiastisch – mit der fremden Kultur befassten, wie sie die damals keinesfalls als Raubkunst begriffenen Benin-Bronzen und die bunten Balken von den Häusern der Palauinseln rezipierten.

So auch bei Besuchen in Varietés, im Zirkus und den als exotisch, aber kaum als rassistisch erkannten Kolonialausstellungen. Etliche der aus den deutschen Kolonien nach Deutschland verbrachten „Wilden“ standen den Brücke-Malern Modell. So zeigen die Ausstellungsmacher den berühmten Leopardenhocker. Dieser wurde lange für eine Kirchner-Skulptur gehalten. Nun sehen wir ihn erstmals in seiner eigentlichen Bedeutung als Zeugnis kamerunisch-deutscher Kolonialgeschichte.

Von allen Brücke-Malern waren allein Emil Nolde und Max Pechstein nebst ihren Frauen tatsächlich in die Südsee gereist. Steht man vor ihren Bildern, wird überdeutlich: Sie waren fasziniert von dem, was sie sahen. Das zeichneten und malten sie idealisiert. Pechsteins Motive von Bewohnern der Palauinseln romantisieren deren Schönheit und das Einssein mit der Natur. In der Ausstellung stehen wir vor einem Foto, welches die brutale Ausbeutung der Eingeborenen durch die Kolonisatoren in den Phosphatminen von Naurus zeigt. Pechstein hat das nicht gesehen. Oder einfach ausgeblendet.

Auch Noldes farbleuchtender Papua-Insulaner, den er 1914 auf der „Medizinisch-Demographischen Deutsch-Neuguinea-Expedition“ als inoffizieller Gast des Reichskolonialamtes schuf, gibt nichts wider vom Elend der ikonisch gemalten „Wilden“. Seine Gemälde seien nichts für parfümierte Salons, erklärte Nolde später. Der „Barbarismus“ mit Figuren zwischen Statuarik und Dynamik, mit Masken und mit der exotischen Natur war in Mode. Und ebenso diese spannungsreiche Komposition der mystischen Harmonie und des elementaren Daseins junger „Wilder“.

„Die Urmenschen leben in ihrer Natur, sind eins mit ihr und ein Teil vom ganzen All“, schwärmte Emil Nolde vor Ort – und empfand sich selber „künstlich und voll Dünkel“. Wieder daheim in Deutschland schrieb er ins Tagebuch eine nachdenkliche Passage: „Das Kolonialisieren ist eine brutale Angelegenheit … Wenn von den farbigen Eingeborenen aus einmal eine Kolonialgeschichte geschrieben wird, dann dürfen wir weißen Europäer uns verschämt in Höhlen verkriechen.“

Brücke-Museum/Kunsthaus Dahlem, Berlin: Bis 22. März. www.bruecke-museum.de, www.smb.museum

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