Yoko Ono zum 90. Geburtstag – Ein Leben für den Augenblick

Als Kriegskind erfreute sie sich des blauen Himmels ohne Bombendrohung. Es blieb das Motiv ihres Lebens als Künstlerin und Musikerin. Am Samstag wird Yoko Ono 90.
Für den Preis von 50 Pfennig konnte man auf der Documenta 5 von 1972 eine weiße Postkarte erwerben, in deren Mitte sich ein Loch befand. Die Karte trug den Titel „A hole to see the sky through“, und die Künstlerin, die sie hatte drucken lassen, war in Kassel mit weiteren Werken in der Reihe Individuelle Mythologien vertreten. Sie hieß Yoko Ono, war 39 Jahre alt und zu diesem Zeitpunkt selbst schon ein Mythos – als Frau, die die Beatles auseinandergebracht hatte.
Natürlich war alles ganz anders. Aus den umfangreichen Filmdokumentationen über die Beatles ließe sich gewiss die Rolle rekonstruieren, die die Frau des 1980 ermordeten John Lennon dabei eingenommen hat. Aber es wäre nicht ihre Geschichte.
Als zeitgenössische Künstlerin, die seit jeher bemüht war, für den Augenblick zu leben und ihre Wahrnehmung in die Zeit auszudehnen, hat sie sich nie für Popgenealogie und Bandgeschichte interessiert. Und die Auswertung der tiefen Abdrücke, die sie in der Bildenden Kunst hinterlassen hat, überlässt sie anderen. Als ich sie vor gut zehn Jahren in Berlin für ein Interview treffen durfte, winkte sie ab bei der Frage, ob sie sich bereits die neu geordnete Fluxus-Abteilung in der Kunsthalle Hamburger Bahnhof angesehen habe. Ihre Leidenschaft für Kunst und Künstler hat sie häufig nach Berlin geführt. Gemeinsam mit Künstlern wie Wolf Vostell und Nam June Paik galt Yoko Ono als herausragende Protagonistin der sogenannten Fluxus-Bewegung. Auf der Kunstbiennale von Venedig wurde sie vor einigen Jahren mit einem Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk ausgezeichnet.
Yoko Ono hat nie etwas davon gehalten, auf solch eine Weise historisiert zu werden. Während ich ihr meine Fragen stellte, hockte sie vor einem Laptop, als ginge es darum, jederzeit mit der ganzen Welt zu kommunizieren. Immer wieder hat sie Kontakt zu junger Kunst gesucht, und wenn sie mit ihrem Sohn Sean Lennon für Plattenaufnahmen ins Studio ging, schien es ihr ganz bewusst darum zu gehen, die leicht nachweisbaren Spuren zur musikalischen Legende zu kappen, die sie als Plastic Ono Band zusammen mit John Lennon, Billy Preston, Klaus Voormann, Eric Clapton, Ringo Starr und anderen hinterlassen hat.
John Lennon und seine Frau Yoko Ono demonstrierten 1969 im Hotelbett gegen die Gewalt in der Welt und für den Frieden.
Die kurze Bandgeschichte zwischen 1969 und 1971 gilt als eine der aufregendsten und einflussreichsten Phasen popmusikalischer Kreativität. Es war Yoko Onos durch die Urschrei-Therapie Arthur Janovs inspirierte Stimme, die der Plastic Ono Band eine Richtung gab. Für Yoko Ono indes scheint es ein lebenslanger Fluch zu sein, auf der Suche nach künstlerischen Ausdrucksformen immer wieder ikonische Effekte erzeugt zu haben, die beinahe zwangsläufig dazu prädestiniert waren, in die Kunstgeschichte zu geraten. Ohne allzu umständliche literaturwissenschaftliche Verrenkungen ließe sich beispielsweise feststellen, dass der Himmel, den man durch die Postkarte sehen konnte, derselbe war, von dem ihr Ehemann John Lennon in „Imagine“ die naturalistische Vorstellung entwickelte, der zufolge es keinen Himmel gebe, sondern nur Luft und Wolken („above us only sky“).
Der Blick zum Himmel ist eines ihrer bleibenden Motive seit Kindertagen. Während des Krieges sei sie zum Schutz vor Bombenangriffen von Tokio aus aufs Land geschickt worden. Und plötzlich sei da über ihr nichts als der Himmel gewesen. Dieses Bild habe sie nie mehr vergessen. Die kosmologische Zuversicht, dass einem der Himmel nicht auf den Kopf fällt, hat Yoko Ono zu einer der berühmtesten Friedensaktivistinnen gemacht. „All we are sayin’ is give peace a chance“.
Nicht zu vergessen Yoko Onos Erfindung für das moderne Verwaltungswesen. Was in fortschrittlichen Unternehmen und Institutionen heute unter dem Stichwort der „anonymen Bewerbung“ praktiziert wird, um bei der Stellenvergabe den Einfluss von äußeren Merkmalen wie Geschlecht, Hautfarbe und Name auszuschließen, hat Yoko Ono bereits in den 60er Jahren als „Bagism“ entwickelt. Vom über den Kopf gezogenen antimodischen Kleidungsstück des Sacks erhoffte sie sich eine stärkere Konzentration auf die unmittelbare menschliche Kommunikation.
Als ich Yoko Ono im Berliner Hotel Kempinski seinerzeit fragte, ob die Zeit trotz alledem nicht irgendwann reif dafür wäre, eine Autobiografie zu schreiben, winkte sie mit entwaffnender Freundlichkeit ab. „Beim Schreiben einer Biografie“, sagt sie, „müsste ich ja alles in eine Reihenfolge bringen. Ich habe jedoch nie in linearen Kategorien gedacht. Mein Leben findet gerade in diesem Moment statt. Das ist alles.“ Am heutigen Samstag wird Yoko Ono 90. Wir gratulieren in zurückhaltender Bewunderung und Erwartung auf alles, was noch kommt.