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Wim Wenders: Wie es dann weiterging und wie es endete

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Von: Ingeborg Ruthe

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Wim Wenders: „Fire Chief“, Butte/Montana 2019. Wenders Images, Courtesy Galerie Bastian
Wim Wenders: „Fire Chief“, Butte/Montana 2019. © Wenders Images, Courtesy Galerie Bastian

Wim Wenders ist ein Pionier des neuen deutschen Films. Seine Bildsprache hat viel zu tun mit der Malerei Edward Hoppers. Davon erzählt er in der Berliner Galerie Bastian.

Zwei Filmemacher auf Gottes Erden fanden in Edward Hopper (1882-1967), dem Maler der amerikanischen Melancholie und der beklemmend psychedelischen Tristesse der Kriegs- und Nachkriegsjahre, ihre tiefenwirkende Inspiration. Der eine war der legendäre Alfred Hitchcock. Der andere ist Wim Wenders, geboren 1945 in dem den Bomben der Alliierten leidlich entkommenen Düsseldorf. Wahl-Amerikaner auf Zeit und überzeugter Wahl-Berliner.

„Zwei oder drei Dinge weiß ich über Edward Hopper“, so nennt Wenders seinen 3-D-Kurzfilm von 2020. Auch die daraus entstandenen Stills sind in der Ausstellung in der Dahlemer Galerie Bastian zu sehen. Es ist ein Film-Experiment, in dem der Kino-Mann sich ausmalt, wieso Hoppers Malerei zum Inbegriff der amerikanischen Weite, der Verlorenheit wurde. „Hoppers Bilder sind filmischer als irgendeine andere Malerei“, sagt der Regisseur großer Filme wie „Der amerikanische Freund“, „Paris, Texas“, „Der Himmel über Berlin“, „Buena Vista Social Club“, „Pina“ oder „Das Salz der Erde“, während er vor den Stills an der Galeriewand steht. „Niemand sonst im 20. Jahrhundert hat so gemalt, dass man wissen will, wie es weitergeht.“ Wenders’ Film kommt ohne Worte aus. Umso beredter ist die melancholische Musik. Für die 3-D-Technik habe er sich entschieden, weil es eine von der Filmindustrie ganz zu Unrecht vernachlässigte Darstellungsart sei: „Eine ausgesprochen poetische Technik, die kaum beanspruchte Hirnregionen animiert, räumlich zu sehen.“

Etliche Hopper-Gemälde hat Wenders ausgewählt, um daraus seine ganz eigenen und dennoch mit dem Geiste des Malers symbiotischen Szenen zu filmen: „Gas“ von 1940, mit einem alten glatzköpfigen Tankwart. Man wüsste gerne mehr von ihm. Stoisch tankt er einen dunkelgrünen Packard auf. Der Fahrer bleibt sitzen, eine Frau steigt aus, der Tankwart lässt kein Auge von ihr. Sie raucht ganz nahe an der Zapfsäule eine Zigarette!

Fast stockt einem der Atem. Was kann und was wird jetzt passieren? Zerreißt gleich eine Explosion die unheimliche Bezüglichkeit und Stille vor dem Hintergrund eines Waldes in merkwürdigem Dämmerlicht. Dann steigt die Frau wieder ein, das Auto fährt weg. Plötzlich verlassen den alten Tankwart die Lebenskräfte. Was für ein erstarrtes Drama! Das gibt es nur in der Malerei. Und im Kino.

Wim Wenders: „Meeting on the Porch“, Butte/Montana 2019.Wenders Images, Courtesy Galerie Bastian
Wim Wenders: „Meeting on the Porch“, Butte/Montana 2019. © Wenders Images, Courtesy Galerie Bastian

Wenders hat nach einigen Semestern Medizin und Philosophie in Paris Malerei studiert. Er habe seine ersten Kurzfilme sozusagen „als Fortsetzung der Malerei mit anderen Mitteln“ gesehen. Und er habe sich später immer mehr zum Erzähler entwickelt. Hopper, so Wenders, sei ein passionierter Kinogänger gewesen, er hat viele seiner Motive nach Kinobesuchen entworfen. 1947 malte Hopper „Summer Evening“, ein Holzhaus in den Weiten Montanas. Auf der Veranda steht ein Paar. Die Beziehung ist unklar, sie scheint gestört. Auch Wenders’ kurzer Film klärt nichts auf. Die Tristesse erdrückt alles. Und dann kommt die Filmszene nach dem Gemälde „Morning Sun“ von 1952.

Gedankenversunken blickt eine einsame Frau im hochgerutschten Nachthemd, die Oberschenkel entblößt, die Arme auf den Schienbeinen, ins hereinfallende Licht der aufgehenden Sonne. Ihren Blick hat sie vom Bett aus auf das große Fenster gerichtet. Ein Hotelzimmer? Dieses Fenster teilt die Szenerie metaphorisch in ein Drinnen und ein Draußen. Bonjour Tristesse, hier wie dort.

Wenders erfindet in seinem Film einen Typ. Lang, dünn im schlottrigen Anzug, mit Borsalino-Hut à la „Es war einmal in Amerika“. Was tut der Mann, der die Frau im Bett überwacht? Als sie das Zimmer zum Rauchen verlässt, beordert er sie mit derbem Griff zurück. Und was tut er, als er ein junges Mädchen im Sommerkleid durch eine menschenleere Kleinstadtkulisse verfolgt? Nichts. Gar nichts. Der Filmemacher hat auf diese Weise die Gestalt wie eine Bedrohung oder Störung in die zum Bersten angespannte Szene hineingebaut.

Wenders steht in der Galerie vor zwei wie zwischen Hoppers Pinselzügen festgefrorenen Filmstills. Er erzählt, wieso ihn die düstere Leere des US-amerikanischen Malers seit Langem beeinflusst: Das Morgenlicht und die Nachtschatten, die unheimlichen Häuser. Einsame Leute im Hotel, in den leeren Straßen, an Tresen vor sich hin stierende Handelsreisende. Diese poetische Düsternis fasziniert Wenders.

Hopper hatte einst erklärt, es gehe ihm „um die reiche Welt der Psyche“. Seine Motive, für deren Verfilmung Wenders in Montana, in einer Geisterstadt die ideale Kulisse fand, wecken auch bei uns, die wir nun zuschauen, den Drang, sich Geschichten auszudenken. „Ich nahm Hoppers Bilder schon immer als Standbilder von nie gedrehten Filmen wahr“, sagt Wenders. Schon 1977 habe er sich bei den Dreharbeiten zu „Der amerikanische Freund“ Motive aus einem Hopper-Katalog herausgenommen.

Wenders räumt seine Schwäche fürs Surreale und Absurde ein. Und für das Tagträumen. „Ich sehe ein marodes Haus, eine gespenstisch leere Straße, einsame Leute, eine Bahnschiene, die ins Nichts zu führen scheint, oder einen dunklen Waldrand und denke: Wie bei Hopper! Ich will die Geschichten weiterdenken.“ Gelernt habe er von Hoppers Bildern viel über Licht – ein unheiliges, oft kaltes Licht, das in die Privatsphäre eindringt, alles in außen und innen teilt. Es sei dieses Spiel mit Ambivalenz und Suspense, das ihn fasziniere.

Wim Wenders verfremdet Hopper nicht, er erweitert die Motive aus der Ära der Nachkriegsmoderne, die in den USA eigentlich in die Abstraktion führte. Edward Hopper verstand sich zeitlebens als Realist, er blieb bei der Figur und der Gegenständlichkeit. Damit war er, so Wenders, „gleichsam anachronistisch, schwamm gegen den damaligen Mainstream des Abstract Painting des Starmalers Pollock“.

Dennoch war Hopper erfolgreich. In seinen Motiven fanden sich die Menschen wieder – in seinen Motiven der Entfremdung von der modernen Welt. Und von sich selbst.

Galerie Bastian in Berlin-Dahlem, Taylorstr. 1: bis 4. März (derzeit seien die Zeitfenster für den Besuch ausgebucht, wie die Galerie am 1. Februar mitteilte).

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