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Wenn der Baumpilz den Takt vorgibt

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Von: Sandra Danicke

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Bühneninstallation zu „Antenne 2.0“. Fot: Nora Schroeder
Bühneninstallation zu „Antenne 2.0“. Fot: Nora Schroeder © VON SANDRA DANICKE

Räume und Impulse beim Festival der jungen Talente im Frankfurter Kunstverein

Eine alte Gartenhütte steht im Foyer des Frankfurter Kunstvereins. Es war das Geschenk einer unbekannten Person. Joschua Y. Arnaut, Valentin Hesch, Sonja Prochorow und Hannah Thoese haben sie im Internet ergattert. Jetzt ist sie ein Teil des 10. Festivals der jungen Talente. Das Holzhäuschen gehört zu einem Projekt mit dem Titel „Zustand siehe Bilder“, der sich mit der charakteristischen Ästhetik der Präsentationen auf „Ebay Kleinanzeigen“ auseinandersetzt. Etwa damit, dass immer wieder die gleichen Gegenstände (Feuerzeug, Eurostück, Coladose) als Größenvergleiche mitfotografiert werden. Oder damit, dass bestimmte Stellen (Gesichter) manuell geschwärzt, dass Dinge mit den Händen in die Kamera gehalten werden.

Dass für dieses Projekt Studierende der HfG Offenbach und der Kunsthochschule Mainz zusammengearbeitet haben, liegt in der Natur des Festivals: Insgesamt sieben Hochschulen, die im Rhein-Main-Gebiet darstellende, bildende oder angewandte Kunst oder Musik lehren, kooperieren, um gemeinsam Performances und Installationen zu erarbeiten, alles unter der Federführung der HfG, die auf diese Weise multidisziplinäre Formate fördert.

19 hochschulübergreifende Projekte wurden für die Realisierung im Kunstverein ausgewählt. Rund 80 Studierende waren beteiligt, weshalb hier unmöglich sämtliche Namen genannt werden können. Es gibt dabei keine thematische Klammer - dennoch entstehen erstaunlich oft Verbindungen - thematisch oder auch durch ähnliche Präsentationsformen. Diesmal sind es Gebäude und Einbauten. Es gibt zum Beispiel einen Bretterverschlag mit dem Titel „Ihr kriegt uns hier nicht raus!“, der sich offensichtlich auf eine Zeile aus dem 1972 von der Band Ton Steine Scherben veröffentlichten „Rauch-Haus-Song“ bezieht - eine Hymne für Hausbesetzerinnen, Hausbesetzer und jene, die mit ihnen sympathisierten. Schaut man in den Verschlag hinein, dann sieht man Bier trinkende junge Menschen auf Sperrmüllmöbeln sitzen, die irritierenderweise Lieder von Ideal hören, als sei die Zeit in den achtziger Jahren stehen geblieben.

Trauern über Künftiges

Alleine ist man hingegen in einem kubischen Gebilde, das einen Raum zum „Vortrauern“ bieten soll. Man wolle, so einer der Beteiligten, damit eine neue Kulturtechnik einführen: Trauer um Dinge, die wir vielleicht in Zukunft verlieren könnten. Natürlich könne man hier auch um Dinge oder Menschen trauern, die man bereits verloren hat.

Im Inneren der Installation mit dem Titel „Shed your tears to stop the ending time“ leuchtet ein geheimnisvolles Licht. Man kann hier wunderbar meditieren - oder aufschreiben, was einem fehlt (oder irgendwann fehlen wird), an der Wand heften bereits zahlreiche Zettel anderer Trauernder, was womöglich hilfreich ist. Da trauert jemand um seine Freiheit, eine andere Person betrauert Freunde und Gefährten. Man fühlt sich geborgen, aber nicht einsam. Alleine ist man auch im Baum. Oder in der Blume, in die man sich im „Bottom Recreation Center“ mithilfe einer VR-Brille hineinbewegen kann - die Welt ist ausgeschlossen, man selbst darf sich als Teil des Kosmos fühlen und überlegen: Was empfindet wohl die Pflanze? Wobei man auch hier nur von sich ausgehen kann.

Immerhin eine Ahnung von dem, was in Pflanzen und Pilzen vor sich geht, erhält man auch durch das Projekt „Transitions of Transmissions“ im Untergeschoss des FKV. Man sieht und hört Pflanzen atmen oder vernimmt ihren Herzschlag. Genau genommen ist es natürlich kein Herzschlag, es handelt sich um bio-elektrische Felder, die mithilfe von elektronischen Geräten hörbar gemacht werden und mit menschlichen Performerinnen und Performern eine Art Dialog führen. Eine Jam-Session zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Akteuren also, bei der die Pflanzen und Pilze den Ton angeben. Zum Einsatz kommen unter anderem ein Klavier und eine Paella-Pfanne.

Wer hätte gedacht, dass ein Baumpilz aus dem Frankfurter Stadtwald zu hektischem Geblubber imstande ist? Bloß: Was will er uns sagen? Der Pilz reagiere auf Berührung, erzählt Sarah Melz, eine der Performerinnen. „Er braucht etwa zehn Minuten, bis er sich eingegroovt hat. Dann singt er mit.“ Was für ein Erlebnis.

Das Projekt „Tension Lab“ wiederum macht etwas sichtbar, was normalerweise nur zu hören ist. Mit einer selbst konstruierten „Fließbandkamera“ verwandeln die Beteiligten selbst gespielte Musik in atmosphärische Bilder.

Sobald die Akteure Klarinette, Bratsche und Cello spielen, werden die Bewegungen der Finger über spezielle Handschuhe an die Apparatur übertragen, die das fotografische Bild in Echtzeit belichtet und entwickelt. Auch die Klänge steuern das Licht, das auf das Fotopapier einwirkt - so entstehen querformatige Stimmungsfotos, man könnte auch sagen, die Kamera notiert die Partitur auf ihre eigene Weise. Irgendwie gespenstisch.

Es geht um die Eintagsfliege

Die Verschmelzung von Lebewesen mit Technik ist auch das Thema der Installation und Performance „Antenne 2.0“ von einem Kollektiv, das sich nach der Eintagsfliege „May_fly“ benannt hat. Das Bühnenbild sieht ein wenig apokalyptisch aus, man ahnt, dass es um den Tod geht. Faszinierend wirken auch die technoiden Kostüme, die außerhalb der Aufführung an einem Garderobenständer hängen. „Die klangbasierte Performance ,Antenne 2.0‘ schafft durch Live-Modulation kinetischer Installationselemente und Kostüme einen symbiotischen Kreislauf. Die Bewegungsabläufe entstehen im Zusammenwirken aller Beteiligten als dezentraler ,Cyber-Organismus‘, heißt es verheißungsvoll in der Ankündigung.

Dass eine Reihe von Räumen und Bühnenbildern erst dann mit Leben erfüllt ist, wenn sie durch Aufführungen bespielt werden, liegt in der Natur der Sache. Manches macht neugierig. Etwa der Schuppen („Dance Cage“), der mit Schaumstoffmatten gepolstert wurde. Darin soll eine Art Tanz-Kampf stattfinden. Oder die mit schwarzer Folie ausgelegte Fläche, über der kleine Fleischerhaken von der Decke hängen („Monstrous Gaze“) - eine performative Installation, die sich „mit dem Phantasma des ,Feminin-Monströsen‘“ beschäftigt. Der Ankündigung ist eine „Warnung“ beigefügt: „Erzählungen von Erfahrungen mit Queer*feindlichkeit und Misogynie, Körperdysphorie und -dysmorphie“. Wie kann man da nicht neugierig werden?

Neugierig machen auch die graugrünen Flächen, die nach und nach überall im Kunstverein auftauchen. Es handelt sich um Übermalungen mit dem Titel „The Buff Project“. Buffing bedeutet in der Graffiti-Szene, dass ein Nicht- Sprayer die Werke eines Sprayers einfarbig übermalt. Eine zerstörende Geste also, die immerhin Raum schafft für Neues. Tatsächlich wird an den Wänden der Institution immer wieder getaggt und gesprayt. Es ist also ein ständiges Hin und Her. Ganz ähnlich wie im richtigen Leben.

Am Schluss schaut man noch einmal im Foyer vorbei und bleibt vor einer weißen Wand stehen, die ein Fenster verdeckt. Mit „A Window is a Space“ verweisen die Beteiligten auf Recherchen zum partiellen Wiederaufbau des Steinernen Hauses und den Anbaumaßnahmen der sechziger Jahre. Die Fenster eines ehemaligen Zwischengeschosses sind mittlerweile reines Dekor. Die Künstlerinnen weisen damit über den Raum hinaus auf die Neue Altstadt und ihre illusorischen Tücken hin. Schlau, wie man mit Unsichtbarkeit den Blick schärfen kann.

Frankfurter Kunstverein: bis 15. Mai. Eröffnung: 5. Mai, 19 Uhr. www.fkv.de

Lisa Nürnberger, Laura Hrgota-Jannene, „Dance Cage“. Foto: the artists
Lisa Nürnberger, Laura Hrgota-Jannene, „Dance Cage“. © VON SANDRA DANICKE

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