Welt der Konstruktion

Eine feine Kabinettausstellung im Städel präsentiert Werke von Hermann Glöckner und Rudolfs Jahns.
Linie, Rechteck, Diagonale, daraus ist die Welt bestellt, ein immer wieder überraschendes Wirkungsfeld. So kann man die Außenwelt sehen, wenn man sie mit den Augen Rudolf Jahns’ sieht, was jetzt durch eine Kabinettausstellung in Frankfurts Städel Museum möglich gemacht wird. „Geometrie als Gestaltungsprinzip“ heißt die Schau, und dabei wirken Linie, Rechteck und Diagonale durchaus über sich hinaus. Geometrie ist ein Raumbildner, der über das Objekt hinausgreift.
Geometrie nicht als Schulstoff - als Sehschule
Zusammen mit Arbeiten von Hermann Glöckner sind in dem Kabinett 22 Arbeiten zusammengekommen. Iris Hasler hat sie so angeordnet, dass die Objekte der beiden Künstler, von denen Besucher der Städelsammlung bereits außergewöhnliche kennen, in Beziehungen gesetzt werden. Fläche zu Fläche – Faltungen zu Faltungen, etwa bei reliefartigen Arbeiten, die bei Jahns wie ein menschliches Profil anmuten, wenn braune Kartonstreifen, im rechten Winkel befestigt auf einem Bildträger, dreidimensional ausgreifen. Wenn sich das Flächige aufstellt, und allein durch die Schatten eine weitere Dimension bekommt, Dreidimensionalität. Geometrie als Gestaltungsprinzip, Geometrie nicht als Schulstoff, sondern als Sehschule. Sehr unterschiedliche Blickwinkel zeigen sich in den Schenkungen, die die Tochter des Künstlers, die 89-jährige Barbara Roselieb-Jahns jetzt dem Städel überlassen hat. Anlass für eine Ausstellung allemal. „Komposition Nr. 18“ war 1924 eine zarte Fingerübung, ein organisches Gespinst, jetzt präsentiert auf einer Staffelei. Um eine Wiedergabe der Welt aus einem Blickwinkel der Moderne ging es 1931 in den „Häusern an der Steilküste von Boulogne-sur-Mer“, ein Bild durchaus in der Nachfolge Lyonel Feiningers, bei dem der Reiz eines dörflichen Gewinkels in einem kubischen Gewürfel angeordnet ist. Suggestiv auch die Lichtverhältnisse, zur Eigensicht auf die Dinge zählte so etwas wie eine eher abgemilderte kosmische Strahlung. Zu den Beziehungen in der Kabinettausstellung gehört die Koexistenz von zwei Konstruktivisten. Zum einen der in der Kunstmetropole Dresden und auch nach 1945 im Osten wirkende Glöckner, der 1889 geboren wurde und 1987 starb; zum anderen der in Hannover und Holzminden lebende Jahns, der 1993 starb, im Alter von 87 Jahren. Sie mussten sich nicht kennenlernen, um dennoch Künstlerfreunde im Geiste zu sein, als Persönlichkeiten der Vorkriegsmoderne. Auch Hannover war ein Laboratorium der Moderne, mit Kestnergesellschaft und einer lebendigen Galerieszene, in der etwa ein Kurt Schwitters ein- und ausging, in der ein El Lissitzky oder Lyonel Feininger ihre Spuren hinterließen. Freimachen von der Konvention. Das Ungegenständliche hatte Konjunktur und war auch in Hannover überhaupt nicht ungewöhnlich. Die beiden Protagonisten des Konstruktivismus verkörperten in den 1920er Jahren zweifelsohne die Avantgarde. In den 1930er Jahren, so versichert Ulrich Krempel, stellvertretender Vorsitzender der Jahns-Stiftung, sei Jahns von den Nazis „kujoniert“ und in eine „Wahnsinnsklemme“ gebracht, schließlich zum Eintritt in die Partei „gezwungen worden“. In dem Kabinett kommen Werke allein aus der Früh- und der Spätphase der eigene Wege gehenden Konstruktivisten zusammen. Beide hatten ihre Zeit nach 45, als die Abstraktion im Westen rehabilitiert wurde, dagegen in der DDR weiterhin verpönt war, als bürgerlicher Formalismus attackiert wurde. Ein Beieinander von Form und Farben, von dem Jahns einmal sprach, darf in diesem Kabinett ein sinnfälliges, ein sehr autonomes Dasein führen. Allein 26 mal variierte Glöckner eine Fläche durch Verteilung der Anteile von schwarzen und weißen geometrischen Formen, darunter Dreiecken und Vierecken. Gelegentlich arbeiteten die Künstler mit fahlen Farben, auch irritierte Jahns Linie, Rechteck, Diagonale durch eine Welle.
Ein Beieinander von Form, Farben, vor allem Flächen
Die Fläche wurde zur Betätigungsfläche einer Beirrung – man darf wohl sagen, dass manches Objekt zur Projektionsfläche einer Illusion wird. Glöckners Formfindungen stehen als Plastiken zackig im Raum. Zur Konstruktion von Welt gehört, dass die dreidimensionalen Gebilde durch filigrane Faltungen zweidimensionalen Flächen entstanden sind. Linie, Rechteck, Diagonale. Wie sehr sie über sich hinaus ausgreifen, um Beziehungen im Außenraum zu stiften, zeigt der Binnenraum des Städel. In unmittelbarer Nachbarschaft zu dem Sonderausstellungskabinett die organische Skulptur Otto Freundlichs – wiederum deren geballte Kraft. Die eminent expressive Plastik des 1943 in Sobibor oder Majdanek umgebrachten Juden bildet den vehementen Kontrapunkt zu Frank Stellas „Cieszowa III“. Zu einem Objekt, das, an der Grenze zwischen Gemälde und Relief und bei aller Abstraktion, an den NS-Schrecken in einem polnischen Dorf gemahnt. Das alles Wand an Wand – ein weiteres Wirkungsfeld.
Städel Museum, Gartenhallen: bis zum 27. Mai.