Tigerchen und goldene Risse

In Frankfurt sind Seladon-Keramiken aus zweieinhalb Jahrtausenden zu sehen.
Irgendwo zwischen Oliv, Türkis, Minze und Jadeit bewegt er sich, der Grünton Seladon. Unauffällig formt sich in ihm ein Tiger, eine Fledermaus, ein Riss. Eine Farbbezeichnung unter vielen, könnte man sagen. Doch eines unterscheidet diese Nuance von allen anderen: Nach ihr ist eine jahrtausendalte Tradition der chinesischen Steinzeug-Kunst benannt, die Seladon-Keramik, die sich durch eine bestimmte Glasur auszeichnet. „Greenware“ wird sie schlicht und weit ungraziöser im Englischen genannt.
Das Museum Angewandte Kunst in Frankfurt widmet sich nun unter dem Titel „Die Farbe von Jade und Ewigkeit“ in einer kleinen Kabinettschau den grünen Keramiken. Rund 30 Exponate aus der hauseigenen Sammlung von 1000 chinesischen Keramik-Objekten sind ausgewählt worden. Die Keramiken, die aus dem 5. Jahrhundert vor, oder auch dem 18. Jahrhundert unserer Zeitrechnung stammen, vereinen sich in ihrer Unterschiedlichkeit. Offensichtlich ist neben dem charakteristischen Grün vor allem das minimalistische Dekor der meisten Stücke. Die kontemplative Reduktion der Seladon-Kunst ist damit auch ein philosophischer Gegenentwurf zu den verspielten Motiven der Ming-Vasen, die in Europa das Bild chinesischer Porzellankunst immer noch beherrschen. Aber die Seladon-Keramiken stehen für mehr als Minimalismus.
„Situationskomik“, wie es Kurator Stephan von der Schulenburg nennt, beweist zum Beispiel eine 25 Zentimeter lange Bettflasche in Form eines bauchigen Tigerchens; in den Rachen dieses kulturell bewunderten Tieres zu urinieren, zeige den Humor des chinesischen Mannes vor über 1500 Jahren. Besonders raffiniert ist auch eine Schale in der Ausstellung, die mit kaum sichtbaren Fledermäusen und Wolken verziert ist. Um welche Schale es sich handelt, soll an dieser Stelle nicht verraten werden.
Aber auch etwas über ein ostasiatisches Ästhetikverständnis lässt sich lernen. Mehrere der Seladon-Keramiken weisen Risse auf, die filigran aber auffällig mit goldenem Lack geschlossen wurden. Sie entsprechen damit der, besonders in Japan verbreiteten Idee des Wabi-Sabi, einer „Nobilitierung des Verfalls“, wie es Schulenburg ins Europäische übersetzt. Wahrscheinlich wurden die Reparaturen durchgeführt, als die chinesischen Keramiken in japanischem Besitz waren.
Das größte Stück der kleinen Schau ist ein deckelloser Topf aus dem 14. bis 15. Jahrhundert, der 1906 dem Museum geschenkt wurde. Sponsor war Alfons Mumm von Schwarzenstein, ein Spross der Mumm-Sektdynastie, der 1900 als Gesandter nach China kam, nachdem sein Vorgänger im sogenannten Boxeraufstand getötet worden war. Später pflegte Mumm gute Kontakte ins chinesische Kaiserhaus und brachte einige Exponate in seine Heimatstadt Frankfurt.
Gerade diese anekdotischen und historischen Einschläge machen die Ausstellung auch abseits der Handwerkskunst interessant. Leider sind sie nicht der Mittelpunkt eines Vermittlungskonzepts zur Seladon-Keramik. Leer ausgehen müssen Interessierte aber auch nicht. Im kleinen Ausstellungsraum liegen einige Bücher zum Lesen bereit, unter anderem ein Katalog der ostasiatischen Keramiken des MAK. Hier lassen sich nicht nur die Depotstücke bestaunen, es wird auch ein geschichtlicher Abriss der Keramikkunst geliefert. Empfohlen wird das Lesen des Katalogs auf den chinesischen, traditionell gefertigten Holzstühlen, auf denen das Sitzen ausdrücklich erwünscht ist; sie stammen aus der MAK-Schau „Sit in China“ aus dem Jahr 2009. Hier lässt sich auch kurz Rast machen von der reich ausstaffierten Michael-Riedel-Ausstellung, die sich im Nachbarraum anschließt.
Wer sich bis zuletzt gefragt hat, woher das Wort Seladon rühre: So alt die Seladon-Keramik, so verschüttet auch der Ursprung des Namens. Nach populärster Meinung stammt er aus einem Schäferroman des 17. Jahrhunderts, dessen gleichnamiger Protagonist ein Gewand in eben jenem markanten Grün trägt. Ebenso ist eine Abwandlung des Namens Saladin oder eine Herkunft aus dem Sanskrit möglich.