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Splendid White: Es knallt und quillt

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Von: Sandra Danicke

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Hl. Maria Magdalena als Büßerin, erste Hälfte 17. Jahrhundert. Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung
Hl. Maria Magdalena als Büßerin, erste Hälfte 17. Jahrhundert. Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung © Liebieghaus Skulpturensammlung

Das Liebieghaus in Frankfurt präsentiert die vollständige Elfenbeinsammlung Reiner Winklers - ein Erlebnis.

Die grünen Flecken im Bild rechts zum Beispiel. Ja, schauen Sie ruhig einmal genauer hin. Denken Sie jetzt immer noch, das sei ein Muster? Vermutlich nicht. Aber da Sie jetzt schon einmal so genau hingesehen haben, wird Ihnen aufgefallen sein, dass dieses Elfenbeinrelief - es zeigt Maria Magdalena als Büßerin und entstand in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts - nicht nur fein gearbeitet ist, es verfügt auch über diverse Schmuckapplikationen und Blattgoldelemente.

Bei den grünen Flecken, so fanden die Restauratoren im Frankfurter Liebieghaus heraus, handelt es sich um Oxidationsverfärbungen, die auf eine ehemals vorhandene goldfarbene Bemalung mit Metallpulver zurückgehen - extrem(!) ungewöhnlich. Oder wie Kuratorin Maraike Bückling es ausdrückt: „Es knallt heraus“.

Auch der Sammler Reiner Winkler, dessen einmalige Elfenbeinkollektion - es handelt sich um die weltweit größte Privatsammlung mit diesem Schwerpunkt - inzwischen dem Liebieghaus gehört, dürfte dies bemerkt haben. Ein Großteil seiner Werke ging bereits 2018 (vorwiegend als Schenkung) an das Skulpturenmuseum, wo sie seit 2019 unter dem Titel „White Wedding“ zu sehen sind. Ein kleiner Teil blieb jedoch bei ihm zu Hause. Winkler hatte sich ausbedungen, dass diese bis zu seinem Tod in den Wohnräumen verbleiben; er wollte bis zum Schluss mit ihnen leben. Man darf also mutmaßen, dass die 21 Werke, die nun, nach Winklers Tod, ebenfalls im Museum zu sehen sind, zu seinen liebsten zählten.

„Splendid White“ lautet der Titel der Gesamtschau, die mehr als 200 Elfenbeinwerke des Barock und Rokoko aus ganz Europa versammelt und über dessen Aufsehen erregendste Objekte bereits ausführlich berichtet wurde. Über die spektakuläre „Furie auf sprengendem Pferd“ (1610), „Die drei Parzen“ (um 1670) oder den effektvoll inszenierten „Chronos auf der Weltkugel“ (um 1720/25?). Steht man nun in dem an den Hauptraum angrenzenden Miniraum, der die Neuzugänge beherbergt, staunt man vielleicht ein wenig darüber, dass Winkler sich von den Highlights trennte, nicht jedoch von einer Reihe von Porträtmedaillons, die auf den ersten Blick unspektakulär anmuten.

Allein - wenn man sich ein wenig einsieht in die hauchzarte Haut, die filigran gearbeiteten Locken, das feinziselierte Ornat, stellt man fest, dass man sich daran kaum sattsehen kann. Da ist etwa dieses von Carl August Lücke d. Ä. zu Beginn des 18. Jahrhunderts gefertigte En-face-Bildnis eines Unbekannten, der in all seiner Imposanz mit stolz geschwellter Brust geradezu aus dem Rahmen drängt. Da ist das Mitte des 18. Jahrhunderts entstandene Bildnis eines „Dr. Thode“ mit weich wallender Perücke und aufgeworfenen Lippen, der sehr vornehm und vergeistigt in die Ferne blickt. Oder das Porträt Kaiser Leopold I. (um 1696), dessen Profil vor allem durch sein markant vorstehendes Kinn und die wulstige Unterlippe geprägt ist (man kennt dies von diversen Gemälden, er wird also wohl so ausgesehen haben). Und nicht zuletzt ist da das hoheitsvolle Bildnis Papst Clemens XI., das 1710 nach einer Medaille des Franzosen Charles Claude Dubut gefertigt wurde.

Bemerkenswert ist hier nicht nur die Könnerschaft, die sich unter anderem am sehr detailliert gearbeiteten Gewand zeigt. Wichtig an dieser Arbeit ist auch, dass man genau weiß, wofür sie entstand. Nämlich, so Maraike Bückling, Sammlungsleiterin der Abteilung Renaissance bis Klassizismus, „aus Anlass der Konversion der Fürsten zum christlichen Glauben“. Diese und eine Reihe ähnlicher Bildnismedaillons wurden also als Geschenk für August den Starken oder seinen Sohn angefertigt. Der sächsische Kurfürst war damals heimlich (und aus reinem Machtkalkül) zum katholischen Glauben übergewechselt, da er - erfolgreich - für die Königskrone des katholischen Polen kandidierte. Die Tatsache, dass man den Zweck des Medaillons genau kenne, sei deshalb so besonders, weil man den Grund der Herstellung bei keinem anderen Elfenbeinporträt dieser Zeit beweisen könne.

Die Glanzzeit der barocken Elfenbeinkunst begann mit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges 1648. Zu dieser Zeit war das Material, das sich wegen seiner Elastizität minutiös bearbeiten lässt, enorm geschätzt. Tierschutz war damals eben kein Thema.

Wer beim Anblick der weißen Porträts ins Schwärmen gerät, wird bei zwei religiösen Relieftafeln, die der Franzose Jean-Antoine Belleteste im 18. Jahrhundert in Dieppe angefertigt hat, erst recht hin und weg sein. Nicht nur von Maria, die aus Anlass der Verkündigung durch den Engel Gabriel vom Stuhl auf die Knie gesunken ist, sondern auch von den zahlreichen Detaildarstellungen im Hintergrund: dem gemusterten Lehnstuhl, den Butzenscheiben, dem Bücherregal und dem Korb, aus dem ein Stoffknäuel so üppig quillt, als feiere es die frohe Botschaft auf seine Weise.

Apropos Stoffe: Ausgestellt ist auch eine großformatige Kreuzabnahme Christi aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, die früher im Arbeitszimmer Reiner Winklers hing. Die Faltenwürfe der Gewänder der zwölf Dargestellten sind so opulent, dass man gar nicht weiß, wo man zuerst hinschauen soll und beinahe vergisst, die ernsten, würdevollen Gesichter zu betrachten.

Weniger elegant geht es naturgemäß in den so genannten Genreszenen zu. Dabei handelt es sich um Werke, die das einfache Volk abbilden: Bettlerinnen, Straßenhändler, Trunkenbolde. Es ging also darum, das vermeintlich heitere Treiben des Fußvolks aus höfischer Sicht darzustellen. Darüber amüsierte man sich damals, was aus heutiger Perspektive eher seltsam anmutet.

In diese Kategorie fällt unter anderem eine bemerkenswerte Kombinationsfigur, die aus Elfenbein, Holz und Glas gefertigt ist: Die „Bettlerin mit Saitentambourin und Kind“ (1730er Jahre) vom Tiroler Schnitzer Simon Troger, die bei Winkler auf dem Esszimmerschrank aufgestellt war, trägt eher derbe Züge. Es handelt sich um eine fast nackte, nur mit Lumpen bekleidete Figur, die offenbar singend auf einem Holzstamm sitzt und ein Instrument bearbeitet. Neben ihr steht ein ebenfalls musizierender Junge.

Das Instrument ist heute nicht mehr vollständig erhalten und wurde durch ein Holzhämmerchen in den Händen der Bettlerin bzw. einen Holzstock beim Jungen ersetzt. Die Augen sind aus Glas gefertigt und blicken angestrengt auf das Tambourin. Auch dieser muskulöse Frauenkörper ist voller Anmut. Aber das ist bei Elfenbein auch nicht anders zu erwarten.

Liebieghaus Skulpturensammlung, Frankfurt: bis 8. Januar 2023. www.liebieghaus.de

Bettlerin von Simon Troger, 1730er Jahre. Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung
Bettlerin von Simon Troger, 1730er Jahre. Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung © Liebieghaus Skulpturensammlung

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