Nhu Xuan Hua im Fotografie Forum Frankfurt: Verzerrte Erinnerungen

Nhu Xuan Hua reist durch ihre vietnamesische Familiengeschichte - eine Ausstellung im Fotografie Forum Frankfurt.
Sie habe das Gefühl, ihr renne die Zeit weg, um das Puzzle zu rekonstruieren, sagt Nhu Xuan Hua, während sie durch ihre Ausstellung im Fotografie Forum Frankfurt geht. Das Puzzle: ihre Familiengeschichte, ihre eigene Identität. Die 1989 in Paris geborene Fotografin ist Tochter vietnamesischer Eltern, ihre Familie war nach dem Vietnamkrieg nach Belgien und Frankreich geflohen. Mittlerweile werden die älteren Familienmitglieder weniger, und Nhu Xuan Hua überlegt; sie hätte mehr Fragen stellen sollen. Der Tod ihrer Großmutter und ihre Hinterlassenschaft – ein Heim voller Erinnerungen – haben die Fotografin dazu bewogen, sich auf eine persönliche Reise zu machen, um sich „mit ihren vietnamesischen Vorfahren zu verbinden“.
Ein sanfter Wind zieht durch die Ausstellung mit dem Titel „Hug Of a Swan“; er wird aus Ventilatoren durch eine theaterkulissenhafte Inszenierung geblasen, wie ein unsichtbarer Geist trägt er eine Erzählung vor sich her. Durch fünf thematische „Räume“ bewegen sich die Besucherinnen und Besucher: Die Ausstellung wurde zuvor im Huis Marseille in Amsterdam gezeigt, das Setting auf die Fläche im Fotografie Forum übertragen. Zu erleben ist das künstlerische Resultat – oder das Zwischenergebnis, die Momentaufnahme – von Nhu Xuan Hua Recherche: verblasste und verzerrte Familienerinnerungen, in denen die Gesichter fehlen und deren Leerstellen von einem Algorithmus automatisch ausgefüllt wurde. Verfremdete Elemente einer mit ihr verbundenen und dennoch fremd wirkenden Kultur – sie haben oft ein kitschiges Moment. Nostalgische Fragmente und Symbole; Reminiszenzen aus der Kindheit.
Verbunden hat die in London lebende Fotografin dies mit seltsam-humorvoller Fashion-Fotografie. Es ist der spezielle Reiz dieser Ausstellung: Nhu Xuan Hua ist hauptberuflich Modefotografin. In ihren Auftragsarbeiten für Dior, Kenzo oder Gucci steckt etwas sehr Eigenwilliges, dessen Wurzeln in Nhu Xuan Huas persönlicher Geschichte zu suchen sind. Während man durch die Ausstellung streift (am besten sollte man Kopfhörer fürs Handy dabeihaben, denn an den Wänden ist über QR-Code ein „Soundtrack“ zur Ausstellung zu hören), wird klar, wie viel künstlerische Energie und Ausdruckskraft, wie viel minutiöse Inszenierung in Huas stilisierter Hochglanz-Modefotografie steckt.

Ein Hochzeitssaal ist die erste Mise en Scène der Ausstellungs-Erzählung: rosa Tischdecken, zu Schwänen gefaltete Stoffservietten. (Nhu Xuan Hua stellt sich selbst als „Swan“ vor; als Hilfestellung, um ihren Namen richtig auszusprechen.) Eine Bühne für den Sänger, die Sängerin, klischeehaft angelehnt an eine märchenhafte „Wedding-Scene“ asiatischer Filme. Im Hintergrund: eine Modefotografie für Paco Rabanne. Auf ihr ist ein Karaoke singendes, in eine Art glamouröses Ganzkörper-Kettenhemd gepacktes Model zu sehen – in einem sonderbar leeren, unterkühlt-weißen Raum. Es ist eine atmosphärische Sollbruchstelle, wie es sie in Huas Narrativen häufig gibt. Auch im „Hochzeitssaal“ stimmt etwas nicht. Die Tische sind mitten durchgeschnitten, man kann nur einzeln an ihnen sitzen (wozu die Besucherinnen und Besucher eingeladen sind), das Besteck ist krumm, kann nur schwer zum Mund geführt werden. Es ist so viel verhindert: das Fest der Liebe, die Gelegenheit, Geschichten zu teilen – stattdessen: ein Setting der Einsamkeit.
Das Verhältnis zu den Eltern, die eine Brücke zu ihrer vietnamesischen Identität hätten bauen können, spielt eine wichtige Rolle in der Schau. Der Vater: ein gehörloser Maler, die Mutter: eine Arbeiterin, eine Perfektionistin, deren einziger Luxus Kosmetikprodukte sind. Von ihr erlernte Nhu Xuan Hua das Bild des immer perfekten, braven Mädchens. In ihren Modefotografien sind heute zu sehen: eigenwillige, selbstbewusste Frauen mit Tattoos, großen Narben und festem Blick. Sie symbolisieren auch Huas Emanzipation. Die Fotografin wird in der Ausstellung als Newcomerin gefeiert: als Erschafferin von Bildern, in denen sich Assoziationen, Anekdoten und Erinnerungen ästhetisch verdichten. Verzerrt - vielleicht. Sehenswert - unbedingt.
Fotografie Forum Frankfurt: bis 9. April. fffrankfurt.org