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Karel Appel in Berlin – Aufprall der Farbmassen

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Von: Ingeborg Ruthe

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Die Skulptur „La Vierge Noire“ von Karel Appel.
Die Skulptur „La Vierge Noire“ von Karel Appel. © dpa/(Archivbild)

Der Amsterdamer Maler Karel Appel, einst Mitglied der Cobra-Gruppe, irritiert bis heute mit ausladenden Formen und expressivem Kolorit – wie eine Berliner Galerie-Schau eindrucksvoll zeigt.

Je älter Karel Appel (1921–2006), einer der interessantesten Maler der europäischen Nachkriegs-Avantgarde, wurde, desto obsessiver irritierte der Amsterdamer mit seinen Abstraktionen. Die intensiven, kontrastierenden Farben, die ausladenden Formen – wir dürfen rätseln, ob Figur oder Landschaft? – passen nur knapp in die oft über Holztafeln gespannten Leinwände. Der Farbstrudel braucht mehr Platz, scheint über den Bildraum hinauszufließen, zu quellen und zu wuchern.

Die Berliner Groß-Galerie Max Hetzler zeigt uns, wie sehr auch das von der Kunstgeschichte der Moderne längst ausgeleuchtete Lebenswerk Appels noch fasziniert. Der Ausstellungstitel „Encounter in Spring and what follows“ hält, was er verspricht. Diese folgenreiche „unheimliche Begegnung“ des Malers im Frühling ist ein gemalter Bericht von allen Gemengelagen im Auf und Ab des irdischen Daseins, vom Werden und Vergehen und Wieder-Werden, von Gewalt und Zärtlichkeit, von den Launen und jahreszeitlichen Wundern der Natur.

Man könnte meinen, der Niederländer habe all diese Erlebnisse und Anblicke in Bildkästen gestellt. Der Bildvordergrund wird stark von abstrakten Formungen beherrscht, die in jedem Gemälde eine andere expressive Wirkung entfalten. Das Frontale und Vertikale kehrt ständig wieder in Appels langem Schaffen. Er ließ seine Gebilde nicht ruhen, sondern lud sie auf mit Dynamik, ja, regelrecht mit Rastlosigkeit. Bisweilen wirken die immer mehr ausladenden Tafeln abrupt, heftig, dramatisch. Manchmal gar aggressiv.

Solch eigensinnige, virtuose Ausdruckskunst, wie sie schon der deutsche Brücke-Expressionismus, die französischen Fauves hervorgebracht hatten, waren bei Appel zudem inspiriert von der Art Brut (der rohen, der Außenseiter-Kunst), die der Franzose Jean Dubuffet 1947 gegen alle Widerstände als Kunstform geprägt hat. Auch Appel, der in Paris studierte, seit 1951 dort lebte und dann bis zum Tod zwischen der Seine-Stadt, den USA und Amsterdam pendelte, widersetzte sich dem konservativen Akademismus, ebenso dem Mainstream des Kunstmarktes, und gab seinen abstrakten Gestalten, den Köpfen und amorphen Gebilden eine existenzialistische Bedeutung. Er bezog sich auf das Ursprüngliche, das Wilde, Emotionale, entwarf naive Bildwelten.

Schon in den Bildern während seiner Zeit in der 1949 gegründeten und bis 1951 bestehenden Avantgarde-Gruppe Cobra (das Kürzel seiner Malerfreunde Asger Jorn, Constant, Corneille und deren Herkunftsstädten Copenhagen, Brüssel und Amsterdam) gerieten ihm die Figuren so herb-poetisch wie abstrakt. Nach der Auflösung von Cobra ließ er die Farbmassen aufeinanderprallen, sie wuchsen gleichsam zu Gebirgen, zu Landschaften; unbändig und grell beherrschen sie den Bildraum.

Appel war Ende der fünfziger Jahre gerade von seiner ersten Reise aus den USA zurückgekehrt, tief geprägt von der Begegnung mit den Malern der New York School. Damals entstand „Rencontre au printems“ (Begegnung im Frühling). Das gefühlsgewaltige Meisterwerk von 1958 gehört der Unesco-Collection Paris, eine Auftragsarbeit an Appel für die Weltorganisation zu deren Einweihung des Sitzes in Paris.

Auch andere bekannte Künstler hatten von der Unesco einen Auftrag erhalten, so Jean Arp, Alexander Calder, Isamu Noguchi, Roberto Matta, Joan Miro“, Henry Moore und Pablo Picasso. Alles Männer. So war das damals mit der Gleichberechtigung und der Parität.

Karel Appels hypnotisches Gemälde bildet den monumentalen Dreh- und Angelpunkt der Ausstellung bei Hetzler. Appel malte es damals nicht in seinem Pariser Atelier. Das war zu klein. Also bot ihm sein Freund Sam Francis sein großes Atelier in Villejuif südlich von Paris an. Das Werk aus der Unesco-Sammlung kam als Leihgabe nach Berlin, umgeben von Bildern, in denen alles Figürliche sich in wilden Formen und dynamischen Gesten verliert. Die Materialität der Farbe war auch in den siebziger Jahren als Ausdrucksträgerin das Wichtigste. Und in den neunziger Jahren schienen die Bilder förmlich zu brennen, als loderten Flammen aus den dicken Farbstrukturen.

Doch im Alterswerk wirkt Appels Pinselstrich auf einmal wie gezügelt und wohlüberlegt mit Acryl- und Ölfarben auf Leinen gesetzt. Nun treten Figuren entschieden und klar aus dem Bildraum. Aber es sind seltsame, wie in Netze verstrickte Gesellen, in denen sich abermals die Nähe ihres Malers zur Art Brut verrät. Kurios, fast schon surreal sehen sie aus, die Chimären aus Mensch und wie außerirdische Landschafts-Wesen, denen Appel Titel wie „Thought’s Bommerang“ oder „Nimble Acrobat“ gab: Aber auch hier finden sich, wie schon früher, Figur und Abstraktion in leidenschaftlicher Innigkeit, derweil die Hintergründe fast unbearbeitet blieben.

Appel experimentierte lustvoll. Inspiriert vom Jazz, trieb der alte Maler seine Form- und Farbspiele immer weiter. Völlig losgelöst von jeglichem Zweck.

Galerie Max Hetzler, Berlin bis 25. Februar. www.maxhetzler.com

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