Junge Kunst aus Frankfurt: Unsichtbares greifbar gemacht

Frankfurter Kunstverein stellt eine junge Generation vor, die zwischen analog und digital pendelt. Von Johanna Krause
Der beißende Terpentingeruch, den man typischerweise aus Ateliers kennt, ist schon verschwunden. Dabei waren die Räume des Frankfurter Kunstvereins bis vor wenigen Stunden noch eine Art große Kunstwerkstatt. Die letzten Arbeiten für die Ausstellung „And This is Us – Junge Kunst aus Frankfurt“ sind gerade erst fertig geworden. Im Foyer lenkt nun das monochrome, rostbraune Ölportrait „Views“ von Sonja Rychkova die Blicke auf sich. Die großformatige 2,6 mal 2,8 Meter große Leinwand lässt keine Ablenkung zu. Sonja Rychkova sucht nach den „Momenten von Kraft in ihren Bildern“, sagt sie.
Zum vierten Mal seit 2017 präsentiert der Frankfurter Kunstverein unter der Leitung von Franziska Nori die interdisziplinären Arbeiten der jungen Künstlergeneration der renommierten Hochschulen für bildende Künste im Rhein-Main-Gebiet; der Städelschule in Frankfurt und der Hochschule für Gestaltung Offenbach (HfG).
Aus einer Auswahl von etwa hundert Portfolios stellen stellvertretend Studierende, Absolventinnen und Absolventen ihre individuellen Perspektiven auf gesellschaftsrelevante Fragen aus. Es ist ein Konzept von Nachwuchsförderung, bei dem die jungen Kunstschaffenden von der Idee bis zur Produktion, dem Bereitstellen von Arbeitsräumen, bis hin zur finalen Präsentation in einem intensiven Austausch begleitet werden. In diesem Jahr profitieren elf Künstlerinnen und Künstler überwiegend aus Deutschland, aber auch aus Frankreich, dem Iran und Schweden davon.
Was bewegt die neue Generation? Welche Anliegen haben die jungen Menschen nach der Zeit der Isolation, deren Nachwirkung noch immer in den Gliedern steckt, und was berührt sie in einer Gesellschaft der konstanten Transformation? Das sind die Leitfragen des diesjährigen Programms. Auf 1000 Quadratmetern Ausstellungsfläche haben die jungen Talente ihre künstlerisch reproduzierten Eindrücke der heutigen Zeit ausgebreitet. Sie eröffnen damit einen Raum, in dem man über das dialektische Verhältnis von Digitalisierung und Analogem nachdenken kann. Neue Medienformate und digitale Techniken treffen auf haptische Materialien, Unsichtbares wird greifbar. Mit unterschiedlichen ästhetischen Handschriften setzen die Künstlerinnen und Künstler gekonnt verschiedene Stilelemente und Bildmotive ein. Die Auswahl der Arbeiten ist präzise getroffen; sie bilden die Schnittstelle einer Generation, die in beiden Realitätsebenen aufgewachsen ist: im Digitalen und Analogen.
Jenny Sofie Kasper ist fasziniert von der Virtual Reality. Sie baut Welten, die Besucherinnen und Besucher durch die VR-Datenbrille sehen und erkunden können. Mithilfe von 3D-Scans dokumentiert sie urbane Umgebungen in Offenbach aus der pandemischen Zeit. Verlassene Einkaufsstraßen, ein Platz, eine Unterführung, eine Ansammlung von Sperrmüll, ein gesprengter Geldautomat werden zu einer Erinnerung an die Isolation. Durch die Reproduktion von handgemachten Keramikobjekten bindet sie ein Element der realen in die virtuelle Welt mit ein.
Über drei Leinwände zieht sich die 3-Kanal-Videoinstallation von Nassim L’Ghoul. Er nutzt computergenerierte Bilder, die in der finalen Filmbearbeitung entstehen und in der Regel in der Filmproduktion nicht weiterverwendet werden. L’Ghoul erschafft hier daraus surreale Traum-Szenarien.
Benedikt Ackermann hinterfragt die Entwicklung von Bildern und die Machtverschiebung vom Analogen ins Digitale. Er erklärt: „Es ist auch ein Nachspüren, wie sich Technologie verändert. Sie erlaubt schnelles Verarbeiten, es steckt aber auch noch eine Metapher der analogen Bilder drin.“
Rashiyah Elang ist Filmemacherin und Installationskünstlerin. Mit ihrer Videoinstallation erzählt sie eine Heldenreise durch den Weltraum auf der Suche nach Identität. Daraus entsteht eine digitale Poesie, in der gleichzeitig eine postkoloniale Interpretation mitschwingt. Bei Lisa-Sophie Gehrmann dient die Technik hingegen lediglich als Mittel zum Zweck. Aus wenig Material plastische Darstellungen zu erschaffen, ist einer ihrer Ansätze. Die Haptik steht im Mittelpunkt. In Tonplatten ritzt sie Zeichnungen und gießt die Ritzen dann mit Latex aus. Aus der Negativform erscheint eine positive Replik mit erhabenen Zeichnungslinien in dreidimensionaler Optik.
Meret Kern ist neu in der Malerei, sie arbeitet schnell. In vier Monaten hat sie 300 Arbeiten vollendet. Mit Kohle, Pastellkreide und Gouache malt sie abstrakte Figuren auf Papier. Zuvor zeichnete sie überwiegend grafisch in Zeichenprogrammen wie „Illustrator“. Sie forscht nach dem „wahren Ausdruck hinter den Gesichtern“, wie sie erklärt, und interessiert sich für die „Suche nach dem inneren Prozess“.
„And This is Us 2023“: Wer ist diese neue Generation? Offenbar ist es eine Generation, die das Digitale und das Analoge als Arbeitsmittel in der zeitgenössischen Kunst als gleichwertig betrachtet. Auch inhaltlich gibt es Gemeinsames: So unterschiedlich die Werke auch sind, haben sie doch alle eine gesellschaftliche Bedeutung. Alle Positionen sind auf ihre Weise treffende Zustandsbeschreibungen der Zeit, in der die mediale Reizüberflutung ein Teil der Lebenswelt ist, und die auch von Künstlerinnen und Künstlern eine immer schnellere Produktion zu verlangen scheint. Einige halten dagegen, andere antworten – vielleicht kompensatorisch – mit eigener Überproduktion.
Es ist auch eine Zeit der multiplen Identitäten, von nicht mehr linear erzählten Existenzen, die das Individuum letztlich wieder auf sich selbst zurückwerfen. Das authentische Menschsein wird gesucht: in der Selbstbetrachtung im Porträt, auch im Kollektiv, inmitten des gegenwärtigen digital-analogen Zwischenraums.
Frankfurter Kunstverein:
Bis 11. Juni. fkv.de