1. Startseite
  2. Kultur
  3. Kunst

Jochen Lempert im Portikus: Er sucht nicht, er findet

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Sandra Danicke

Kommentare

„Kirschen“, 2019.
„Kirschen“, 2019. © Jochen Lempert/VG Bild-Kunst, Bonn 2022Courtesy BQ, Berlin und ProjecteSD, Barcelona

Der Künstler präsentiert fantastisch triviale Fotografien im Frankfurter Portikus.

Diese Ausstellung ist auf den ersten Blick langweilig. Sie zeigt Fotos mit Insekten, Blättern, gelegentlich Menschen, alles in schwarzweiß. Die Szenen scheinen wie nebenbei beobachtet: Dinge, Wesen, Situationen, die so alltäglich sind, dass wir sie womöglich gar nicht wahrnehmen. Und wenn doch – oh, eine Ente – haben wir es kurz danach wieder vergessen.

Weil man nun aber schon mal im Frankfurter Portikus in der Ausstellung von Jochen Lempert steht, wo diese Fotos ganz unspektakulär und schutzlos auf die Wände geklebt wurden, schaut man länger hin. Und wundert sich: Sieht dieser Abzug nicht ziemlich flau aus? Sind da nicht Flecken drauf, die beim Vergrößern entstanden sein müssen? Nie sind spektakuläre Lichtverhältnisse zu sehen, wie sie in der Schwarzweiß-Fotografie üblich sind, vieles wirkt grau in grau. Mal sieht man einen Käfer, mal ein Paar Kirschen.

Doch dann! Ganz allmählich entdeckt man die Feinheiten. Zarte Linien auf einem Blatt. Eine spezielle Körnigkeit, die es bei Digitalfotografie gar nicht gibt. Das winzige Konterfei des Fotografen, gespiegelt in einem Froschauge. Das Kirschenbild, das doch nicht bloß Kirschen zeigt, sondern eine diffuse, verlockende Lichtstimmung. Oder - je nach Betrachtungsweise - ein einsames Paar, eine Komposition aus Linien und Kreisen, ein letztes Glück an einem Spätsommertag.

So wie das Kirschenbild sind die meisten der Fotografien von Jochen Lempert: Man kann sie als grafische Konstellationen anschauen, als poetische Verweise auf die melancholische Schönheit, die im Banalen, Vergänglichen liegt. Sie zeigen, was ist. Und dass das, was ist, wunderschön sein kann – auch ohne dass man es bildästhetisch aufpoliert. Oder genauer: gerade weil man es nicht tut. Oftmals verliert man sich in diesen Bilder, folgt einer Struktur, einem hauchfeinen Muster und vergisst, was darauf abgebildet ist. Die Motive kippen ins Abstrakte.

Jochen Lempert, der in Hamburg lebt und 1958 in Moers geboren wurde, ist den meisten Kunstkennerinnen und -kennern kein Begriff. Dabei arbeitet er seit den neunziger Jahren mit dem Medium der Fotografie. Künstlern, die in einem thematisch ähnlichen Bereich arbeiten, ist er sehr wohl ein Begriff. Lempert gilt als artist’s artist. Weil er das Sonderbare im Trivialen entdeckt und sich von den Anforderungen des Kunstmarktes völlig frei macht.

Im Untergeschoss des Portikus hängen zum Beispiel drei Bilder als Serie nebeneinander, die einem seltsam vorkommen. Sie zeigen jeweils zwei weiße Formen, die in unterschiedlichen Konstellationen auf dem Wasser schwimmen. Sie haben den Umriss von Blättern und man braucht eine Weile, um zu verstehen, dass es sich um Schwäne mit untergetauchten Köpfen handelt. Das hat – wie viele Aufnahmen von Lempert – auch einen gewissen Witz. Vor allem weil die Fotos neben einem Fenster hängen, durch das man auf den Main blickt. Manchmal schwimmen Schwäne vorbei, manchmal tauchen sie nach Futter. Da nimmt der Innenraum zum Außenraum eine Verbindung auf, lenken die Bilder den Blick auf den Ort, an dem sie ausgestellt sind: Auf der Maininsel, die in den 1970er Jahren zum Naturschutzgebiet erklärt wurde und von zahlreichen Vogelarten bewohnt wird.

Die Anordnung der Fotografien an den Wänden wirkt zunächst erratisch, mal hängt was oben, mal unten, die Abzüge sind meistens unterschiedlich groß. Lempert spielt mit den Formaten: Ein Foto in Briefmarkengröße zeigt einen Marienkäfer. Um ihn eingehend zu betrachten, muss man dicht herangehen. Auf die Kombination seiner Werke legt Lempert, der auch Biologie studiert hat, den allergrößten Wert, da ist nichts Zufälliges dran. So entstehen Bezüge, macht das vergleichende Sehen Unterschiede und Gemeinsamkeiten deutlich. „Es geht eigentlich immer darum, anhand des Fotos etwas zu sehen oder auf dem Foto etwas zu sehen. Manchmal braucht man dazu mehrere Bilder, damit etwas zusammenkommt. Und manchmal reicht nur eins“, sagt der Künstler, der bevorzugt mit einer Brennweite von 50mm fotografiert, weil sie dem menschlichen Auge am nächsten kommt.

Man ist regelrecht überrascht, wenn man erfährt, dass diese Bilder in den vergangenen drei Jahren entstanden sind. Sie wirken vollkommen zeitlos, was auch an der fehlenden Farbigkeit liegt. Und natürlich daran, dass der Fotograf sich vor allem für Flora und Fauna interessiert.

Sobald Lempert seine Aufnahmen gemacht hat, fertigt er in seinem eigenen Fotolabor manuelle Abzüge in Postkartengröße (oder kleiner) an, verschlagwortet sie, ordnet sie jedoch keinen festen Kategorien zu. Alles hängt ja letztlich mit allem zusammen, formale Korrespondenzen kann man schier überall finden, auch (und vor allem) nachträglich. Geht Lempert mit der Kamera raus, dann findet er nicht das, was er sucht, er sucht gar nicht erst - und findet dadurch umso mehr.

Ein Foto zeigt etwa ein Auto von oben, auf dessen Dach ein riesiges Blatt liegt. Automatisch denkt man, es handele sich um ein Spielzeugauto. Dann schaut man genauer, entdeckt Markierungen und Flecken auf dem Asphalt, und das Gehirn setzt die Größen in ein anderes Verhältnis. Ein weiteres Fotos zeigt zwei Enten an einer Straßenbahnhaltestelle, wieder eines einen Asiaten, der aus einer Kokosnuss trinkt, ohne seine Hände zu benutzen, in denen er Einkaufstüten hält. Das ist nicht spektakulär, aber sonderbar ist es doch. Das Bild liegt im Untergeschoss in einer Tischvitrine, in der Lempert Fotos zu Paaren geordnet hat.

Von oben schaut man die Aufnahmen ganz anders an, man beginnt sie zu studieren wie die Exponate in einem Naturkundemuseum: ein Schmetterling, Wurzelgemüse, ein Mensch im Park - alles spannend.

Portikus, Frankfurt: Bis 5. Juni. www.portikus.de

„Swans (Stockholm)“, 2019.
„Swans (Stockholm)“, 2019. © ochen Lempert/VG Bild-Kunst, Bonn 2022Courtesy BQ, Berlin und ProjecteSD, Barcelona

Auch interessant

Kommentare