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Italien vor Augen im Städel Frankfurt: Ewige Sehnsucht und ihr Rohstoff

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Von: Lisa Berins

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Venedig mit Blick auf Markusbibliothek, Campanile und Dogenpalast, um 1875. Fotografie von Carlo Naya. Foto: Städel Museum
Venedig mit Blick auf Markusbibliothek, Campanile und Dogenpalast, um 1875. Fotografie von Carlo Naya. Foto: Städel Museum © Carlo Naya/Städel Museum

Das Städel Museum präsentiert frühe Italienfotografie aus der eigenen Sammlung.

Brennende Sonne, italienische Sprachfetzen, Souvenirstände, Massen an Touristinnen und Touristen, die sich vor dem Schiefen Turm von Pisa aneinander vorbeidrängen. Permesso, scusi, dürften wir bitte mal? Moment, da steht noch jemand im Bild. Jetzt den Finger etwas höher, höher, stopp, und lächeln! Klack. Diese Foto ist ein Muss; dieses eine, auf dem der Torre pendente nur mit Fingerkuppe vorm Umfallen gerettet wird.

Wenn man die Fotografie-Ausstellung im Städel Museum betritt, hat man, wie der Titel es verspricht, direkt solche Urlaubsszenen, das überbordende Kulturerlebnis, das Dolce Vita - hat man „Italien vor Augen“. Präsentiert werden 90 Werke aus der Anfangszeit der fotografischen Sammlung des Museums: Seit den 1850er Jahren hatte der Sammlungsinspektor des Städelschen Kunstinstituts Johann David Passavant erste Aufnahmen erworben.

Die „typisch italienischen“ Motive: seit 150 Jahren sind sie unverändert. Abgelichtet wurde schon damals, als das Fotografieren anstrengender war als auf einen Button des Smartphones zu drücken, mit Vorliebe das „Best of Bella Italia“; der venezianische Dogenpalast, die Seufzerbrücke, das Kolosseum in Rom, der Konstantinsbogen, die Piazza del Campo in Siena mit Palazzo Pubblico, und Florenz, Florenz, Florenz. Damals selbstredend alles in Schwarz-Weiß und: menschenleer. Denn wegen der langen Belichtungszeit konnten, zumindest zunächst, keine Bewegungen aufgenommen werden. Trotz aller Vertrautheit ist Italien in dieser Ausstellung deshalb ungewohnt still. Das Meerwasser - ohne Bewegung, ohne Wellen ist es eine spiegelglatte Fläche; die Straßen in Venedig: unbekannt unverstopft. Nur bei genauem Hinsehen erkennt man hier und da unretuschierte Reminiszenzen von Leben.

Es stand ohnehin zunächst die Kunst im Fokus. Die Möglichkeit, Gemälde und Skulpturen fotografisch zu reproduzieren, sollte Museumssammlungen aus ganz Europa einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen. Passavant, Raffael-Verehrer und ambitionierter Italienreisender, pflegte nach dem Erscheinen seiner unbebilderten Raffael-Monografie von 1839 Kontakt mit Prinz Albert von Sachsen-Coburg, dem Gemahlen von Queen Victoria, der seine Vision einer „Raphael Collection“ verfolgte: Alle bekannten Meisterwerke des Renaissance-Meisters sollten als Reproduktionen versammelt werden. Dafür beauftragte er Fotografen und erbat auch Expertise von Passavant.

„Die Idee, Kunstwerke zu fotografieren, hat sich dann im großen Stil verselbständigt“, sagt Kristina Lemke, die Kuratorin der Ausstellung. Fotografien von Kunst und Architektur verkauften sich gut. Besonders Italien stand im Mittelpunkt des Interesses: Von der Antike über die Renaissance bis zum Barock hatte das Land ein hochkarätiges Kulturprogramm für die damaligen Bildungsreisenden zu bieten, und Johann Wolfgang von Goethes „Italienische Reise“ löste dazu einen regelrechten Italien-Hype aus. Typische Stationen auf der Reise durch den Süden: Mailand, Genua, Venedig, Florenz, Rom, Neapel und Pompeij. Dort waren schon erste Fotostudios entstanden, die professionell Sehenswürdigkeiten fotografierten und entweder als einzelne Souvenir- und Studienblätter oder als Alben verkauften.

In Florenz waren die Fratelli Alinari aktiv. Die drei Brüder lichteten Werke in den Uffizien ab und die berühmte Kathedrale - und zwar aus der Vogelperspektive, die einer heutigen Drohnenaufnahme gleicht. Damals war Fotografieren auch körperliche Arbeit: Die Brüder haben das Equipment wohl auf einen nahgelegenen Kirchturm geschleppt.

Auch Fotografen aus dem Ausland versuchten ihr Glück auf dem Markt. Unter anderem der Frankfurter Georg Sommer (1834-1914), der nach Italien zog und dort unter dem Namen Giorgio Sommer einer der erfolgreichsten Unternehmer Neapels wurde. In seinen Aufnahmen definieren Licht und Schatten die architektonischen Feinheiten der Galleria Vittorio Emanuele II in Mailand. Zwei kleine Figürchen sind klar zu erkennen, sie verdeutlichen das Größenverhältnis. Ein Leporello zeigt die prachtvolle Panorama-Ansicht Neapels mit Vesuv. Bei dessen Ausbruch am 26. April 1872 war Sommer mit der Kamera vor Ort, er lichtete auch die Trümmer ab, die in San Sebastiano al Vesuvio zurückblieben. Es sind mit die ersten Reportage-Fotografien überhaupt, sie wurden in der Leipziger „Illustrirte Zeitung“ abgedruckt.

Dass es bei den meisten damaligen Italien-Fotografien nicht um das reine Abbilden von Realität ging, sondern um das Reproduzieren idealisierter Sehnsuchtsorte (die wir heute noch so gerne sehen) - darauf stößt die Ausstellung ganz sachte: Es ist unauffällig, aber viel inszeniert in diesen Fotografien, die Natur - romantisch in Szene gesetzt. Statisten, die sehr lange ruhig halten mussten, wurden für das perfekte Bild arrangiert - etwa als Gondoliere, deren Boot für die Zeit der Aufnahme an einem Pfahl festgebunden werden musste. Auch Retuschen waren nicht unüblich; die Reproduktion von Michelangelos Statue des Mose etwa wurde komplett überarbeitet, der Hintergrund geschwärzt und sein Bart stellenweise von Hand mit Farbe ausgebessert.

In einer Ansicht des Canal Grande in Venedig bearbeitete der Fotograf Carlo Naya (1816-1882) den Lichteinfall und tauschte den hellen gegen einen nächtlichen Himmel aus: Venedig bei Mondschein. Neben Nayas Fotografie hängt die gleiche Ansicht als atmosphärisches Ölgemälde von Friedrich Nerly - für sein ideales Italienbild nutzte er die Fotografie als Vorlage. Als Vorlagen sind die Schwarz-weiß-Fotografien noch heute zu sehen, wie die Ausstellung beweist: Sie sind der Rohstoff für die große Italien-Nostalgie.

Städel Museum, Frankfurt:

bis 3. September. staedelmuseum.de

Der Ausbruch des Vesuvs am 26. April 1872, 15 Uhr. Fotografie von Giorgio Sommer. Foto: Städel Museum
Der Ausbruch des Vesuvs am 26. April 1872, 15 Uhr. Fotografie von Giorgio Sommer. Foto: Städel Museum © Giorgio Sommer/Städel Museum

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