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Isaac Julien im Palais Populaire in Berlin: Das Kapital und die geplatzten Träume

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Von: Ingeborg Ruthe

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Aus „Playtime“: zum Interview im Auktionshaus Phillips de Pury & Company. Foto: Isaac Julien/Collection Wemhöner
Aus „Playtime“: zum Interview im Auktionshaus Phillips de Pury & Company. Foto: Isaac Julien/Collection Wemhöner © Isaac Julien/Collection Wemhöner

Der Brite Isaac Julien und seine kapitalismuskritische Filmarbeit „Playtime“ im Berliner Palais Populaire.

Brechts sarkastisches Brevier zur Wirtschaftskrise, was denn der Einbruch in eine Bank schon sei im Vergleich zur Gründung einer Bank, schwingt mit in allen fünf kapitalismuskritischen Filmepisoden des Afro-Briten Isaac Julien. Der Londoner Künstler hat „Playtime“ in den abgedunkelten Ausstellungsraum des Palais Populaire hineingesetzt. Es dürften gern ein paar „Kino“-Sitze mehr sein als nur die kleine Bank vor der dreigeteilten Monitorfläche. Man möchte lange zuschauen, reflektieren, begreifen, wie das System selbst bescheidenste Träume platzen lässt wie Seifenblasen.

Isaac Julien, geboren 1960 in London, muss seine Arbeit, die der Berlin Collection Wemhöner gehört, nicht erklären. Die rhythmisierten, von dramatischen Toncollagen begleiteten Szenen erklären sich von selbst. Der letztes Jahr mit dem Goslarer Kaiserring Geehrte und zuvor noch vom britischen Königshaus zum „Sir“, also zum Ritter geschlagene Multimediakünstler sagt, er habe eine Form gesucht, „das Kapital zu visualisieren“. Gedreht hat er 2013, fünf Jahre nach der globalen Finanzkrise. Doch was wir sehen, kann brandaktueller nicht sein in unserer krisengeschüttelten Zeit.

Sechs Protagonisten lässt Julien in sich überschneidenden Sequenzen seiner 3-Kanal-Videoinstallation erzählen und agieren. Es ist nichts Fiktives, was sie schildern, es ist Realität, die wir delikaterweise im Berliner Ausstellungshaus der Deutschen Bank vorgeführt bekommen, was durchaus als unternehmenskritisches Hinterfragen gelesen werden kann. „Folge der Spur des Geldes“ scheinen Juliens Szenen zu sagen. Sie haben alle zu tun mit der globalen Verflechtung des Kapitals, und er verknüpft makroskopische und mikroskopische Perspektive dialektisch miteinander.

Zu erleben ist die Arbeit gleichsam als teils witzige, teils bitterernste Paraphrase von Jacques Tatis Film „Playtime“. Der grandiose französische Regisseur hatte 1967 in seiner Filmkomödie die schöne neue Arbeitswelt entzaubert in ihrer fatal folgenreichen Entfremdung. Das herzzerreißend Komische bei Tati ersetzt Julien mit dem knalligen Rot des Hintergrundes im Londoner Auktionshaus Phillips de Pury & Company. Da, wo der Star-Auktionator Simon de Pury in echt in jovialem Ton einer Reporterin (Maggie Cheung) den Schweinsgalopp der exorbitanten Mehrwertsteigerung von Kunstwerken erläutert. In Dubai blickt eine philippinische Hausangestellte (gespielt von Mercedes Cabral) aus einem Wolkenkratzer verloren auf die Betonwüste der Megapole. Eine Gefangene in gläserner Luxusarchitektur, denn sie muss darin Geld verdienen für ihre drei Kinder daheim, damit sie zur Schule gehen können. Brutale Melancholie, Ausweglosigkeit stecken in diesem schlichten Lebenstraum, der aber symptomatisch ist für Abermillionen Gastarbeiter auf der Welt.

Dann fährt die Kamera über die gleißenden Lichter des Finanzdistrikts der Londoner City, über die Bürotürme aus Glas und Stahl und abgesehen vom silbrigen Band der Themse, dem wabernden Nebel überm Wasser und dem Grün der Parks eine ebenso künstliche, seelenlose wie die im Emirat. Wie die Schwerkraft sei auch Kapital nicht zu fassen, darüber schwadronieren zwei Londoner Hedgefonds-Manager in einer nackten weißen Büroetage. Einer beginnt, Trompete zu spielen, die Töne des durchaus gekonnten Spiels verhallen im weiten Raum, der so kalt und aseptisch ist wie der einer Pathologie.

In einer ebenso cleanen Kunstgalerie ordnet ein alerter Typ (der Schauspieler James Franco) die Spezies der reichen Kunstsammler ein: Da sind die mit der Obsession, die wirklich der Kunst gilt und der Freude, Schätze mit anderen zu teilen durch Mäzenatentum und öffentliches Zeigen. Da wären die Zwangsneurotiker, die „Äffchen“, die ihren Besitz im Groß-Safe oder Bunker allein bewundern. Und dann die Spekulanten, deren Leidenschaft nur der Wertsteigerung der Kunstwerke gilt.

In der fünften Filmsequenz von „Playtime“ verliert das Ambiente seine sterile Perfektion. Wir sind auf Island, das Land, das 2008 beim Finanzcrash pleite war. Ein Künstler geht durch den verlassenen, marode gewordenen Rohbau seines Hauses mitten in der rauen isländischen Natur. Geld weg, Kredit futsch, Schuldenberg. Die Ruine gehört jetzt einer Bank, die ebenso pleite ist. Der Mann steht als tragische Figur deprimiert in seinem geplatzten Traum, klettert auf die Brüstung eines kreisrunden, sonnengelben Fensters, als wolle er sich hinausstürzen in die unwirtliche Schnee- und Eislandschaft – eine Rückenfigur wie in den Bildern des Romantikers Caspar David Friedrich. Julien schuf so ein Gegenmotiv zu den vom Kapital geschlagenen Lebenstrümmern.

Und zu guter Letzt sieht der Künstler in seiner Kapitalkritik keineswegs von sich selber ab: Isaac Julien, den dicken goldenen Goslarer Kaiserring am Finger, steht auf einer Kunstmesse und sagt lächelnd und schulterzuckend in die Kamera, wie sehr er, mit seinem Erfolg, doch ebenso Teil der Verflechtung von Kunst und Kapital sei.

Palais Populaire, Berlin: bis 10. Juli.

palaispopulaire.db.com

Ein Banker bläst Trompete – Porträt aus „Playtime“. Foto: Isaac Julien/Collection Wemhöner
Ein Banker bläst Trompete – Porträt aus „Playtime“. Foto: Isaac Julien/Collection Wemhöner © Isaac Julien/Collection Wemhöner

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