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Hugo van der Goes in der Gemäldegalerie Berlin: Das erste Genie

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Von: Ingeborg Ruthe

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Hugo van der Goes: Monforte Altar, 1470/75. Foto: Dietmar Gunne/smb/Gemäldegalerie
Hugo van der Goes: Monforte Altar, 1470/75. Foto: Dietmar Gunne/smb/Gemäldegalerie © Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie, Dietmar Gunne

Eine Berliner Ausstellung präsentiert den fabelhaften flämischen Meister Hugo van der Goes –und die Vorstellung vom wahnsinnigen Künstler, die man sich liebend gerne von ihm machte.

Wer weiß, wie oft mein Blick auf diesen Altar fiel! Immer wenn ich durch die Bildersäle der Berliner Gemäldegalerie ging, um gezielt eine altmeisterliche Berühmtheit des Abendlandes ins Auge zu fassen, die gerade Ausstellungsthema war: Botticelli, Raffael, Vermeer, Cranach, Rembrandt.

Beim Vorbeieilen an Hugo van der Goes’ „Monforte-Altar“, das weiß ich nun, habe ich immer etwas verpasst: Der flämische Maler, wahrscheinlich geboren um 1440 in Gent, gestorben 1482/83 in einem Kloster nahe Brügge, hat etwas gemalt, das es zehnmal verdient, sich hineinzuversenken. In das biblische Paar mit dem Jesusknaben in einem Ruinengemäuer, mit den drei Heiligen aus dem Morgenland und ihren Geschenken: Gold, Weihrauch und Myrrhe. Und in die Landschaftsausblicke links, rechts, oben.

Vor allem die Leuchtkraft der Farben habe ich jedes Mal bemerkt, das ultramarinblaue Gewand der Kindfrau Maria, das violette von Josef. Und das festliche tiefrote des knienden Caspar. Hinter ihm nähern sich, demütig und staunend, Melchior im Pelz und Balthasar in einem ornamentalen Umhang aus kostbarem Gobelinstoff. In der Rechten trägt er ein funkelndes Gefäß als Morgengabe. Hinter den drei exotischen Gesandten sieht man das ewigtypische Menschliche: Gaffer.

Endlich steht einmal dieses Bildwerk im Blickpunkt einer Extraschau – kuratiert von Stephan Kemperdick und Erik Eising –, die sein Alter vergessen lässt. Denn sein Maler verstand es, diese Frührenaissance-Figuren derart frisch und realistisch zu modellieren, Gefühlsregungen mit frappierender Einfühlung wiederzugeben, als würden die Gestalten gleich aus dem Bild heraustreten. Wir sehen, spüren die religiöse Verzückung, die himmlische Seligkeit und ebenso den irdischen, peinigenden Schmerz. Die zeitlose Modernität überrascht und packt: die Monumentalität, die Farbintensität, die glaubhafte emotionale Kraft.

Heute sagt die Kunstgeschichte, dass das Widersprüchliche darin auch ein Spiegel des Lebens dieses gewiss tiefreligiösen Künstlers gewesen sein müsse. Und tatsächlich – auf dem Gipfel seines Erfolgs nicht nur in den Burgundischen Niederlanden, sondern als bis nach Florenz gefragter Maler spiritueller Themen und lebensnaher Porträts – ging er ins Kloster. Er malte dort seine wichtigsten Bilder und wurde besucht von Auftraggebern wie dem Erzherzog Maximilian von Österreich, seit 1477 Herzog von Burgund.

Doch dann sei das Genie in der Umnachtung versunken, heißt es in den Aufzeichnungen eines Mönches von 1510. Die fand man später in der Klosterchronik. Klosterbruder Gaspar Ofhuys hatte niedergeschrieben, van der Goes sei nach einer Reise bis Köln auf dem Rückweg dem Wahnsinn verfallen. Selbst die Therapie mit geistlicher Musik habe versagt.

Wir möchten heute auch die tragische Mischung aus Genialität und Melancholie aus den Porträts, den biblischen Szenen lesen und vor allem aus dem Spätwerk des früh Gestorbenen. Aber Wahnsinn? Der „Marientod“ aus dem Groeningemuseum Brüssel, ein Werk, das bislang nie reisen durfte, ist nun auch in Berlin zu sehen. Die Szene hat so gar nichts von Irrsinn; der Abschied von der Muttergottes ist nur tieftraurig. Und auch in allen anderen Van-der-Goes-Werken findet sich manchmal berührende Melancholie zwischen den strahlenden Farben, doch nichts von geistiger Verwirrung, klinischer Depression oder krankhafter Exzentrik.

Wenn es heißt, van der Goes sei aus unerklärlichem Anlass ins Roode Clooster in Oudergem gegangen, wo ihn die seltsame Geisteskrankheit befallen habe, wird zudem kolportiert, er habe sich „verdammt“ gefühlt, habe nach besagter Köln-Reise versucht, sich selbst zu töten. Der belgische Historiker Alphonse Wauters vor allem behauptet dies in seiner 1872 erschienenen Publikation „Hugues Van der Goes, sa vie et ses œuvres“. Und sein Neffe, der Maler Émile Wauters, malte dazu die nun in Berlin ausgestellte passende Illustration – „Der Wahnsinn des Hugo van der Goes“.

Im späten 19. Jahrhundert, gerade im Symbolismus, galt van der Goes nachgerade als Prototyp des „wahnsinnigen Genies“. Man zog lustvoll Vergleiche zu Vincent van Gogh und dessen Selbstverstümmelung – das abgeschnittene Ohr und der verzögerte Suizid durch den Pistolenschuss im Kornfeld.

„In der Geschichte von Genie und Irrsinn, Kunst und Wahn nimmt der Fall des Hugo van der Goes einen hervorragenden Platz ein“, schreibt Gregor Wedekind in „Hugos Wahn“, zu lesen im Katalog zu „Hugo van der Goes. Zwischen Schmerz und Seligkeit“. Und von dem Kunsthistoriker Erwin Panofsky stammt die 1953 niedergeschriebene Erkenntnis, van der Goes sei „vielleicht der erste Künstler, der einem Konzept gerecht wurde, das im Mittelalter unbekannt war, aber vom europäischen Geist seither hochgehalten wurde, dem Konzept eines Genies, das sowohl gesegnet als auch verflucht ist mit seiner Verschiedenheit von gewöhnlichen Menschen“. Das ist es, was gefällt: Melodramatik. Aber vielleicht hatte van der Goes ja nur die laute, sündige Welt satt, als er das Kloster vorzog.

Gemäldegalerie Berlin, Kulturforum: bis 16. Juli. Katalog (Hirmer) 39 Euro. www.smb.museum

Hugo van der Goes: Marientod, um 1480. Foto: Dominique Provost/Musea Brugge, artinflanders.be
Hugo van der Goes: Marientod, um 1480. Foto: Dominique Provost/Musea Brugge, artinflanders.be © Dominique Provost/Musea Brugge

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