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Helmut Zielke – Kunst ohne Schampus

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Von: Ingeborg Ruthe

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Helmut Zielke: „o. T.“, 1981. Foto: Galerie Läkemäker
Helmut Zielke: „o. T.“, 1981. © Galerie Läkemäker

Ein Berliner Galerist hat das Werk des heillos missachteten Malers und Außenseiters Helmut Zielke aufgespürt – eine Sensation.

Er habe einen Geheimtipp, sagte ein Freund, der viel durch Berlin Galerien streift. Ich solle in die Schwedter Straße gehen, in die Galerie Läkemäker. Dort warte, auf Leinwand und Papier, eine Sensation. Er hat recht. Es ist eine Sensation. Und wenn ich nun niederschreibe, was ich an den Galeriewänden gesehen habe, dann ist der Bilder-Nachlass des Malers Helmut Zielke aus dem Prenzlauer Berg, Jahrgang 1938, hoffentlich kein Geheimtipp mehr.

Zielke ist 2013 völlig vergessen und ohne Nachfahren gestorben. Seine Gemälde und Zeichnungen sind außergewöhnlich. Sie gehören ins Museum. Oder in eine große öffentliche Sammlung. Dieser wenig bekannte Maler erweist sich gewissermaßen als der (männliche) Hilma Af Klint Berlins. Wir erinnern uns: Die schwedische Pionierin der abstrakten spirituellen Malerei wurde auch erst nach ihrem Tod entdeckt. Seitdem sorgt jede Ausstellung für Furore und für Begehrlichkeiten in der Sammlerszene.

Es ist kaum zu fassen, dass Helmut Zielke derart in Vergessenheit geriet. Was er malte und zeichnete, blieb zu Unrecht tief im Schatten des Kunstbetriebs. Erst in jenem vormundschaftlich- staatlichen, auf Realismus getrimmten der DDR, dann, nach 1990, im kommerzialisierten sowie weitgehend von westlicher und internationaler Kunst geprägten der Bundesrepublik. Was der gelernte Kartograf und Bühnenmaler mit Öl- oder Aquarellfarbe, mit Farbstiften, Tusche, per Fotomontage oder Collage auf Leinwand und Papier setzte, ist keiner Schule, keinem Land, keiner Region zuzuordnen. Alles kam aus einer ganz eigenen Welt: Farblabyrinthe, frei und keinem Trend verpflichtet.

Das hier abgebildete großformatige Ölbild „o.T.“ malte Zielke 1981. Ein farbiges geometrisches, kubistisches Maschinen-Gebilde. Voll rätselhafter Mechanik, mit futuristischen Spiralen, Voluten, Zickzackformen, Linienbändern und wie miteinander kommunizierenden Röhren und Schläuchen. Viel Rot, Gelb, etwas Blau. Die Farben der abstrakten Maler Piet Mondrians und später Barnett Newmans. Ins Bild flechten sich zudem organische und auch kosmische Formen.

Dieser Maler, den wir nicht mehr nach seinen Inspirationen fragen können, hat unübersehbar die Formensprache der klassischen Avantgarde aufgesogen. So des sowjetrussischen Konstruktivismus und französischen Kubismus um Fernand Leger, ebenso den philosophisch und Farbe vereinenden Orphismus von Sonia und Robert Delaunay. Nicht ohne Wirkung blieben bei ihm auch Bilder des aus Belgien stammenden Freundes, des einige Zeit in Ostberlin lebenden Kubisten Roger David Servais. Und nicht zuletzt die konstruktivistischen Motive seines Bruders Ottfried Zielke.

Beeinflusst wurde er auch von den lyrischen Abstraktionen des Malerfreundes Hans Brosch oder von den Op-Art-Formen des Nonkonformisten Horst Bartnig. All diese Anregungen hat Zielke als Vokabeln abgespeichert, dann aber in sein eigenes Mal-Universum übersetzt. So entstanden Bilder, die den Blick sogartig hineinziehen. Und doch entziehen sich all diese Zeichen der Fassbarkeit, bleiben letztlich unergründlich.

Fast nie gab Zielke seinen Arbeiten Titel. Ab und an zeigte er die Motive an halbsubversiven Ostberliner Ausstellungsorten. Zumeist in Künstlerwohnungen und zuweilen auch in der fürs Experimentelle offenen „Arkade“ von Klaus Werner am Strausberger Platz. Die gehörte dem Staatlichen Kunsthandel und wurde 1981 von den Funktionären der allmächtigen Partei wegen westlicher Kunsteinflüsse geschlossen.

Nie durfte Zielke an den großen Kunstausstellungen der DDR teilnehmen. Dort wollte man seine bühnenartigen Abstraktionen voller Dynamik und zugleich geradezu spiritueller Harmonie nicht haben. An seinem Ausgeschlossensein änderte sich auch nach dem Mauerfall nichts. Zielke mochte nicht mit Kunsthändlerinnen und Kunsthändlern Schampus trinken. Er hatte die Auffassung, zur Kunst passe Brot, nicht Hummer-Mayonnaise. Anpassung ging bei ihm nicht.

Dieser Maler sei nicht vergleichbar mit im Westen verehrten ostdeutschen Prominenten aus der Szene der Nonkonformen wie Hermann Glöckner, Gerhard Altenbourg oder Carlfriedrich Claus, stellt der Berliner Kunsthistoriker Michael Nungesser fest. Nungesser, der vor wenigen Tagen gestorben ist, hat das Leben Zielkes sorgfältig und empathisch recherchiert und seine Erkenntnisse einem feinen Werkkatalog beigesteuert. Zielke gehörte weder Schulen noch Milieus an. Einer, der nicht für sich werben konnte, ein widersprüchliches Naturell aus Scheu, Stolz, Unsicherheit und Trotz. Er war kein unsichtbarer, wohl aber ein übersehener Künstler. So das Fazit Nungessers.

Der Trotz suchte sich 1984 ein Ventil. Zielke wurde zum Aktionisten, verbrannte seine zehn Jahre zuvor gemalten Hauptwerke im Garten. Er inszenierte das Feuerschauspiel als archaische Totenfeier in einem konzeptionellen „Werkprozess“, wie ihn der berühmte Schweizer Land-Art-Künstler und Feuer-Meister Roman Signer nicht besser hinbekommen hätte. Zielke hatte die folgenlose und zugleich für seine Kunst tragische Aktion auf einer Silvester-Fotokarte angekündigt.

Zielke wäre es nie eingefallen, sich in der DDR als Protestler, als Untergrund-Künstler oder gar als Dissident zu bezeichnen. Der amtlich registrierte Wahl-Verweigerer wollte unabhängig sein. So verdiente er das Lebensnotwendigste in Grafikdruckereien, mit kleinen Aufträgen oder in einer Selbsthilfegalerie. Das änderte sich auch nach 1989 nicht. Er nahm an Gruppenausstellungen teil. Doch die Anerkennung blieb aus. In seinen letzten Lebensjahren hat Zielke wohl resigniert.

Diesen Sprung in die moderne Kunstgeschichte holt Läkemäker-Galerist Johannes Zielke jetzt nach. Er hatte sich als junger Mann zwei Zeichnungen des zufälligerweise gleichnamigen Malers gekauft. Doch dann verlor sich der Kontakt. Auf einer Vernissage vor gut vier Jahren wurde er an ihn erinnert. Und stellte sich die Frage, was wohl mit dem Nachlass geschehen sein mochte. Die Suche begann.

In einem entlegenen Gartenhaus fand sich ein Konvolut der Ölbilder. Später entdeckte der Galerist Zeichnungen und Drucke aus privaten Sammlungsverkäufen. Er befragte einstige Freundinnen und Freunde des Malers. Alles fügte sich wie ein Puzzle zusammen. Allerdings eines mit bleibenden Leerstellen, denn viele Bilder bleiben verschwunden. Was bislang entdeckt wurde, wird nun zur längst fälligen Hommage.

Galerie Läkemäker, Berlin: bis 29. Januar. www.laekemaeker.com

Helmut Zielke, 1970. Foto: Galerie Läkemäker
Helmut Zielke, 1970. © Galerie Läkemäker

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