„Female View“: Von Hüten und Selbstbewusstsein

Der Band „Female View“ präsentiert die Arbeit von Modefotografinnen der vergangenen hundert Jahre.
Modefotografie? Genau. Man denkt sofort an Helmut Newton, Peter Lindbergh, Richard Avedon, Juergen Teller und und und. An Fotografinnen denkt man erst einmal nicht. Dann fallen einem doch noch Bettina Rheims und Ellen von Unwerth ein. Puh. Andererseits reicht das doch nicht, zwei Namen, lächerlich. Dass es mehr davon gab und gibt, zeigen die Ausstellung „Female View“ in der Lübecker Kunsthalle St. Annen und der dazugehörige hübsche Katalog. Wenngleich es erschreckend ist, dass die Crème de la Crème der Modefotografinnen seit den dreißiger Jahren in ein nicht besonders dickes Buch passt. Und da hat man noch Lee Miller mit aufgenommen, die ja vor allem für ihre Kriegsfotografie berühmt ist.
Eine zentrale Frage ist natürlich: Sieht weibliche Modefotografie anders aus als männliche? Die Antwort lautet: ja. Und sie lautet: nein. Denn natürlich kommt es dabei auf die Fotografin an. Nehmen wir die Berliner Szenefotografin Yva, die 1900 unter dem Namen Else Ernestine Neuländer-Simon geboren wurde, und 1925 ein Atelier für Mode- und Werbefotografie eröffnete. Aufträge erhielt sie vor allem von den großen Illustrierten des Ullstein-Verlages wie „Die Dame“ oder „UHU“. Ihre eleganten Werbeaufnahmen von Damenbeinen in Seidenstrümpfen sind legendär. Wenngleich es ihr Schüler Helmut Newton war, der letztlich mit langen Damenbeinen zu Weltruhm gelangte. „Dass ich bei Yva lernen durfte, war der Olymp für mich“, so Newton. Seine Lehrerin wurde Anfang der vierziger Jahre wegen ihrer jüdischen Herkunft im Vernichtungslager Sobibor ermordet.
Die Ausstellung jedoch zeigt nicht die Beine, sondern die Köpfe. Vielleicht, weil sie weniger wie Werbeaufnahmen wirken. Besonders apart erscheinen die Aufnahmen, die Yva von Hüten gemacht hat. Hüten auf Damenköpfen wohlgemerkt. Die Tatsache, dass die Gesichter darunter oft nicht oder nur teilweise zu sehen sind, wirkt nicht nur elegant, sondern auch sehr geheimnisvoll. Alle ihre Modelle erscheinen in sich gekehrt, verschlossen - so dass die Aufnahmen weniger wie Werbung anmuten, sondern vielmehr wie ein Porträt der Zeit.
Charlotte Rohrbachs Fotos, die etwa in den fünfziger Jahren entstanden sein dürften (Serientitel: „Das gefällt der jungen Dame“), sind in ihrer albernen Koketterie und Steifheit aus heutiger Sicht allenfalls lustig. Während Ingeborg Hoppe zur selben Zeit Businessfrauen in Hosen auf dem Flughafen inszenierte, die breitbeinig demonstrieren, dass sie es im Leben zu etwas gebracht haben (oder zumindest auf dem Weg dahin sind). Regelrecht verrückt wird es erst in späteren Jahrzehnten, etwa mit Regina Relang, die ihre Modelle mal springen, mal in den Sand fallen lässt. Wer diese aufregenden Arbeiten aus den späten sechziger, frühen siebziger Jahren sieht, ahnt nicht, dass die Fotografin einst Mitglied des nationalsozialistisch gleichgeschalteten Reichsverbands der Deutschen Presse war. „Ihre Fotografien“, so verrät der Katalog, „erschienen zu dieser Zeit in deutschen Modezeitschriften, die vor allem der Propaganda und der Selbstdarstellung des nationalsozialistischen Deutschen Reichs im Ausland dienten.“
Das Buch:
Antje-Britt Mählmann (Hrsg.):Female View. Modefotografinnen v. der Moderne bis zum Digitalen Zeitalter. Hatje Cantz, 208 S., 38 Euro .
Die Fotografien des ehemaligen Models Ellen von Unwerth prägten die Zeit der Supermodels, also die Achtziger mit. „Ich verstehe den weiblichen Körper besser, und ich weiß aus meinen Model-Jahren, welcher Zwang und welche Befreiung gleichzeitig vor der Kamera stattfinden“, so von Unwerth, die vor allem für ihre Shootings mit Claudia Schiffer berühmt wurde. Die Frauen auf ihren Bildern proklamieren eine selbstbewusste Sexualität, wirken allerdings auch enorm plakativ. Das gilt auch für aktuellere Aufnahmen. Da sieht man etwa Naomi Campbell, die sich mit leeren Coladosen im Haar einen klassischen Telefonhörer mit Ringelschnur ans Ohr hält. Das Bild stammt von 2004.
Die schwarzweißen Aufnahmen von Ute Mahler, die Anfang der Achtziger in der DDR aktiv war, wirken eher wie Reportagefotografien und dadurch aus heutiger Perspektive deutlich moderner. Mahler nutzte Modefotografie „als Mittel, um repressive Ideologien abzuschütteln“, schreibt Eugenie Shinkle im Katalog. „Sie lichtete ihre Models in Alltagssituationen ab, die Glamour und Fantasie außen vor ließen. Designermode war kaum erhältlich, und die meisten Outfits auf den Fotos stammten entweder aus den staatlichen Handelsorganisationen oder waren selbst genäht von den Redakteur:innen der Zeitschriften, für die Mahler arbeitete.“ Nicht die Mode steht hier im Vordergrund, sondern die Frauen, die in ihrer Individualität auf lapidare Weise stark und selbstbewusst wirken.
Interessant, dass dies auf ganz ähnliche Weise für die Fotos von Amber Pinkerton gilt. Die Fotografin ist 1997 in Jamaika geboren und hat bereits als Teenager schräge Looks mit dem Smartphone dokumentiert und auf Facebook oder Tumblr gepostet. Inzwischen lebt sie in London und Kingston, wo sie ihre - stets schwarzen - Models zuweilen auf den Straßen entdeckt.
Pinkertons Arbeiten, die von der Kunst- bis zur Modefotografie reichen, sind von der karibischen Kultur inspiriert. Ihre intimen und intuitiven Schnappschüsse des alltäglichen Lebens wirken auf berührende Weise menschlich. Die Fotografin will nicht nur schöne Bilder von schönen Menschen machen, sie hat ein Anliegen: „Ich beschäftige mich mit Kolorismus und Klassismus“, sagt Pinkerton. Sie tut es auf eine lässige, unangestrengt wirkende Weise. Nicht ohne Grund setzte das „New York Times Style Magazine“ Amber Pinkerton unlängst auf die Liste der 15 „Creative Women for Our Time“.
Kunsthalle St. Annen, Lübeck: bis 3. Juli. kunsthalle-st-annen.de