Elizabeth Price in der Schirn Frankfurt: Fabeln aus der Zwischenwelt

Videokunst der britischen Künstlerin Elizabeth Price in der Schirn Kunsthalle.
Funkelnder Lack und eine stolze technische Ausstattung – optimiertes Assistenzsystem, hoch auflösendes Steuerungsdisplay, frei schwebende Mittelkonsole. Diese Luxusautos wissen um ihre Exklusivität, ihre „anmutige Silhouette“, ihren „straff und dynamisch“ wirkenden Umriss und ihre „mutige und sinnliche Rückansicht“, die eine „muskulöse Materie vermittelt“. In ihrer Unterwasserwelt, irgendwo am Grunde des Ärmelkanals, dort, wo das Frachtschiff mit der teuren Ladung sank, entwickeln sie ein Bewusstsein, eine Sprache, die sie aus ihren eigenen Benutzerhandbüchern und aus Pressemitteilungen generieren – und die Besucherinnen und Besucher der Schirn Kunsthalle als körperlose computer-gepitchte Stimme hören können, wenn sie vor der Videoinstallation „Night of the World“ von Elizabeth Price stehen.
In einer laserstrahldurchfluteten Tiefsee choreografieren die fahrzeuginternen, intelligenten Kontrollsysteme einen rauschenden Tiefseetanz, Loopings schlagend, träumerisch schwebend, strotzend vor Energie. Die schnellen Schnitte sind mit dem Genesis-Song „Follow You Follow Me“ unterlegt. Ein märchenhafter Tech-Aphorismus ist das, ein Blick in die fabelhafte Welt der britischen Künstlerin, die 1966 in Bradford, Yorkshire, geboren wurde, in London lebt und 2012 mit dem Turner Prize ausgezeichnet wurde. Ihr widmet die Schirn eine erste institutionelle Ausstellung in Deutschland, wie ihr Kurator Matthias Ulrich sagt; sie trägt den Titel „Sound of the Break“.
Vier Videoarbeiten sind in Leinwandgröße zu sehen; es sind assoziative, verdichtete und erdichtete Arbeiten zu real existierendem Ausgangsmaterial; dem Untergang einer Schiffsladung von fast 3000 Luxusautos. Den Teppichböden in der Glasgower Mitchell Library, deren Geräusch-Absorption und floralen Muster bei einem Streifzug durch die Architekturgeschichte in den Fokus geraten („Underfoot“). Einer Sammlung von Krawatten aus den 70ern bis 90ern, deren phallische Form und technoide Designs mit Speicherchips, Computernetzwerken und einer patriarchal-strukturierten, digitalrevolutionierten Büroarbeit in Verbindung gebracht werden („Felt Tip“). Den Bildarchiven des Ashmolean und des Pitt Rivers Museums in Oxford, dessen Fotografien, Zeichnungen und Gemälde die Restaurierung der bronzezeitlichen Stadt Knossos auf Kreta dokumentieren („A Restoration“). Vor diesen Settings geschieht Fantastisches: Eine geheime „Administration“ speichert Terabytes an Daten in den Zellen von menschlichen Fingerspitzen. Sie erstellt ein heimliches Backup digitalisierter Dokumente und richtet in einer versteckten Ecke des Servers einen virtuellen Garten ein.
Erde an Price: In welcher Sphäre der alternativ-fiktionalen Geschichtsschreibung befinden wir uns? Und wieso wird dort gerade Genesis gespielt? Sie hasse den Song, sagt die Künstlerin. Millionenfach hat sie ihn für die Arbeit an „Night of the World“ hören müssen, reine Folter. Und dennoch musste gerade er es sein: ein heroischer Sound in getunter Version mit schaurigem Text; was sonst hören sinkende Karren beim Unterwasserballett? Sie haben sich die sexualisierte Bewunderung, die auf sie projizierten Fantasien – Kraft, Geschwindigkeit, Männlichkeit, Status – zu eigen gemacht und errichten ihre Zwischenwelt. Der Song, oder vielmehr; generell der Klang in ihren Arbeiten, sei ihr Mittel, um die Beziehung zu Elementen zu verändern, um eine Stimmung, eine Einstellung hervorzurufen, die sich über das visuelle Erfassen lege, sagt Price. Kann man das schon Manipulation nennen?
Sarkastische Brechungen sind Price‘ Stärke. Ihren Videoarbeiten geht der ironische Kipppunkt voraus, die Erzählungen entfalten sich in – eher humorvollen als düsteren – Dystopien, die bei den heutigen Entwicklungen irgendwie doch denkbar erscheinen. Price findet sie in den tieferliegenden Schichten, die in den Fußnoten der Gegenwart und Vergangenheit zu existieren scheinen. Je länger man die Arbeiten betrachtet, desto mehr wirkt die gängige, reale Fassung der Weltgeschichte tatsächlich ziemlich eindimensional.
Die Erzählungen kommen am Computer zu Price, während sie ein Konvolut an recherchiertem und digitalisiertem Material sichtet, sortiert, in ihrem Videobearbeitungsprogramm auf mehreren Spuren arrangiert, schneidet und mit Text unterlegt, den sie zuvor mittels Text-zu-Sprache-Software in eine computeranimierte Stimme verwandelt hat.
Sie nutzt keine Algorithmen dafür, alles technisierte Handarbeit. Wenn sie anfängt, habe sie keine Storyline im Kopf, sie komponiere die „Schnipsel zu einer Collage“ erklärt sie flapsig in einer der vier Video-“Lectures“, denen man im ersten Raum der Ausstellung auf Sitzsäcken fläzend folgen kann. Diese „Lectures“ seien während der Corona-Pandemie entstanden, als es ihr nicht möglich war, persönlich Vorträge zu halten. Price unterrichtet als Professorin für Film und Fotografie an der School of Art der Kingston University in London. Die analytischen Beschreibungen ihrer Arbeitsschritte und Motive – besonders wichtig: das Konzept des gotischen Chors, den sie als architektonische Manifestation der Vielstimmigkeit und Transzendenz sieht – wirken in ihrer Nüchternheit wiederum an sich wie eine ironische Kommentierung der eigenen Arbeit.
Eine unüberschaubare Anzahl von Ton- und Videospuren hat Price für „A Restoration“ angelegt: Sie suchte quer durch die Sammlungen nach etwas Verbindendem, fand es in dem Objekt des Trinkgefäßes, sortierte die verschiedenen Exponate als hektische Bildabfolge aneinander. Alle hatten sie eines gemeinsam, heißt es in dem „Lecture“-Video: „Keines von ihnen war für ein Museum gemacht.“ Am Ende von „A Restoration“ zerbricht ein jakobinischer Glaskelch geräuschvoll (daher der Titel der Ausstellung) – der König fällt: Anarchie. Eine neue Welt ist möglich.
Schirn Kunsthalle , Frankfurt:
bis 29. Mai. www.schirn.de