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Gierige Schweine, korrupte Ratten: Antisemitisches Banner von Taring Padi

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Von: Lisa Berins

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Werke der Gruppe Taring Padi auf der Documenta: Angelehnet an das traditionelle Schattenspiel, aber mit politischer Botschaft. Foto: Uwe Zucchi/dpa
Werke der Gruppe Taring Padi auf der Documenta 15 in Kassel: Angelehnt an das traditionelle Schattenspiel, aber mit politischer Botschaft. © Uwe Zucchi/dpa

Antisemitismus auf der documenta, wie kam es zu dem Eklat in dem Bild „People’s Justice“. Ethnologin Vanessa von Gliszczynski auf der Suche nach Antworten.

Kassel - Mit einem Ruck zieht Vanessa von Gliszczynski die schwere Depotschiebewand hervor. Indonesische Malereien auf Leinwänden hängen an dem Gitter; abstrakte Kunst, eher düstere Farben, daneben fernöstliche figurative Werke. Wir befinden uns im Depot des Weltkulturen Museums im Frankfurter Osten. Dort lagern neben vielen anderen Werken 130 künstlerische Exponate aus Indonesien.

Objekte, die in der aktuellen Debatte um Antisemitismus auf der documenta fifteen wichtig sein könnten. Die Hinweise zur Beantwortung der Frage liefern könnten: Wie kommt der gemalte Hass in Form von Nazi-Propaganda nach Indonesien, in die zeitgenössische Kunst, in das Werk „People’s Justice“ des Künstlerkollektivs Taring Padi?

Documenta15 in Kassel: Gliszczynski aus Frankfurt ist Expertin für Kunst aus Südostasien

Vanessa von Gliszczynski arbeitet seit elf Jahren als Kustodin für Südostasien an dem Frankfurter Museum. Sie ist Ethnologin, hat sich auf indonesische Musik spezialisiert, pflegt private Verbindungen nach Indonesien, war dort für die Deutsche Botschaft tätig und lebte selbst dreieinhalb Jahre in dem Land.

Als die Motive auf dem Taring-Padi-Plakat entdeckt wurden, war sie, wie viele ihre Bekannten in der deutsch-indonesischen Community, geschockt. Von Gliszczynski hat seitdem versucht, Erklärungen für diesen Skandal zu finden, aber das sei schwer. Sie kenne keine vergleichbaren Fälle in der indonesischen Kunst. „Solche Motive habe ich da noch nicht gesehen.“

„People’s Justice“ auf der der documenta: Indonesische Künstlerkollektiv Taring Padi entschuldigt sich

Auf dem Bild „People’s Justice“ war, bevor es abgebaut wurde, ein Mann mit Schläfenlocken, roten Augen, spitzen, vampirartigen Zähnen und Zigarre zu sehen, der einen Hut mit SS-Runen trug. Daneben war ein Soldat mit etwas, das wie eine Schweinenase aussah, abgebildet; auf seinem Helm war der Schriftzug „Mossad“ zu lesen, auf seinem Halstuch ein Davidstern zu sehen. Das verantwortliche indonesische Künstlerkollektiv Taring Padi hat sich mittlerweile mehrfach entschuldigt.

Vanessa von Gliszczynski vom Weltkulturen Museum. Foto:Berins
Im Interview zur document in Kassel: Vanessa von Gliszczynski vom Weltkulturen Museum. © Lisa Berins

In ihrem offiziellen Statement bedauern die Künstler, dass ihre „Bildsprache im historischen Kontext Deutschlands eine spezielle Bedeutung bekommen“ habe. Dass sie oder ihre Bilder antisemitisch seien, weisen sie nach wie vor zurück. „Taring Padi sind keine Antisemiten. Taring Padi steht jeder Religion offen gegenüber, denn Religiosität ist ein Menschenrecht“, sagten sie jetzt in einem Interview mit der Deutschen Welle (DW) Indonesia, das bisher nicht auf Deutsch publiziert wurde.

Hintergrund von „People’s Justice“: Das Bild entstand bereits vor rund 20 Jahren

Das Bild „People’s Justice“ sei vor rund 20 Jahren entstanden, in der Reformasi-Ära, kurz nachdem die Schreckensherrschaft des Diktators Haji Mohamed Suharto beendet war. „Um 1998 herum haben sich viele aktivistische Künstlerkollektive in Indonesien gegründet; es ging um eine politische und gesellschaftliche Neuorientierung“, sagt von Gliszczynski. „Und um eine Aufarbeitung der Vergangenheit.“

In ihrem Bild „People’s Justice“, so erläutern es Taring Padi in ihrer Entschuldigung, habe das Kollektiv versucht, „die komplexen Machtverhältnisse aufzudecken“, die hinter massiven „Ungerechtigkeiten“ standen, insbesondere der Massenmord an mehr als 500.000 Menschen in Indonesien Mitte der 1960er Jahre, der bis heute nicht aufgeklärt wurde. Dass Suhartos Regime und seine Hetzjagd auf Kommunisten und Kommunistinnen von der westlichen Welt – auch von Israel, aber auch unter anderem von der Bundesrepublik Deutschland – unterstützt wurde, sei kein Geheimnis, sagt von Gliszczynski. Die Dokumente, die zur Aufarbeitung der Verflechtungen nötig sind, seien aber größtenteils noch immer unter Verschluss.

Aktivismus auf der documenta: Wie kommt der Antisemitismus ins Spiel

Eine aktivistische Künstlergruppe also, die historische Ereignisse im eigenen Land scharf kritisiert, die in ihrem Bild Gerechtigkeit für ihr Volk fordert - und in diesem Zusammenhang eine Reihe an Vertretern verschiedener westlicher Geheimdienste als Schreckensfiguren zeichnet – neben dem israelischen Mossad waren unter anderem auch die australische ASIO und der britische MI-5 abgebildet.

Das klingt erst einmal nicht besonders befremdlich. Dennoch bleibt auch bei dieser Betrachtung die wichtigste Frage offen: Wie kommt nun der Antisemitismus ins Spiel? Der Hass gegen Juden, den Taring Padi zwar abstreiten, aber der auf „People’s Justice“ eindeutig zu erkennen ist: in Form der klischeehaften Darstellung von Juden, die Nazi-Propaganda kopiert?

Geschichte Indonesiens: Charaktere aus altindischen Epen des Mahabharata und Ramayana

Kleiner Exkurs in die indonesische Kunst- und Kulturgeschichte. Vanessa von Gliszczynski deckt vorsichtig das Seidenpapier auf, das wertvolle Exponate, die in den Schubladen eines Stahlschranks lagern, vor Staub und Feuchtigkeit schützt. Sie zieht eine reich verzierte Schattenspielfigur heraus: ein dickes rosarotes Wesen mit langem, schnabelartigem Mund. „Das Schattenspiel, Wayang Kulit, ist indonesische Identität“, sagt die Kustodin.

Jedes Kind in Indonesien kenne die Charaktere, die in den altindischen Epen des Mahabharata und Ramayana eine Rolle spielten; die bösen und die guten, zu erkennen an bestimmten Merkmalen wie etwa der Nase und den Augen: Länglich und schmal sei eher als „gut“ einzuordnen, die Farbe Schwarz als „edel und fein“, die Farbe Rot als „triebgesteuert und böse“. Das Wesen, das sie gerade in der Hand hält, ist ein Spaßmacher, ein „Clown“. „Es ist eine Figur der freien Rede und nimmt in den Schattenspielen die Rolle des Bürgers ein, der die aktuelle Politik kritisiert“, erklärt von Gliszczynski.

Taring Padi: Schattenspielfiguren haben feste Rolle in ihrer Kunst

Die Schattenspielfiguren und ihre Bedeutung – auch der Clown – spielen in der Kunst von Taring Padi, sowohl in „Peoples Justice“ als auch in anderen Werken, die derzeit in und vor dem Hallenbad Ost in Kassel ausgestellt sind, eine zentrale Rolle. Angefangen bei den Pappfiguren, die auf Holzstöcken aufgespießt in der Wiese stecken bis hin zu den wimmelbildartigen Protestbildern, auf denen bestimmte Figuren, bestimmte Typen, ähnlich wie im Schattenspiel, symbolisch für gesellschaftliche Missstände und Eigenschaften stehen. „Das Schwein symbolisiert Gier. Wenn wir einen Hund malen, so ist dieser ein Instrument der Gewalt, der Brutalität etc. Die Ratte wiederum ist ein Zeichen für Korruption. Das ist eine Bildsprache, die in Indonesien sehr typisch ist“, sagt Taring-Padi-Mitglied Muhammad „Ucup“ Yusuf im Deutsche-Welle-Interview.

Die Zuspitzung bis ins Stereotype sei ein Stilmittel der Gruppe, bestätigt Amanda Katharine Rath. Die US-amerikanische Kunsthistorikerin arbeitet am Institut für Südostasienwissenschaften an der Goethe-Universität in Frankfurt und beschäftigt sich mit der indonesischen modernen und zeitgenössischen Kunst. „Die aktivistischen Kollektive, die sich in der Zeit nach 1998 gegründet haben, bedienten sich einer Bildsprache, die jahrzehntelang kursierte, die aber aufgrund der weitgehenden Zensur in der Suharto-Zeit nicht öffentlich ausgestellt wurde.“

Kunst und Sozialismus: Die Anknüpfung zu Propagandasprache

Welche Einflüsse und Vorbilder eine Rolle für die Ausbildung der Stereotype spielten, die beispielsweise heute in den Werken von Taring Padi zu sehen sind, müsse erst noch genauer untersucht werden. „Die Künstlerinnen und Künstler knüpften damals beispielsweise an die linke, sozialistische Propagandasprache von vor der Suharto-Diktatur an. Es gab auch Bezüge zur europäischen Kunstgeschichte, zu Dadaismus, zum Surrealismus und deutschen Expressionismus. Diese Stilrichtungen wurden auch in den Kunstakademien in Indonesien gelehrt.“ Die fratzenartige Überzeichnung von Figuren spiegele beispielsweise den Stil dieser europäischen Kunstrichtungen wider. Was aber den antisemitischen Gehalt der Darstellung in dem Taring-Padi-Werk keinesfalls erkläre.

Um der Frage auf die Spur zu kommen, wie die antisemitischen Motive auf das Banner kommen konnten, müsse man auch bedenken, dass Taring Padi kollektiv arbeite und verschiedene Communitys in die Arbeit einbeziehe, sagt Rath. Kollektivmitglied Yusuf hat im DW-Interview eine profan erscheinende Antwort parat: „Diese Motive sind während unserer gestalterischen Tätigkeiten entstanden. Als wir zum Thema der Gewalt in anderen Ländern gemalt haben, haben wir uns möglicherweise einfach Bilder genommen, die uns vertraut waren, deren eigentliche Bedeutung wir aber nicht bis ins Detail kannten. Schätzungsweise ist es so abgelaufen, dass das Banner heute diese Form hat.“

Kunst-Skandal bei documenta: Wer genau es gemalt hat interessiert erstmal nicht

Später geht es in demselben Interview um die Frage, wer die fraglichen Motive gemalt habe. Yusuf: „Wir haben versucht, es nachzuvollziehen ... schwierig ... .“ Bayu Widodo, ein weiteres Kollektivmitglied ergänzt: „An dem Bild People’s Justice wurde über mehrere Tage gearbeitet. Gut möglich, dass die Teilnehmer aufeinander reagiert haben. (...) Taring Padi legt auch keinen Wert darauf, wer genau was gemalt hat.“

Javanische Schattenspielfigur des „bösen“ Spaßmachers Kaurawa. Foto:Berins
Kunst aus Indonesien: Javanische Schattenspielfigur des „bösen“ Spaßmachers Kaurawa. © Lisa Berins

Haben wir es also mit einer schockierend-naiven und unkritischen Übernahme von Nazi-Propaganda zu tun? Amanda Katherine Rath und Vanessa von Gliszczynski halten das zumindest nicht für unmöglich. „Wir kennen das in der Kunstgeschichte: Bilder und Symbole werden kopiert, sie kursieren über Jahre, Jahrzehnte, und die originäre Bedeutung, der Kontext, gehen verloren oder werden neu bestimmt“, sagt Amanda Katherine Rath. „Das Problem in Indonesien ist“, sagt Gliszczynski, „dass es dort keine Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg und der Shoah gibt. Aus indonesischer Sicht ist Deutschland weit weg. Sie haben ihre eigenen, massiven Probleme und ein unaufgeklärtes Verbrechen, das noch immer bis in die heutige Gesellschaft hineinwirkt.“

Judentum in Indonesien: Radikaler Islam bedroht hier die geringe Anzahl

In Indonesien leben rund 230 Millionen Muslime, und neben fünf anderen anerkannten Religionen gibt es nur eine verschwindend geringe Anzahl an Juden, die sich in einem Klima des radikaler werdenden Islams zunehmend unwohl fühlen. Antisemitismus in Indonesien dürfe nicht kleingeredet werden, findet von Gliszczynski. Dass aber in der Kunst des Taring-Padi-Kollektivs eine absichtliche Hass-Botschaft stecke, bezweifeln die beiden Südostasien-Expertinnen.

Natürlich ist Unwissenheit keine Entschuldigung für Antisemitismus. Dass ein Dialog und eine Aufklärung im Vorfeld der Documenta versäumt wurden, bestätigt eine Äußerung des Taring-Padi-Mitglieds Bayu Widodo im Interview mit der Deutschen Welle: „Im indonesischen Kulturraum hört man sehr selten etwas über das Thema Antisemitismus, sodass wir nicht im Detail, klipp und klar, wussten, um was es eigentlich geht oder ob es in Deutschland dazu bestimmte Gesetze gibt.“

Auch, wenn es nun spät ist: Es gebe noch immer die Chance, einen interkulturellen Dialog zu starten, findet von Gliszczynski. Das Interesse sei da, und es ließen sich durchaus Brücken bauen. (Lisa Berins)

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