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Das Leben, der Tod - und alles dazwischen

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Von: Sandra Danicke

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Ugo Rondinone, „life time (Rendering)“, 2019. Ugo Rondinone/Studio Ugo Rondinone
Ugo Rondinone, „life time (Rendering)“, 2019. © Ugo Rondinone/Studio Ugo Rondinone

Einer, der gegen den Strom schwimmt: Ugo Rondinone stimmt mit seinen Werken in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt eine Hymne auf das Nichtstun an.

Sie sitzen einfach so herum. Auf dem Boden, ohne Kleidung. Es sieht nicht gerade so aus, als hätten sie auf uns gewartet. Eher so, als seien wir ihnen egal. In sich gekehrt, passiv, erschöpft von der Welt. Das, was Ugo Rondinone derzeit in der Schirn Kunsthalle Frankfurt zeigt, wirkt lapidar: menschliche Figuren, die sich nicht präsentieren, die sich keine Mühe geben, etwas darzustellen. Denkt man eine Weile darüber nach, dann ist es nicht weniger als ein Kommentar auf die Welt. Auf die Überforderungen, die wir und andere uns auferlegen, den Stress, der uns treibt.

Passivität, das ist bei Rondinone kein Schimpfwort. Es bedeutet, man lässt etwas geschehen, wartet ab, regt sich nicht auf. Es bedeutet Gelassenheit, Entschleunigung, Achtsamkeit, also all das, was permanent in Ratgeberliteratur und Medien als Nonplusultra gepriesen wird. Was keineswegs heißen soll, dass der Schweizer Künstler einem Trend hinterherjagt. Eher jagt er gar nichts hinterher, er ruht in sich selbst.

„Life Time“ heißt seine Ausstellung, und das sagt im Grunde alles. Lebenszeit, Leben, Zeit. Gibt es etwas Wichtigeres? „Life Time“ prangt als große Neonschrift auf dem Dach der Schirn. Die Buchstaben tragen Regenbogenfarben. Schriftzüge wie dieser sind ein Markenzeichen Rondinones. Das hat mit seiner Naturverbundenheit zu tun – er wurde 1964 als Sohn italienischer Eltern in einem Schweizer Dorf geboren –, damit, dass der Regenbogen Lebensfreude symbolisiert und vermutlich auch damit, dass Ugo Rondinone schwul ist.

Ohne sein Schwulsein hätte seine Kunst womöglich eine andere Richtung eingeschlagen. In den achtziger Jahren starb sein damaliger Partner an Aids, und der Künstler, der befürchten musste, dass er das gleiche Schicksal erleidet, begann über das Leben nachzudenken, über die Zeit, die ihm noch blieb. In der Natur fand er Ruhe. Seine damals entstandenen Landschaftszeichnungen waren romantisch – und widersprachen damit allem, was als zeitgemäß galt.

Rondinone machte einen Abguss von sich als phlegmatische Figur. Es folgten Serien von Clowns, die herumliegen. Auch in der Schirn liegt ein dickbäuchiger Clown zwischen Glitterpartikeln auf dem Boden, seine Augen sind geschlossen und um ihn herum hängen großformatige Bilder, die aussehen, als zeigten sie den Sternenhimmel.

In Wahrheit hatte der Künstler Erdkrümel auf den Leinwänden verstreut und mit schwarzer Farbe darüber gesprüht, Himmel und Erde in einem. Auch die „curved standing landscape with entry door“ stellt die Dinge, wenn auch nicht auf den Kopf, so doch von der Horizontalen in die Vertikale. Geht man dicht an der Erd-skulptur vorbei, dann kann man sich einbilden, man läge auf dem nackten Boden. Übrigens bestehen auch die „nudes“ genannten Sitzfiguren, bei denen es sich um Abgüsse von Tänzerinnen und Tänzern handelt, aus Wachs und Erdpigmenten – letztere stammten, so der Künstler, von allen Kontinenten.

Und dann ist da wieder der Himmel, in der oberen Rotunde hängen Tausende von Zeichnungen des Mondes, angefertigt wurden sie von Kindern. Und es gibt die „clouds“, eine Reihe stehender Steinskulpturen, die alle den gleichen Titel tragen, der sich lediglich dadurch unterscheidet, dass immer ein anderes Wort versal gedruckt ist: „WE run through a desert on burning feet, all of us are glowing our golden faces look twisted and shiny.“

Bis zu seinem Tod vor zwei Jahren war Rondinone mit dem US-amerikanischen Dichter John Giorno verheiratet, sie hätten sich gegenseitig inspiriert, erzählt der Künstler, der seit 1998 in New York lebt.

Der vielleicht fesselndste Ort in dieser Schau ist ein Raum mit zwölf Filmloops auf sechs Leinwänden. Man sieht Menschen Alltägliches tun: eine Straße entlanggehen, eine Tür öffnen, aus dem Fenster schauen, irgendwo liegen. Wir erfahren nicht, wohin sie gehen oder schauen, wo sie liegen, wann und warum. Es sind Momente, die Übergänge markieren: von innen nach außen, vom Wachsein zum Schlafen, von hier nach dort. Dazu läuft eine Songschleife: „Every Day Sunshine“ singt ein Mann wieder und wieder (der Sänger von Fishbone), mal ist die Musik leise, dann donnern die Drums.

Der Titel ist ein Gedicht, das einen beim Lesen einen Moment lang aus Raum und Zeit katapultiert: „it’s late and the wind carries a faint sound as it moves through the trees. it could be anything. the jingling of little bells perhaps, or the tiny flickering out of tiny lives. i stroll down the side walk and close my eyes and open them and wait for my mind to go perfectly blank. like a room no one has ever entered, a room without doors or windows. a place where nothing happens.“

Läuft man durch diesen sehr dunklen Raum in den nächsten, ist man zunächst geblendet von purem Sonnenlicht. Eine Reihe von Gemälden („pure sunshine“) zeigen konzentrische Kreise in Gold und grellem Gelb. Die Kreise wirken unscharf, man kann sie so wenig fokussieren, wie man es ohne Filter mit der Sonne tun kann. Die Kreise, sie wirken hypnotisierend - und wunderschön. Von der Decke fällt Schnee. Genaugenommen handelt es sich um Papierschnipsel, Titel: „thank you silence“.

Er sei der Meinung, dass man Kunst nicht interpretieren können soll. Man müsse sie fühlen, findet Rondinone. Jeder sollte das können, auch jene, die nicht in die Ausstellung gehen. In Frankfurt können sie jetzt Richtung Himmel gucken und sich daran erinnern, dass das Leben gerade jetzt, in diesem Moment, passiert.

Schirn Kunsthalle Frankfurt: bis 18. September. www.schirn.de

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