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Clauss Dietel ist gestorben: Die Quadratur der Mangelwirtschaft

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Von: Ingeborg Ruthe

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Der Formgestalter Karl Clauss Dietel steht in den Kunstsammlungen Chemnitz neben einem Foto von Georg Eckelt, das den Roller SR52 zeigt.
Der Formgestalter Karl Clauss Dietel steht in den Kunstsammlungen Chemnitz neben einem Foto von Georg Eckelt, das den Roller SR52 zeigt. © dpa

Zum Tod des Designers Clauss Dietel, der 1988 zum letzten Präsidenten des DDR-Künstlerverbandes gewählt wurde.

Als Designer – in der DDR hießen die Protagonisten dieser Kunst-Zunft Formgestalter, was die Alltagstauglichkeit unterstreichen sollte – war Clauss Dietel eine Legende. Der asketische Mann mit der Turnerfigur und den raspelkurzen Haaren, mit immer freundlich zugewandter Miene und einem trockenen sächsischen Humor, schrieb im Osten Design-, also Formgestaltungs-Geschichte.

Nun hat er am zweiten Tag des neuen Jahres sein Chemnitzer Ideen-Labor für immer verlassen. Der Dietel wird 100, das dachten alle, die wir den lebhaften Denker und Macher kannten. Er tüftelte dauernd an Lösungen, gut funktionierende, nachhaltige. Und die mussten auch noch gut aussehen. Die Wegwerfmentalität der westlichen Konsumgesellschaft fand er ebenso widerwärtig wie fahrlässig gegenüber den Ressourcen der Natur und der Gesellschaft.

1988, auf dem zehnten und letzten Kongress des DDR-Künstlerverbandes, wurde der allmächtige Willi Sitte abgewählt. Die jungen Künstlerinnen und Künstler, auch die aus der freien Kunst, wollten den Formgestalter Clauss Dietel. Ihm vertrauten sie, auf ihn hofften sie. Er wusste, wie es um das Land und seine Wirtschaft stand, er dachte wie sie. Er tat sein Bestes, ahnend, dass es nur für ganz kurze Zeit sein würde. Die DDR war am Ende.

Immerhin gingen bis dahin einige seiner Entwürfe in Produktion. Andere verschwanden in der Schublade, weil sie für die begrenzten Möglichkeiten im realen Sozialismus einfach zu modern und vom Material her nicht zu realisieren waren. Das Politbüro schmetterte etliche seiner Ideen ab. So die schicken sieben Prototypen des Trabant-Nachfolge-Modells. Sein Grundentwurf zum Wartburg 353 wurde nur modifiziert umgesetzt. Aber das Design fürs Chemnitzer Stadtbad wurde realisiert.

Und die beliebten „Straßenhüpfer“ für junge Leute, das Klassiker-Moped Simson S50, „Simson Mokick“ genannt, brachte es auf hohe Stückzahlen. Sein Erfolgsgeheimnis war das von ihm entwickelte „Offene Prinzip“. Es mussten alle Teile eines Produkts stimmig zusammenpassen und gleichzeitig leicht austauschbar sein. Das machte die Simson-Reihe so beliebt, weil die Fahrer das Meiste selbst reparieren konnten. S50 sind heute sehr begehrt. Beliebt war auch das Radio RK5 mit modernen Kugellautsprechern. Und in vielen Haushalten fand sich eine von Dietel gestaltete Erika-Schreibmaschine, reduziert im Bauhausstil, leicht zu bedienen und schier unverwüstlich.

Nicht nur was die eigene Produktgestaltung betraf, redete er zu DDR-Zeit offen über das Do-it-yourself-Prinzip und ungeschützt über die nötige Kreativität in der permanenten Mangelwirtschaft. Bitterkeit über Enge und Mangel ließ er jedoch nie aufkommen. Sarkasmus leistete er sich doch, wenn er sagte: „Das Design in der DDR ist teilweise abgerutscht bis in die Gosse.“

Dietel war bis 1990 Direktor der damaligen Fachschule für angewandte Kunst im erzgebirgischen Schneeberg. Er machte einer ganzen Generation von Gestaltern Mut zu eigener Courage. Sein Lebenswerk, insgesamt 8800 Design-Prototypen, Entwürfe, Modelle, Ideenskizzen, Fotos, Archivalien vermachte er 2020 den Kunstsammlungen Chemnitz.

2014 wurde er als erster ostdeutscher Formgestalter mit dem Designpreis der Bundesrepublik geehrt. Damals sagte er in seiner kurzen Dankesrede, diese Auszeichnung sei keineswegs nur die seine, sondern gehöre auch die all seinen Kolleginnen und Kollegen, die in der DDR als vom Bauhaus geprägte Formgestalter angesichts der Realität ständige Desillusionierungen verkraften mussten – und die trotzdem blieben und immer wieder die Quadratur des Kreises versuchten.

„karl clauss dietel. die offene form“ , herausgegeben von Walter Scheiffele und Steffen Schuhmann, erschien soeben bei Spector Books, Leipzig.

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