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Christina Quarles im Hamburger Bahnhof: Queere Körper im entgrenzten Raum

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Von: Ingeborg Ruthe

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„For Whom Tha Sunsets Free“, 2019. Foto: Courtesy Quarles, Hauser&Wirth and Pilar Corrias, London
„For Whom Tha Sunsets Free“, 2019. Foto: Courtesy Quarles, Hauser&Wirth and Pilar Corrias, London © Courtesy Quarles, Hauser&Wirth and Pilar Corrias, London

Christina Quarles lässt im Hamburger Bahnhof in Berlin Lust und Schmerz aufeinanderprallen.

Sie verkörpert das, was die Welt eine „Powerfrau“ nennt, eine, die weiß, was sie will, und es auch tut. Eine mit einer ansteckenden Lache in der Tonlage der tiefen, warmen Altstimme, die so viel von den Höhen und den Tiefen des Lebens weiß. Sie ist keine, die ihre Rundungen einer Diät für einen Modekanon opfern, die Bodyshaming zulassen würde. Auch keine, die sich danach richten würde, was sich laut Kunstmarkt-Stille-Post am besten verkauft. Und vor allem keine, die ihre Queerness und ihre Verachtung alles Rassistischen und Chauvinistischen verbirgt.

Die 1985 geborene Christina Quarles lebt mit einer Frau, einem Kleinkind und queeren Freunden. Das ist ihre Familie, in der nicht das Geschlecht und nicht die Ethnie zählt. Sondern der Mensch, ob nun vom Schöpfer oder von der Natur als Eva und Adam geschaffen. Oder von allem etwas in einem Körper

Quarles, die an der Kunsthochschule Skowhegan in Maine, an der Yale Universität New Haven und am Hampshire College Amherst erst Malerei, Bildhauerei, Grafik und dann noch Philosophie studierte, malt seit Jahren komplexe Bilder. Mal gestisch abstrakt, mal sehr körperlich und gleichsam surrealistisch aufgeladen. Quarles spannt Torsi, Gliedmaßen und Gesichter in ein breites Spektrum von Innenräumen, mal hinter Streifenmustern wie von Daniel Buren gemalt, mal hinter beweglichen Gazeflächen. Dadurch wirken ihre Arbeiten beinahe plastisch. Oder auch wie auf mehrere Ebenen gestaffelte Bühnenräume.

Und genau dort prallen echte Extreme aufeinander, Lust und Schmerz etwa. „Du kannst komplizierter und widersprüchlicher sein, wenn du nicht versuchst, die Leute dazu zu bringen, die Kurzschriftversion von dir zu verstehen“, sagt sie. „Du kannst einfach in deinem Körper sein.“ Dieses „In-seinem-Körper-Sein“ ist das zentrale Thema ihrer Malerei, in der die Farben verschmelzen und ambivalente Figuren in anatomisch unmöglichen, geradezu äquilibristischen Positionen agieren. Sie scheinen durch den Raum zu fliegen, weil sie sich von nichts und niemandem, auch nicht von Museumswänden, eingrenzen lassen. Das mag obsessiv, ja orgiastisch aussehen. Doch pornografisch ist hier gar nichts.

Die Malerin steht zu ihrer Berliner Vernissage oben, in den Räumen des Ostflügels im Hamburger Bahnhof. Vor ihren Körperbildern, diesen extrem in den Raum wuchernden, sich dehnenden, mal ineinander verschlingenden, mal fragmentierten Bündeln aus überlängten Gliedmaßen, tentakelartigen Fingern, Zehen und wie zerlaufenden Brüsten. Solche Übergänge ins wild Ungeformte kennen wir auch aus Gemälden des Surrealisten Salvador Dalí; er legte es noch an als Geschlechtsmerkmale oder als teigige Uhren, allesamt Symbole für den grenzenlosen Lauf der Zeit.

Anders Christina Quarles. Sie wählt die surreale Ausdrucksweise aus ihrem Lebensgefühl als queerer Mensch heraus, ihre Figuren sind von Linie und Textur zusammengehaltene Knäuel. Oder Körperfragmente, die zueinander streben und sich dabei auch abstoßen. Sie malte Wesen, die an ihrer zerstückelten Körperlichkeit auch noch Lust empfinden statt Selbsthass. Oder Wut auf jene, die allem Anderssein mit verbaler oder gar tätlicher Gewalt begegnen.

Es ist eine beredte Bildsprache, wie man sie auch aus den verstörenden Gemälden der österreichischen Feministin Maria Lassnig kennt. Die erst im hohen Alter, aus den USA zurückgekehrt, im ach-so-aufgeklärten liberalen Wien akzeptiert und für ihren Mal-Mut gefeiert wurde. Weniger brutal als Lassnig, artikuliert Quarles bildmächtig ihr Empfinden, in einem Körper zu leben, der „mixed-race“ ist – indes von Weißen zumeist als hellhäutig gelesen wird und sich zudem auch keiner tradierten, geschlechtsspezifischen Rolle unterordnen will und wird.

Christina Quarles aus Los Angeles, Kind eines Schwarzen aus Trinidad und einer Weißen aus Chicago, hat soeben im Hamburger Bahnhof ihre erste museale Einzelausstellung in Deutschland. Quarles’ Malstil, dem Publikum der Kunst-Biennale Venedig 2022 sicher gut in Erinnerung, kommt aus der virtuosen Auseinandersetzung mit der Erfahrung, in einem queeren Körper zu leben. Sie entschied sich unter dem Titel „Collapsed Time“ („Eingestürzte Zeit“) für eine denkwürdige Intervention in den Raum, indem sie die Zwiesprache ihrer Gemälde und Zeichnungen mit Werken der Sammlung der Neuen Nationalgalerie sucht. Mit der ambivalenten, auch abstrakten Körper-Bildsprache der späten internationalen Moderne – von Absalon, Vito Acconci, Stanley Brouwn, Daniel Buren, Annette Kelm, Nam June Paik und Charlotte Posenenske.

Die vom neuen Direktorenduo Till Fellrath und Sam Bardaouil kuratierte Schau ist eine ausgesprochen spannende Gegenüberstellung, in der es zu erstaunlicher Kommunikation kommt. Eröffnen sich dem Publikum doch vielschichtige Zugänge zur Darstellung des menschlichen Körpers. Die Konstellation widerlegt zudem – nebenbei – die in der Moderne so oft wiederholte Hiobsbotschaft vom angeblichen Tod der Malerei.

Schon früh, sagt Quarles, habe sie erfahren müssen, dass ihre Wahrnehmung von sich selber und der Blick anderer auf ihren Körper häufig krass voneinander abwichen. Und wie sie mit Ablehnung, im besten Fall mit „nur“ Unverständnis umzugehen hatte. Ihre Gemälde, ihre klaren, mit so hartem wie virtuosem Strich aufs Papier gesetzten Figurenzeichnungen geben beredt Auskunft, wie sie das Diametrale verarbeitet. Ihre Körper sind nicht gefällig ausdefiniert, Hautfarbe oder Geschlecht finden kaum eindeutige Zuordnung. Oft belässt Quarles ihre Figuren ohne eindeutige Abgrenzung, alles geht ineinander über, als Kollision oder auch, ganz selten, in Harmonie.

Ihre Malerei verschmilzt förmlich mit den Museumswänden. Farblinien, die gerade noch Teil einer Tapete am Zugang zu den Raum-Malereien waren, werden unvermittelt zu Vorhängen, zu Plateaus, zu Podesten. Es sind Bild-im-Bild-Installationen, die einen permanenten Perspektivwechsel abverlangen, womöglich auch ein Wechselbad der Gefühle bescheren. Und damit eine von Vorurteilen entschlackte, der Schwerkraft der Konventionen und Traditionen trotzende Interpretation von Identität. Ein Fazit? Diese Malerin führt uns vor, wie sehr alles, was uns überliefert, anerzogen, eingetrichtert wurde, begrenzt und unbeschränkt zugleich ist.

Hamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegenwart, Berlin: bis 17. September. Soeben erschien die 1. Ausgabe einer Reihe von Begleitpublikationen zu den Einzelausstellungen im Hamburger Bahnhof, 12 Euro. www.smb.museum

„Slick“, 2022. Foto: Courtesy Quarles/Hauser&Wirth, Pilar Corrias, London
„Slick“, 2022. Foto: Courtesy Quarles/Hauser&Wirth, Pilar Corrias, London © Courtesy Quarles/Hauser&Wirth, Pilar Corrias, London
Christina Quarles. Foto: Tata Darby/Courtesy Quarles/Hauser&Wirth
Christina Quarles. Foto: Tata Darby/Courtesy Quarles/Hauser&Wirth © Tata Darby/Courtesy Quarles/Hauser&Wirth

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